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Zuerst war Katharina Weirauch gefühlt ganz allein auf der Welt mit ihrem Typ-1-Diabetes. Heute, 16 Jahre später, hat sich für die 33-Jährige sehr viel verändert. Die Zeit hat ihr gezeigt, dass es viele Menschen mit ihrer Erkrankung gibt – und dass sie selbstbewusst zu ihrem Diabetes stehen kann.
„Ich habe so viel Bock auf das Leben und so viel Freude am Leben, dass ich versuche, aus den meisten Situationen einfach das Beste zu machen. Und ich habe einfach gerne Spaß.“ Diese Einstellung hilft Katharina Weirauch in ihrem Leben, in dem sie nicht nur einen Typ-1-Diabetes unterbringen muss, sondern auch weitere Erkrankungen. Diese grundsätzliche Lebensfreude strahlt sie auch aus, wenn man mit ihr spricht.
Bis es aber so weit war, dass das ehemalige Nordlicht und die heutige Mainzerin den Diabetes auch als Teil ihres Lebens akzeptieren konnte, dauerte es etwas. Geholfen hat ihr dabei unter anderem ihr eigener Blog „Nerven aus Zuckerwatte“: „Er war Teil meiner ganzen Akzeptanzreise und auch ein Ventil.“ Die Reise war auch deshalb zu Beginn schwierig, weil sie lange keine anderen Menschen mit Typ-1-Diabetes kannte: „Ich hatte das Gefühl, ich bin der einzige Mensch auf der Welt.“ Das war im Jahr 2008, sie war 17 Jahre alt.
Kontakte zu anderen Menschen mit Typ-1-Diabetes bekam sie zuerst über eine Facebook-Gruppe, hielt sich hier aber sehr zurück, weil sie eher schüchtern war. Aber sie wagte es und fing an, sich mit einer anderen Teilnehmerin der Gruppe zu vernetzen – „und so hat sich mir diese Welt von ganz, ganz vielen Menschen mit Diabetes eröffnet“. Heute arbeitet Katharina Weirauch im Diabetes-Bereich, ist sehr aktiv in der Diabetes-Community und steht selbstbewusst zu ihrem Diabetes, wenn zum Beispiel eins ihrer Diabetes-Hilfsmittel mal wieder piept: „Es ist einfach gar nicht so schlimm, wenn es mal um mich geht und wenn Menschen mich sehen und hören.“
Katharina Weirauch: Auf gar keinen Fall. Ich habe mich komplett allein gefühlt mit meiner Diagnose. Da habe ich noch auf dem Dorf gewohnt, musste in die nächstgrößere Stadt und war da in einer Diabetes-Praxis, in der ich auch noch die einzige Typ-1erin war. Da war für mich Diabetes das, was die „alten, übergewichtigen Menschen“ haben. Das war in der Zeit noch so in meinem Kopf. Und ich hatte das Gefühl, ich bin der einzige Mensch auf der Welt.
Katharina Weirauch: Im Januar 2008, da war ich 17.
Katharina Weirauch: Ich wurde mit Typ-2ern geschult. Ich habe auch tatsächlich am ersten Tag ein Typ-2er-Kochbuch mit nach Hause bekommen. Meine Schulung damals ging vier Tage. Ich habe an einem Montag die Diagnose bei meinem Hausarzt bekommen, bin dann dienstags in die Diabetes-Praxis, habe da dann auch das erste Mal Insulin gespritzt, hatte da mehr oder weniger eine Einzelschulung und dann die restlichen drei Tage mit Typ-2ern zusammen.
Katharina Weirauch: Nein. Inzwischen kenne ich ja viele, viele Geschichten von anderen Menschen und glaube, da hatte ich einfach viel Glück. Mein Hauptproblem war damals dieser unfassbare Durst und sehr viel Wasserlassen. Aber ich erinnere mich nicht, dass ich meine Erschöpfung oder so extrem krass gespürt hätte. Für mich stand damals ganz im Vordergrund, dass ich so viel abgenommen hatte, sodass mir eigentlich alles andere egal war, weil ich dachte: „Endlich bin ich dünn.“
Katharina Weirauch: Meine Mutter hatte den Verdacht und hat mich deswegen zum Arzt geschickt, hat mir den Verdacht aber nicht gesagt. Für mich kam es wirklich aus dem Nichts, meine Mutter hatte es tatsächlich erwartet.
Katharina Weirauch: Genau, sie ist ausgebildete Krankenschwester.
Katharina Weirauch: Mit einer klassischen ICT.
Katharina Weirauch: Genau.
Katharina Weirauch: Ich habe relativ lange an den Pens festgehalten, weil ich dachte, mich mit einer Pumpe irgendwie einzuschränken, einfach dadurch, dass sie da ist. Jetzt muss ich selber rekapitulieren: Es gab ja 2016 diesen großen Umbruch mit der Hilfsmittelverordnung mit den CGMs und dann habe ich das FreeStyle Libre bekommen. Und als das dann an mir klebte, habe ich einfach gemerkt, dass allein das so viel Erleichterung bringt, obwohl es ständig da ist, dass mir das die Angst oder den Respekt vor einer Pumpe ein bisschen genommen hat. Im Mai 2016 habe ich dann meine erste Pumpe bekommen.
Katharina Weirauch: Genau. Inzwischen bin ich mit dem Loop von der YpsoPump unterwegs, mit dem CamAPS FX, mit dem Sensor von Dexcom.
Katharina Weirauch: Prinzipiell ja. Es ist einfach ein komplett anderes Leben als vor 15 Jahren. Für mich war dieses ständige In-die-Finger-Stechen ein Problem – meine Finger waren so kaputt und so fertig. Es ist einfach ein ganz anderes Leben mit dieser Technik. Leider gehöre ich zu den Menschen, die Pflasterallergien haben, weshalb es für mich auch nicht komplikationsfrei ist. Aber prinzipiell bin ich schon sehr, sehr dankbar für diese Möglichkeiten heute.
Katharina Weirauch: Ich weiß gerade tatsächlich gar nicht genau, wie der erste Schritt war. Ich weiß, dass ich über Facebook eine damals sehr bekannte und ich glaube auch immer noch sehr große Typ-1er-Gruppe gefunden habe und der beigetreten bin und dann auch irgendwie regional. Damals habe ich in Norddeutschland gewohnt. Irgendwie bin ich auch kleineren Runden gefolgt. Aber ich war super schüchtern. Für mich kam es nicht in Frage, einfach mal zu einem Stammtisch zu gehen oder was es da für Angebote gab.
Und dann, glaube ich, aber hundertprozentig erinnere ich mich nicht, habe ich tatsächlich aus dieser Diabetes-Gruppe eine, die auch in Hamburg wohnte, einfach angeschrieben und gesagt: „Hallo, das ist jetzt vielleicht hier komisch, aber ich bekomme immer mit, was du schreibst, und unsere Interessen sind irgendwie ähnlich und ich kenne niemanden mit Typ-1-Diabetes und – Hallo.“ Dann habe ich mich mit ihr auch getroffen und sie hat mir damals von der Blood Sugar Lounge erzählt. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt hatte ich auch schon angefangen, selber zu bloggen. Und dann bin ich irgendwie in die Blood Sugar Lounge gekommen und so hat sich mir diese Welt von ganz, ganz vielen Menschen mit Diabetes eröffnet.
Katharina Weirauch: Er hatte mal eine ganz, ganz große Bedeutung im Sinne von: Er war Teil meiner ganzen Akzeptanzreise und auch ein Ventil. Und der hat mir ganz viele Türen geöffnet, sowohl beruflich als auch privat. Inzwischen habe ich kaum noch Zeit, mich richtig um diesen Blog zu kümmern. Da erscheint einmal im Jahr vielleicht noch ein Artikel, aber ansonsten ist da einfach im Moment nicht mehr so viel los.
Aber tatsächlich existiert er noch, weil ich immer denke, es wird irgendwann noch mal anders. Und irgendwie ist das im klassischen Sinne, wie solche Blogs ja damals auch aufgetaucht sind, wie ein Tagebuch, in dem ich auch selber immer noch sehen kann: So ging es mir vor so und so vielen Jahren, das war da los. Und ja, das ist was sehr Persönliches, was ich aber mit der ganzen Welt teile.
Katharina Weirauch: Ich habe tatsächlich früher, als ich in der Schule war, nicht gedacht, dass ich beruflich das machen kann, was ich mag, nämlich hauptsächlich Schreiben und Kreativsein. Dann hat das mit dem Blog angefangen. Ich habe vorher schon immer viel geschrieben, aber nie irgendwas veröffentlicht, sondern das war immer so für mich.
Und dann habe ich angefangen, das auf dem Blog zu veröffentlichen, und habe damals relativ schnell verschiedene Anfragen bekommen, sowohl aus dem Diabetes-Bereich, aber auch aus dem Bereich Depression und psychische Erkrankungen, dass ich da angefragt wurde, auch Artikel zu teilen oder Interviews zu geben, auf einer Konferenz zu sprechen. Und tatsächlich war das, glaube ich, damals auch so meine Einstiegsmöglichkeit für die Blood Sugar Lounge, dass ich dann da schreiben konnte als Autorin und schließlich als Praktikantin auch beim Kirchheim-Verlag irgendwann aufgeschlagen bin und mich im Prinzip nie wieder so richtig verabschiedet habe.
Katharina Weirauch: Genau.
Katharina Weirauch: Es sind vor allem Kommunikations-Kampagnen, um die ich mich kümmere, und Community-Building, Community-Betreuung und Content-Kreation, unter anderem für Menschen mit Diabetes als Mensch mit Diabetes, was, glaube ich, einen besonderen Zugang ermöglicht, den man einfach auch in Alltagssituationen aufgreifen kann. Das ist das Hauptsächliche dabei.
Katharina Weirauch: Eine große. Aber tatsächlich spielt auch der Diabetes selbst eine große Rolle dabei, weil diese Krankheit – wahrscheinlich gilt das für viele chronische Erkrankungen, aber ich kann eben hauptsächlich von Diabetes sprechen – einen so sehr dazu zwingt, für sich einzustehen, dass man fast keine andere Wahl hat, als irgendwann sich für sich selber geradezumachen und auch mal im Mittelpunkt zu stehen. Sei es der piepende Sensor im Kino oder irgendwas. Auf einmal hat man die Aufmerksamkeit auf sich und das passiert halt nicht nur einmal. Negativ formuliert stumpft man vielleicht irgendwann ab, positiv formuliert merkt man: Es ist einfach gar nicht so schlimm, wenn es mal um mich geht und wenn Menschen mich sehen und hören.
Um da den Bogen zur Community zu finden: Da ist eben dieses Bewusstsein, es gibt noch mehr. Gerade wenn wir bei dem Bild Kino bleiben: Im Kinosaal neben mir ist auch jemand, bei dem es piept. Dieser Austausch war immer ganz, ganz wichtig und das Gefühl, nicht allein zu sein. Und tatsächlich habe ich einfach durch die Diabetes-Community so viele tolle Menschen kennengelernt. Ich glaube inzwischen, mein erweiterter Bekanntenkreis besteht auf jeden Fall aus mehr Menschen mit als Menschen ohne Diabetes. Das hat mir ab einem bestimmten Punkt sehr viel Bestätigung gegeben, Bestätigung, dass das mit mir nicht alles falsch ist.
Katharina Weirauch: Ich fand immer diesen Vergleich ganz spannend, wenn man im Grundschulalter oder im Übergang zur Pubertät eine Brille kriegt. Das ist für viele ja ganz schwer, diese Brille aufzusetzen, weil sie sich schämen. Irgendwann ist es dann aber im Idealfall besser und es ist nur eine Brille. Warum sollte mich jemand deswegen hänseln? Viele Menschen haben eine Brille auf – und ich ziehe es jetzt durch. Und so ähnlich war das mit meinem Diabetes, dass ich eben immer dachte: Oh nein, noch ein Grund mehr, dass Menschen mich schräg angucken können. Jetzt hantiere ich hier mit einem Pen rum und… oh nein, oh nein, oh nein. Irgendwann habe ich gemerkt, mir geht es besser, wenn ich es mir nicht selber schwerer mache.
Katharina Weirauch: Ich muss sagen, heute beobachte ich das gar nicht mehr so doll. Aber es gab mal eine Phase, wobei ich auch zugeben muss, vielleicht haben mein Algorithmus und ich uns einfach davon entfernt und es findet noch genauso statt und ich kriege es nicht mehr so mit, aber es gab eine Phase, da haben Menschen mit Diabetes gerade in den sozialen Medien sehr viel geteilt, wie gut es bei ihnen läuft und dass es eigentlich immer nur eine gerade Linie ist.
Es gab einfach irgendwann so das Gefühl von „gute Diabetiker, schlechte Diabetiker“, damals so in diesem Wortlaut – da waren wir noch entfernt davon „Menschen mit Diabetes“ zu sagen – und man das Gefühl vermittelt bekommen hat: Was mache ich falsch? Bin ich nicht diszipliniert genug? Da ist so ein Druck entstanden, so ein Vergleichsdruck oder ein Leistungsdruck sogar, aber tatsächlich bekomme ich das so jetzt nicht mehr so mit.
Man merkt, dass sich die Community sehr gewandelt hat. Ich glaube, ich bin in einer Zwischenwelt von es gab Menschen vor mir, die die größten Diabetes-Blogs ins Leben gerufen haben und ganz, ganz wichtige Wege geebnet haben. Dann gab es die Zeit, in der ich meinen Blog aktiv betrieben habe, in der es einfach Menschen gab, die das genauso gemacht haben wie ich. Und dann kam eben diese Social-Media-Bubble immer mehr dazu und Diabetes-Influencer. Es ist anders als früher, aber ich würde es nicht als Problem sehen, aber die Community hat sich auf jeden Fall in eine neue Richtung weiterentwickelt.
Katharina Weirauch: Prinzipiell glaube ich, dass jeder Mensch mit Diabetes sein Bestes tut. Ich würde jetzt mal Menschen, die gerade mitten in der Pubertät stecken, ausschließen, weil ich glaube, da ist einfach so vieles los, da geht es hauptsächlich darum, irgendwie unbeschadet durch diese Zeit zu kommen, also auch gerade mit dem Blick auf den Diabetes.
Ansonsten ist es ein Rat von: „Stress dich nicht mehr, als es sein muss. Geh zu deinem Diabetes-Team, hör denen zu, besprich mit denen deine Sorgen. Lass natürlich regelmäßig deine Werte checken. Und wenn das Diabetes-Team sagt, das geht so nicht mehr, natürlich muss man dann danach handeln.“ Aber ich glaube, es ist wichtiger, seine mentale Gesundheit oben zu halten, als rund um die Uhr eine hundertprozentige Time in Range zu haben.
Katharina Weirauch: Ich habe seit vielen Jahren Depressionen. Ich habe vor gar nicht so langer Zeit, es ist jetzt ein knappes Jahr her, erfahren, dass ich auch eine Angststörung habe oder hatte, was mir gar nicht bewusst war. Als ich das damals Freundinnen erzählt habe, haben die gesagt: „Ja klar, das ist doch offensichtlich.“ Bei mir spielt auf jeden Fall die Psyche eine ganz, ganz große Rolle.
Ansonsten gibt es die immer mal wieder schwankende Diagnose Multiple Sklerose, die im Moment nicht mehr so im Vordergrund steht. Tatsächlich ist es in meinem Blog immer noch präsent, dass dieses Thema eine Rolle spielt. Es ist eine komplizierte Story, aber es ist irgendwas zwischen klinisch isolierten Symptomen und MS. Je nachdem, welchen Arzt man fragt, gibt jeder eine andere Antwort, weil es bei der MS, ich glaube, acht Kriterien sind, die man erfüllen muss – und ich erfülle sieben. Mein Liquor ist aber klar und es gibt den einen Teil der Ärzte, die sagen, es gibt eine MS mit klarem Liquor, und es gibt Ärzte, die sagen, wenn man klaren Liquor hat, ist es keine MS. Irgendwo dazwischen befinde ich mich.
Katharina Weirauch: Letztendlich ist es wahrscheinlich die Kombination aus allem. Ich glaube, das macht es immer am schwierigsten. Wenn ich mich einem Gedankenspiel hingebe, wenn ich eine Sache davon abwählen könnte oder ich die Chance hätte, dass eins von heute auf morgen verschwindet, dann wäre es auf jeden Fall der Diabetes, weil der einfach rund um die Uhr Aufmerksamkeit braucht und auch die kurzfristigsten Folgen hat. Wenn ich mich nicht kümmere, wenn ich kein Insulin spritze oder mich um keine Hypo kümmere oder was auch immer, hat das die dramatischsten Folgen in kürzester Zeit.
Und es geht einfach unfassbar viel Denkleistung am Tag in diese Krankheit. Wenn man aber von einer anderen Warte denkt: Wahrscheinlich könnte ich mit allem besser umgehen, wenn die Depression nicht da wäre. Ja, das ist nicht einfach zu ordnen.
Katharina Weirauch: Ja, ich gebe mein Bestes. Es ist tatsächlich aber auch dieses klischeehafte Ding: Mein Humor kommt aus meinem Trauma. Ich bin da einfach irgendwann umgeschwenkt und habe versucht, das alles so zu verarbeiten. Aber ich glaube, je nach Phase und je nach Stärke der Depression schwankt das natürlich auch. Wahrscheinlich ist es auch, dass ich, wenn es mir so schlecht geht, das Haus nicht verlasse und Termine absage. Deswegen erleben mich auch die wenigsten Menschen so, wenn es wirklich unspaßig mit mir ist.
Ansonsten habe ich aber so viel Bock auf das Leben und so viel Freude am Leben, dass ich schon versuche, aus den meisten Situationen einfach das Beste zu machen. Und ich habe einfach gerne Spaß. Wenn ich da irgendwie beitragen kann, bin ich froh.
Interview: Dr. med. Katrin Kraatz
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