CGM ohne Zusatznutzen? Fachverband kritisiert Krankenkassen-Report

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CGM ohne Zusatznutzen? Fachverband kritisiert Krankenkassen-Report

Die Krankenkasse Barmer hat den Zusatznutzen von Systemen zur kontinuierlichen Glukosemssung (CGM) in Frage gestellt. Die Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der DDG kritisiert den Bericht und erwidert: Der Nutzen für bestimmte Patientengruppen sei in den Praxen sichtbar.

In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) „drohen Extrakosten in Milliardenhöhe bei Medizinprodukten ohne erwiesenen Zusatznutzen“, schlägt die Barmer Ersatzkasse in einer Pressemitteilung zu ihrem Hilfsmittelreport 2022 Alarm. Beispielhaft führt sie die Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) an. Bis zum Jahr 2020 seien hierzulande über eine halbe Million Menschen mit Diabetes damit ausgestattet worden. „Zum medizinischen Zusatznutzen von CGM-Geräten gibt es in Studien bislang jedoch nur vereinzelte Hinweise“, klagt die Kasse. Für die GKV entstünden aber jährliche Extraausgaben von rund einer Milliarde Euro.

Grundlage für die Versorgung mit CGM-Geräten ist ein Beschluss der dafür zuständigen Behörde, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), aus dem Jahr 2016. Dieser wurde mit Studien begründet, die bei Typ-1-Diabetes auf bessere HbA1c-Werte und einen höheren Schutz vor Unterzuckerungen hindeuteten. Nun müsse überprüft werden, ob sich die Erwartungen bestätigten, meint die Kasse.

Zusatznutzen von CGM: Krankenkasse hat für ihre Analyse keine medizinischen Daten

Sie kommt in ihrem Report zu dem Eindruck, dass CGM-Systeme keinen wesentlichen Zusatznutzen zeigten. Dafür wurden Daten von 2018 bis 2020 für jeweils 12.000 Versicherte verglichen, die ihre Glukosewerte mit einem CGM-Gerät oder konventionell mit Blutzucker-Teststreifen maßen. Allerdings schränkt die Kasse ein, dass sie die Vorteile der CGM-Systeme – weniger schwere Hypoglykämien bzw. verbesserte HbA1c-Werte – nicht aus ihren Abrechnungsdaten ablesen kann.

Also bediente sie sich zweier Ersatzgrößen: der Ausgaben für Krankenhaus-Aufenthalte von Patienteninnen und Patienten mit der Hauptdiagnose Diabetes und der Anzahl hausärztlicher Kontakte (siehe folgende Grafik).

Mit dem Blick auf Arztkontakte und Klinikkosten fragt sich die Barmer: Stimmen bei CGM Zusatznutzen und Mehrkosten?

Beim Vergleich der Patientinnen und Patienten mit CGM-System mit einer Kontrollgruppe stellte die Barmer durchschnittlich mehr Praxisbesuche und jährliche Mehrkosten von etwa 2.000 Euro bei den CGM-Nutzenden fest. Sie sieht das Ergebnis ihrer Kosten-Nutzen-Einschätzung auch von der aktuellen Studienlage flankiert. In der Versorgungsrealität sei „ein bedeutsamer Zusatznutzen der CGM-Systeme gegenüber der herkömmlichen Glukose-Messmethode im Durchschnitt nicht gegeben“, heißt es im Hilfsmittelreport.

„Erhebliche Mängel!“ Kritik am Bericht zum Zusatznutzen von CGM

Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) hat sich die Publikation genauer angeschaut. Die Statistik habe „erhebliche Mängel“, teilen Sandra Schlüter, Dr. Guido Freckmann und Dr. Ralph Ziegler in einer ersten Einschätzung für die diabetes zeitung mit. Sie weisen u.a. auf folgende Aspekte hin:

  • Die Häufigkeit von Arztkontakten ist kein verlässlicher Parameter für die Stoffwechselkontrolle.
  • Der Barmer-Bericht kann keine konkreten Aussagen zum Nutzen treffen, insbesondere nicht zu Patientinnen und Patienten mit oder ohne intensivierter Insulintherapie (ICT).
  • Patientenzufriedenheit, Lebensqualität, HbA1c etc. werden nicht betrachtet.
  • In den Klinikaufenthalten sind alle Fälle mit Diabetes enthalten, z.B. auch welche mit COVID-19-Infektion. Bei Betrachtung der Klinikaufenthalte ist eine erhebliche Verzerrung aufgrund ungleicher Zusammensetzung der Vergleichsgruppen (Selektionsbias) anzunehmen. „Korrelationen hierzu sind deswegen fragwürdig.“
  • Seit dem G-BA Beschluss wurden weitere methodisch gute Studien zum Nutzen von CGM bei ICT veröffentlicht.
  • Die Erfahrungen aus der Praxis bei mit CGM-Systemen versorgten Patientinnen und Patienten decken sich nicht mit dem Fazit des Barmer-Reports.

Auf Kosten und Nutzen zu schauen, sei sinnvoll, bestätigt der AGDT-Vorstand. Doch das sollte differenziert nach Patientengruppen erfolgen. Der G-BA bestimmte 2016: „Dies gilt für Menschen mit Diabetes, die eine intensivierte Insulintherapie durchführen. Ein solches Messgerät kann nur von Diabetologinnen und Diabetologen verordnet werden, es muss ein zugelassenes Medizinprodukt sein und über eine Warnfunktion bei Über- oder Unterzuckerung verfügen.“

Kommt es auch zum CGM-Einsatz bei Menschen ohne ICT?, fragt die AGDT-Spitze. Werden von den Kassen wirklich nur Verordnungen von Diabetologinnen und Diabetologen akzeptiert? Was ist mit den Sonderverträgen zwischen Kassen und Herstellern? „Wenn die Kosten explodieren, wird nach Evidenz und Nutzen gefragt.“ Wo aber ist das gemeinsame Handeln von Kassen, Herstellern sowie Medizinerinnen und Medizinern vor Einführung wichtiger neuer Diabetestechnologie?

Zusatznutzen von CGM: An den richtigen Stellen prüfen, hilft Kosten sparen

Es könnten Kosten bei Verwaltung und Medizinischem Dienst gespart werden, wenn z.B. Patientinnen und Patienten mit ICT ohne Prüfung ein CGM-System erhalten und alle weiteren Fälle eine Prüfung durchlaufen. Auch sollte eine strukturierte Analyse der Nutzung von CGM-Systemen in Senioreneinrichtungen und durch ambulante Pflegedienste erfolgen: Sind CGM-Systeme dafür geeignet und in der Zweckbestimmung dafür vorgesehen? Sind die Mehrkosten gegenüber dem Zusatznutzen vertretbar? Werden evtl. Pflegekosten eingespart? Brauchen wir für diese Patientengruppe CGM-Systeme mit anderen Anforderungen?

Die AG moniert ferner: „Die Mehrkosten für CGM-Systeme sind da, aber um den Zusatznutzen auch konkret abzurufen, fordert der G-BA eine Patientenschulung ein. Wie kann es sein, dass bisher keine Kasse einen Antrag beim Bundesamt für Soziale Sicherung zur Akkreditierung eines vorhandenen Schulungsprogramms getätigt hat?“

Die AGDT kündigt an, eine Stellungnahme zu evidenzbasierter Glukosemessung zu verfassen.



von Michael Reischmann

zuerst erschienen in diabetes zeitung 7-8/2022 und patientengerecht aufbereitet durch die Diabetes-Anker-Redaktion

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  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

  • tako111 postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

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