Nicole Mattig-Fabian im Interview: Mit Elan, Kreativität und Arbeitseifer

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Nicole Mattig-Fabian im Interview - Mit Elan, Kreativität und Arbeitseifer | Foto: deckbar
Foto: Dirk Michael Deckbar
Nicole Mattig-Fabian im Interview: Mit Elan, Kreativität und Arbeitseifer

Beim Tennis 0:6 und 0:5 hinten zu liegen, spornt Nicole Mattig-Fabian aus Berlin so richtig an. Diese Erfahrung, trotzdem noch gewinnen zu können, hat sie in ihre fordernde Arbeit bei diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe mitgenommen – für die Menschen mit Diabetes.

Im Interview: Nicole Mattig-Fabian

„In dem Erstgespräch, das ich geführt hatte, wurde mir gesagt, dass es 6,5 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland gibt. Und ich wusste nichts davon!“ Wenn man mit Nicole Mattig-Fabian spricht, merkt man, wie sie auch heute noch entsetzt ist über dieses fehlende Wissen vor 15 Jahren. Aber genau das hat die heutige Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe zu dem gemacht, was sie heute ist: eine Kämpferin für Menschen mit Diabetes.

Die frühere Leistungssportlerin – Basketball in der Bundesliga und Tennis – bewältigt ihre sehr vollen Arbeitstage wie sportliche Herausforderungen: „Ich nenne immer gern den Vergleich beim Tennisspielen: Wenn man 0 : 6 und 0 : 5 hinten liegt, kann man das Spiel immer noch gewinnen. So ist das auch mit meiner Arbeit bei diabetesDE: Ich werde nicht aufhören, mit Elan und Kreativität und Arbeitseifer weiterzukämpfen, dass es eben eine bessere Versorgung für die Menschen mit Diabetes geben wird.“ Ausgleich holt sie sich unter anderem beim Laufen und beim Buddeln im Schrebergarten.

Diabetes-Anker: Nicole, Du bist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Was hat Dich zur Diabetologie geführt?

Nicole Mattig-Fabian: Als ich 2009 hörte, dass der Verein diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe eine Leiterin Public Relations zum Aufbau der Organisation suchte, fand ich das sehr interessant. Damals war ich noch Besitzerin, Gesellschafterin, Geschäftsführerin meiner eigenen PR-Agentur, hatte aber in letzter Zeit immer für große Marken, ob das jetzt die Deutsche Bahn, die TUI, Gruner und Jahr oder andere Konzerne waren, immer Konzepte entwickelt, die den Gedanken CSR (Corporate Social Responsibility; Anm. d. Red.) innehatten, also die Gemeinnützigkeit verbunden hatten mit öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten. Das fand ich spannend.

Zuvor lag meine Hauptklientel im Bereich der Medien, des Fernsehens, des Films, Stars und Sternchen. Das ist auch interessant, aber das ist nicht sehr nachhaltig. Mir haben gerade diese Konzepte sehr viel Spaß gemacht. Und als ich dann diese Personensuche las, bin ich eigentlich zu dem Vorstellungsgespräch gegangen, um diesen kleinen Verein zu überzeugen, Kunde bei mir in der Agentur zu werden, dass ich die Öffentlichkeitsarbeit übernehme. In dem Erstgespräch, das ich geführt hatte, wurde mir gesagt, dass es 6,5 Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland gibt. Und ich wusste nichts davon! Und das, obwohl ich täglich alle möglichen Medien konsumiert hatte, von Boulevardpresse über Fachpresse, über seriöse Tagespresse und Tagesaktualität in Fernsehen und Radio – und fand das eine unglaubliche Herausforderung, dieses Problem der Gesellschaft nahezubringen.

Man wollte mich aber unbedingt als Leiterin Public Relations innerhalb der Organisation haben. Und da ich ein Alter erreicht hatte, wo man sich sagt „Ach, vielleicht mache ich jetzt auch noch mal was ganz Neues in einem ganz neuen Bereich und starte dann noch mal durch“, habe ich kurzerhand die Anteile meiner Agentur verkauft und habe es gewagt, diesen Schritt zu gehen und die Position Leiterin Public Relations anzunehmen. Das habe ich anderthalb Jahre gemacht, bis mir dann auch die Geschäftsführung angeboten wurde. Seitdem bin ich Geschäftsführerin von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe.

DA: Was ist diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe genau?

Nicole Mattig-Fabian: Es ist eine gemeinnützige Gesundheitsorganisation, die sich für die Interessen der Menschen mit Diabetes einsetzt. Wir sind keine Selbsthilfe-Organisation, sondern wir treiben durch Öffentlichkeitsarbeit und Marketing und Kampagnen, vor allen Dingen auch durch politische Kampagnen, die Interessen der Menschen mit Diabetes voran. Wir versuchen, die Stimme der Patienten lauter werden zu lassen, denn inzwischen sind aus diesen 6,5 Millionen, die am Anfang meiner Diabeteskarriere standen, ja leider inklusive Dunkelziffer 11 Millionen Menschen mit Diabetes geworden und jede Minute kommt eine Neuerkrankung hinzu. Das ist sicherlich jede Minute eine neue Erkrankung zu viel.

Von daher wollen wir als Organisation mit unserer Interessenvertretung, die wir hier in Berlin machen, mit vielen Einzelgesprächen mit Gesundheitspolitikern und Ernährungspolitikern, aber auch mit politischen Podiumsdiskussionen immer wieder Forderungen für die Menschen mit Diabetes nach einer bestmöglichen Versorgung und einer früheren Prävention und das Thema Nationale Diabetes-Strategie oder Nationaler Diabetesplan voranbringen und eben endlich gesetzlich verankern.

DA: Das passt schon so ein bisschen zu dem, was ich als Nächstes wissen möchte, nämlich: Dein Job ist ja sehr intensiv und zeitaufwendig, wie ich immer wieder mitbekomme. Was treibt dich persönlich an, diese intensive Arbeit so zu machen?

Nicole Mattig-Fabian: Ich glaube, da muss man so konditioniert sein, wie ich konditioniert bin. Ich habe in meinem Leben immer wahnsinnig viel Sport gemacht, ich habe mit drei Jahren mit Sport angefangen. Und ich bin auch im Leistungssport verhaftet gewesen. Erst habe ich Basketball in der Bundesliga gespielt und später Tennis, auch in einer höherklassigen Liga. Und wenn man im Leistungssport ist, dann will man eben lieber gewinnen als verlieren. Es ist ja ein Wettkampf. Letztendlich ist man doch lieber Sieger als Verlierer. Und das treibt einen als Sportler immer wieder an.

Und wenn Hürden da sind oder eben auch Hindernisse, dann weiß man: Okay, dann muss ich dieses Hindernis oder diese Hürde aus dem Weg räumen und werde es trotzdem wieder versuchen. Wenn ein Sportler hingefallen ist, steht er immer wieder auf und versucht, es dann doch bis ins Ziel zu schaffen. Ich nenne immer gern den Vergleich beim Tennisspielen und es war in der Tat auch schon so: Wenn man 0:6 und 0:5 hinten liegt, kann man das Spiel immer noch gewinnen. Und ich habe viele solcher Spiele gewonnen und vergleiche das jetzt mit meiner Arbeit bei diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe: Ich werde nicht aufhören, mit Elan und Kreativität und Arbeitseifer weiterzukämpfen, dass es eine bessere Versorgung für die Menschen mit Diabetes geben wird und dass es endlich verankert wird und eben auch auf Dauer sichergestellt ist.


„Natürlich ist in der gemeinnützigen Arbeit auch ganz wichtig, dass man den Kontakt zu den Ehrenamtlern hält und auch zu dem ehrenamtlichen Vorstand“

DA: Dann lass uns mal einen Blick in deinen Arbeitsalltag werfen. Wie sieht der aus?

Nicole Mattig-Fabian: Ich fange meistens morgens um 8 Uhr an zu arbeiten. Das tue ich sehr gern, weil dann noch nicht das Telefon klingelt und keiner in meiner Tür steht. Meistens schreibe ich frühmorgens Pressemitteilungen oder Texte, weil es dann schön ruhig ist und ich nicht gestört werde. Oder aber ich sichte die ganzen einkommenden Mails, wenn ich es nicht schon am Abend vorher getan habe, was ich aber eigentlich in den meisten Fällen tue.

Ab 9 Uhr sind dann alle Kolleginnen da und es gibt dann natürlich entsprechend interne Meetings. Es gibt Projekt-Meetings und Kreativ-Meetings, wir haben ja sehr viele verschiedene Ausrichtungen für unsere Arbeit. Zum einen, dass wir neben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch medienwirksame Events und Veranstaltungen aufsetzen. Die müssen alle minutiös geplant werden, man muss Abläufe durchgehen, sich überlegen, welche Referenten angesprochen werden sollen, welche Menschen mit Diabetes wir zu welchem Thema integrieren usw. Wir müssen unsere Social-Media-Kampagnen nach vorne bringen, müssen Redaktionspläne aufstellen.

Und dann ist natürlich in der gemeinnützigen Arbeit auch ganz wichtig, dass man den Kontakt zu den Ehrenamtlern hält und auch zu dem ehrenamtlichen Vorstand. In einem gemeinnützigen Verein heißt das, dass wir von der Geschäftsstelle zwar entsprechende Richtungen und Ziele vorgeben, aber unser Handeln wird werden kontrolliert von einem ehrenamtlichen Vorstand. Geht das, was wir tun, in die richtige Richtung geht, entspricht es der Satzung und ist unser Tun noch im Sinn, weswegen diabetesDE mal gegründet worden ist. Das heißt, wir können jetzt nicht einfach neue Wege einschlagen, ohne den Vorstand darüber zu informieren. Das ist also ein ständiger Austausch mit regelmäßigen Uhrzeiten, die in der Woche fest verankert sind.

Es kommen Pressekonferenzen hinzu und ich selber werde natürlich auch zu vielen Vorträgen oder zu Seminaren und Symposien eingeladen, sei es analog in Berlin oder auch in anderen Städten oder eben seit der Corona-Zeit verstärkt auch digital, an denen ich teilnehmen muss. Und es gibt natürlich auch den sehr wichtigen Austausch mit anderen Verbänden, sei es mit den Selbsthilfeorganisationen oder Fachverbänden, wo es regelmäßigen Austausch gibt wie der Deutschen Diabetes Gesellschaft, mit der auch die Räumlichkeiten teilen. Bei der DDG werde ich auch zu Vorstandssitzungen geladen, um über unsere Arbeit zu berichten, oder es gibt den Austausch mit dem VDBD (Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland; Anm. d. Red.).

Dann der viele Austausch mit unseren medialen Partnern, unter anderem mit MedTriX, wo wir ja auch einige Aktivitäten zusammen voranbringen. Und wenn man jetzt noch mal auf die digitale Welt zurückkommt: Das kostet fast inzwischen am meisten Zeit, die ganze Online-Community voranzubringen, nicht nur durch unsere Kampagne #SagEsLaut, sondern auch zu anderen Partnern, die Online-Communitys aufgebaut haben, den Kontakt zu halten und gemeinsam Strategien nach vorne zu bringen, sei das jetzt der Diabetes-Anker, Diabetes-Kids oder #dedoc°.

DA: Das ist wirklich vielfältig, was da im Alltag auf dich einströmt.

Nicole Mattig-Fabian: Das ist sehr vielfältig. Und hinzu kommt natürlich: Wir sind kein klassischer Verein, der sich durch Mitgliedsbeiträge finanziert. Wir haben bei diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe ein Konstrukt, dass wir eine Mitgliederversammlung mit nur 30 Mitgliedern haben. Die sind teilweise entsendet von unseren Förderorganisationen DDG und VDBD, die sind teilweise aus der Community gewählt. Paritätisch sitzen da Menschen mit Diabetes, Ärzte und Diabetesberaterinnen. Und diese 30 Mitglieder zahlen auch keinen Mitgliedsbeitrag. Man kann man bei uns darüber hinaus nur Fördermitglied werden, aber kein klassisches Vereinsmitglied.

Da ist jetzt die große Frage natürlich, die sich anschließt: Wie finanzieren wir uns? Und das ist der andere Teil meiner Arbeit. Wir brauchen Spenden-Einnahmen, wir brauchen Förder-Einnahmen, wir brauchen Sponsoring für unsere ganzen Events und wir brauchen für unsere Arbeit weitere freie Gelder, die wir oft auch aus Lizenz-Einnahmen generieren. Um ein Beispiel zu nennen: Wir arbeiten seit fünf Jahren zum Beispiel mit dem Partner Apollo-Optik zusammen, die das Thema „Diabetes und diabetische Retinopathie“ mit uns gemeinsam in die Gesellschaft bringen und in ihren 850 Filialen darüber aufklären. Und das ist eine langfristige Kooperation. Sie nutzen unser Logo für diese Aufklärungsaktivitäten in den Filialen und auch auf den Websites und dafür bekommen wir eben Lizenz-Einnahmen.

Als Geschäftsführerin, die eben auch für das Kaufmännische verantwortlich ist, verantworte ich diesen Bereich und sorge mit diesem Finanzierungsmix dafür, dass der Verein finanziell nicht untergeht. Auch wenn dies immer schwerer wird.

DA: Hat sich in den Jahren, in denen du die Geschäftsführung hast, irgendwas verändert beziehungsweise verschoben? Denn Apollo-Optik ist ja keine klassische Diabetes-Industrie oder ein Unternehmen dieser Art.

Nicole Mattig-Fabian: Ja, das war, ehrlich gesagt, ganz persönlich immer mein Ansatz, weil ich eben auch aus einem ganz anderen Bereich komme. Und es musste ja irgendeinen Grund haben, warum ich damals nicht wusste, dass es 6,5 Millionen Menschen mit Diabetes gab. Das habe ich genau analysiert. Es drehte sich früher eigentlich die Diabetologie immer nur um ihren eigenen Planeten und ist nicht in die Fläche gegangen, nicht zu den Menschen, die vielleicht nicht wissen, dass sie Diabetes haben, oder die vielleicht gefährdet sind, Diabetes zu bekommen. Wir müssen in die Lebensumfelder der Menschen hineinkommen und diese auch erreichen, z.B. durch Medien, die eben nicht fachspezifisch sind.

Ich weiß noch: Als ich meine erste Doppelseite in der Bild am Sonntag generiert hatte, war ich stolz. Aber die Herren Professoren schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, haben gesagt: „Um Gottes Willen! Sonst veröffentlichen wir im Lancet (medizinische Fachzeitschrift; Anm. d. Red.) – und jetzt sind wir in der Bild am Sonntag.“ Das hat sich natürlich extrem geändert. Da haben wir einen Turnaround geschaffen, weil alle erkannt haben: Natürlich müssen wir mit unseren Botschaften auf die Straße und wir müssen erreichen, dass, wenn man den „Hausfrauentest“ macht und wir zehn Menschen in der Fußgängerzone befragen, zumindest acht eine Vorstellung haben, was Diabetes ist, was das für eine Volkserkrankung ist und dass es Typ-1- und Typ-2-Diabetes gibt.

Und das war auch vor Jahren nicht der Fall. Da bin ich selbst in die Fußgängerzone gegangen, um mir ein Bild darüber zu machen, und habe eine Straßenumfrage gemacht. Und die Ergebnisse, die waren verheerend. Ich denke mal, dass wir dazu beigetragen haben, dass das inzwischen ein bisschen anders aussieht, evtl. auch durch oben beschriebene Kooperationen.


„Bei der Diabetes-Charity-Gala stellen wir karitative, soziale Spendenprojekte in den Vordergrund.“

DA: Das klingt gut. Du hattest vorhin in der Beschreibung der Arbeit auch Veranstaltungen erwähnt. Was für Projekte standen und stehen auf deiner Agenda bei diabetesDE?

Nicole Mattig-Fabian: Das sind sehr unterschiedlich gelagerte Projekte und Veranstaltungen. Zum einen machen wir Veranstaltungen, die wirklich die ganz breite Öffentlichkeit ansprechen, wie analoge Patientenveranstaltungen rund um den Weltdiabetestag oder auch digitale Veranstaltungen rund um den Weltdiabetestag oder auch Veranstaltungen, die sich einfach an Menschen richten, die sich für Diabetes interessieren könnten.

Wir haben jetzt seit dem letzten Jahr die Diabetes-Sommertour in Travemünde gestartet. Da gehen wir dorthin, wo Menschen Urlaub machen und vielleicht gar nicht wissen, dass sie Diabetes haben. Vor Ort bekommen sie die Möglichkeit, Vorträge zu verfolgen, ins Gespräch zu kommen mit Experten, mit Fachleuten, aber auch Bewegungsangebote wahrzunehmen oder sich zum Thema Ernährung die neuesten Erkenntnisse anzuhören und bei der Industrieausstellung eventuell auch mal ihre Werte überprüfen zu lassen. Das ist das eine. Und das andere sind klassische Patientenveranstaltungen mit wissenschaftlichen Vorträgen, die meistens im November im Weltdiabetestags-Monat stattfinden. Das ist neben dem Weltdiabetestag selbst neu seit letztem Jahr „Meilensteine der modernen Diabetologie“, wo wir auch vor allen Dingen die schnell und rasant entwickelte Technik rund um den Diabetes in den Vordergrund stellen und hier auch mit wissenschaftlichen Vorträgen die Teilnehmer unterhalten.

Darüber hinaus gibt es aber auch Veranstaltungen, die einen geschlossenen Personenkreis ansprechen. Das können politische Podiumsdiskussionen sein, um eben weiter unsere Lobbyarbeit nach vorne zu bringen. Unter anderem haben wir vor mittlerweile zehn Jahren eine Fußballmannschaft gegründet – die nennt sich FC Diabetologie –, die einmal im Jahr gegen den FC Bundestag antritt, weil dort nämlich Parlamentarier aller Parteien aus allen Ressorts spielen. Und wir haben immer gesagt: Wenn wir was erreichen wollen, müssen wir den Diabetes gesamtgesellschaftlich verankern. Und hier kommen wir nach diesem Fußballspiel in der dritten Halbzeit bei einer politischen Podiumsdiskussion mit den Politikern ins Gespräch und versuchen auch immer wieder, die Thematik zu platzieren, dass es eine nationale Diabetes-Strategie braucht.

Darüber hinaus gibt es auch kleinere Politikerrunden. Wir haben schon mit Politikern zusammen gekocht, um ihnen nahezubringen, dass es auch in der Ernährungsstrategie vorangehen muss, dass wir eine Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz brauchen, um den Menschen eine gesunde Kauf-Entscheidung zu ermöglichen, damit weniger Menschen an Typ-2-Diabetes erkranken.

Und dann gibt es noch eine geschlossene Veranstaltung, die ist gesetzt einmal im Jahr im Oktober, die machen wir in diesem Jahr das 13. Mal: die Diabetes-Charity-Gala. Da stellen wir wiederum karitative, soziale Spendenprojekte, die sich mit Diabetes oder mit der Prävention und der besseren Versorgung und Vorsorge beschäftigen, in den Vordergrund. Wir sammeln über den Abend hinweg und auch im Vorfeld Spenden ein und können somit die Spendenprojekte für die nächsten zwei Jahre unterstützen und ihren Weitererhalt gewährleisten. Das ist eine Gala-Veranstaltung, bei der Menschen mit Diabetes geladen sind, viele Healthcare Professionals, viele Vertreter aus der Gesundheitsbranche, aber eben auch Prominente und Politiker. Da stellen sich viele in den Dienst der guten Sache. Das ist eine geschlossene Veranstaltung, weil nicht mehr als 400 Personen in den gebuchten Saal reinpassen, wir sind im Tipi am Kanzleramt.

DA: Du hast mehrfach jetzt die Politik und die Politiker erwähnt. Wie ist denn da die Akzeptanz, dass jemand auf sie zukommt und sagt, wir müssen mehr für Menschen mit Diabetes tun?

Nicole Mattig-Fabian: Die Akzeptanz, wenn wir einen Termin oder ein Gespräch möchten, ist groß. Die Politiker möchten ja alle wiedergewählt werden und sie wissen angesichts der Zahlen, dass letztendlich 11 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Da können sie die Anfrage nach einem Gespräch nicht ignorieren, das geht nicht. Auf der anderen Seite ist das Thema Diabetes für einen Politiker insofern erstmal maximal uninteressant, weil ein Politiker in genau einer Legislaturperiode denkt. Das sind vier Jahre und in vier Jahren kann man schwer das, was in den letzten Jahrzehnten versäumt worden ist, aufhalten. Das heißt, wenn sich ein Politiker jetzt extremst für die Diabetes-Prävention oder eben für Maßnahmen einsetzen würde, dann hat er nach vier Jahren noch kein Erfolgserlebnis vorzuweisen, sondern der braucht einen langen Atem.

Ich bin seit 15 Jahren dabei und ich kenne genau einen einzigen Politiker, der diesen langen Atem hat, und den hat er, weil er selber betroffen ist und auch eine intrinsische Motivation hat: Dietrich Monstadt von der CDU/CSU. Jetzt ist er in der Opposition und ist enttäuscht, dass, obwohl er noch bei der letzten Regierung, eine Woche, bevor die Legislatur zu Ende ging, einen Antrag zu einer nationalen Diabetes-Strategie in den Bundestag einbringen konnte und die dort auch verabschiedet worden ist, die Folgeregierung diesen Auftrag nicht umgesetzt hat und der letztendlich in irgendeinem politischen Umzugskarton versauert. Das ist natürlich frustrierend, für uns und auch für die Politiker selber.


„Ich möchte mir nicht anmaßen, auch nur annähernd mich in diese Menschen hineinversetzen zu können“

DA: Aber ihr bleibt trotzdem hartnäckig dran?

Nicole Mattig-Fabian: Ja, man sagt im politischen Berlin immer, Lobbyarbeit ist ein bisschen wie, einen Pudding an die Wand zu nageln: Der rutscht immer wieder runter, aber solange er nicht auf dem Boden liegt, versuchen wir es weiter.

DA: Sehr gut. Du arbeitest jetzt schon so viele Jahre für die Belange von Menschen mit Diabetes. Wie gut kannst du dich selbst in das Leben von Menschen mit Diabetes hineinversetzen?

Nicole Mattig-Fabian: Ich glaube, ich kann mich sehr gut in die Menschen mit Typ-2-Diabetes reinversetzen. Ich führe extrem viele Interviews für unsere Publikation, für unsere Website, für unsere Podcasts, die Interviews benötigen wir zur Vorbereitung. Das heißt, ich kenne einfach Einzelfälle noch und nöcher. Diese Interviews führe ich natürlich auch mit Typ-1ern und auch in die kann ich mich gut reinversetzen.

Wo es bei mir aufhört, wo ich nicht der Meinung bin, ich könnte das hundertprozentig nachvollziehen, ist natürlich die Diabetes-Technik, der tägliche Umgang damit, die Belastung. Vielleicht sehen es die Menschen auch nicht alle so, aber täglich mit einer Diabetes-Technik am Körper leben zu müssen, das kann man sich, glaube ich, nur vorstellen, wenn man das selber lebt und erlebt. Und ich als gesunder Mensch, die nur Diabetes als Kommunikation und politische Aufgabe in ihrem Leben hat, möchte mir nicht anmaßen, auch nur annähernd mich in diese Menschen hineinversetzen zu können.

Gleichwohl haben wir natürlich so viele persönliche Treffen, sodass ich mir eine Meinung bilden kann. Wir hatten Ende August das persönliche Treffen DiaNet(t) in Berlin, wo viele Typ-1er da waren, die mich teilhaben lassen an ihrem Leben, an ihren Sorgen, an ihren Ängsten, an ihren täglichen Herausforderungen. Wenn man mit Typ-1ern in einem Raum zusammen ist, piept immer irgendwas. Natürlich sehe ich, wie selbstverständlich sie mit ihrer Technik umgehen, aber wie gesagt, ich möchte mir nicht anmaßen, dass ich mich nur annähernd in die Lage eines Typ-1ers oder einer Typ-1erin versetzen kann.

DA: Du hast schon berichtet, dass du ein sehr aktiver, sehr sportlicher Mensch bist. Hat die intensive Beschäftigung mit dem Diabetes trotzdem dein Leben irgendwie noch beeinflusst?

Nicole Mattig-Fabian: Hat sie sehr wohl. In die Phase, in der ich jetzt bei diabetesDE arbeite, fiel auch meine persönliche Umstellung als Frau, nämlich die Wechseljahre, und ich nahm innerhalb kürzester Zeit – das ist jetzt gut zehn – bestimmt zehn Kilo zu. Das hat mich natürlich als Sportlerin wahnsinnig gestört und ich habe mich dann damit beschäftigt, dass ich irgendwas ändern musste. Ich habe noch nie großartig Berge gegessen, aber ich habe hin und wieder auch ganz gerne mal Gummibärchen oder Schokolade oder Kekse oder sonst was zu mir genommen.

Ich habe mich mit dem Thema Zucker beschäftigt und ernähre mich eigentlich heutzutage so gut wie zuckerfrei. Da lege ich mir keine Verbote auf, natürlich gibt es mal Ausnahmen. Ich liebe zum Beispiel Eis im Sommer und es darf auch mal im Monat ein Stück Kuchen sein, aber ich glaube, ich habe seitdem nie wieder ein Stück Schokolade oder Gummibärchen angerührt, habe die zehn Kilo wieder runter und ernähre mich noch gesünder, als ich das vorher getan habe. Und Sport, vielleicht ist sogar noch mehr Sport hinzugekommen, gehört sowieso dazu. Ich bemühe mich heutzutage in der Tat, wenn ich es nicht geschafft habe, zum Sport zu gehen, was selten vorkommt, aus dem Büro in Berlin Mitte nach Hause zu laufen oder zumindest einen dreiviertel Weg zurückzulegen. Das sind dann anderthalb Stunden zu Fuß, damit ich auf meine 10.000 Schritte komme.


„Inzwischen baue ich über den Sommer hinweg selber Gemüse oder Obst an. Und auch das macht mir wahnsinnig viel Freude.“

DA: Ist die Bewegung auch ein Teil des Ausgleichs von deiner täglichen Arbeit?

Nicole Mattig-Fabian: Total. Das war es aber schon immer in meinem Leben. Auch wenn es irgendwelche kritischen Aufgaben gab oder knifflige Aufgaben, wo viel Kreativität gefragt war, bin ich in meinem Leben immer schon laufen gegangen oder im Winter aufs Laufband. Meine Kolleginnen müssen immer schmunzeln, wenn ich sage: „Ich würde da gerne mal eine Idee mit euch besprechen.“ Dann verdrehen die immer die Augen und sagen: „Die Chefin war wieder auf dem Laufband.“ Also, nein, das ist für mich ein totaler Ausgleich und so habe ich auch nicht das Gefühl, obwohl ich einen sehr vollgepackten Terminkalender habe, dass ich Stress mit in meinen Feierabend nehme oder er mich am Wochenende belastet. Ich kann Stress durch Sport sehr gut ausgleichen.

DA: Gibt es noch andere Ausgleichs-Möglichkeiten, die du wahrnimmst?

Nicole Mattig-Fabian: Ja, ich koche gerne. Auch das hat sich wahrscheinlich ein bisschen verändert, weil ich natürlich aufgrund meines Wissens, das ich mir durch den Diabetes und in der Diabetologie aneignen konnte, auch noch mal ein Stück mehr gesünder koche, mich noch mehr mit neuesten Food-Trends auseinandersetze und viel ausprobiere, extrem viel mit Gewürzen arbeite – das habe ich früher nicht so gemacht – und, ja, mich einfach dafür interessiere. Das ist mein zweiter Ausgleich. Ansonsten bin ich ein fröhlicher und geselliger Mensch, treffe mich viel mit Freunden und Familie, besonders meine Enkelin hat es mir angetan.

Und der dritte Ausgleich, den ich seit ein paar Jahren habe, ist, dass ich einen kleinen Schrebergarten habe, mitten in Berlin, mitten im Wald, nicht weit von meiner Wohnung. Ich bin mit dem Fahrrad in acht Minuten da und er liegt auf meiner Joggingstrecke. Inzwischen baue ich über den Sommer hinweg selber Gemüse oder Obst an. Und auch das macht mir wahnsinnig viel Freude. Ich hätte mir nie vorstellen können, weil ich ja immer Power, Power, Power beim Sport mache, dass das der ideale Ausgleich ist. Und am Sonntag ist es wieder so weit, im Herbst beispielsweise 100 Tulpen- oder Krokuszwiebeln in der Erde zu verbuddeln, kopfunter und immer wieder hoch. Das sind auch Squats, die man da macht, und das ist ein wunderschöner Ausgleich.

DA: Super, das war ein gutes Schlusswort. Habe ich aus deiner Sicht irgendetwas vergessen, was für dich noch wichtig wäre?

Nicole Mattig-Fabian: Vielleicht noch eins: Aus meinem alten Leben fragen mich immer wieder Menschen, die eben aus dem Medienbereich kommen, Film, Fernsehen, Stars und Sternchen, ob mir denn bei meiner heutigen Aufgabe nicht langweilig wäre. Ich kann dazu nur sagen, mir war noch nie so wenig langweilig wie heute, seitdem ich in der Diabetologie tätig bin. Und auch hier, das wirst du wissen, versuche ich das ja immer auf breite Beine zu stellen und auch viele Prominente zu integrieren. Das heißt also, mir kann gar nicht langweilig werden bei diesem Thema, das wir so breit aufgestellt haben. Es ist jeden Tag wieder neu und bietet jeden Tag neue Herausforderungen und ich liebe es.

DA: Wunderbar. Ganz herzlichen Dank, Nicole!

Interview: Dr. med. Katrin Kraatz

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