Obdachlos: Zucker auf der Straße

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Obdachlos: Zucker auf der Straße

Wo bekomme ich die nächste Mahlzeit her? Wie kann ich meine regennassen Klamotten trocknen? Und was tun, wenn der Suchtdruck immer größer wird? Wer als Obdachloser tagtäglich mit solchen Überlebensstrategien zu kämpfen hat, kann sich nur schwer um seinen Diabetes kümmern. Falls er überhaupt gerade Insulin hat.

Fünfmal die Woche zu den Brennpunkten der Obdachlosen

Das erzählt Annette Antkowiak, die seit 20 Jahren das Krankenmobil der Caritas in Hamburg koordiniert. Fünfmal die Woche fährt das Team des Krankenmobils auf festen Touren zu den Brennpunkten der Obdachlosen und behandelt dabei wie in einer Hausarztpraxis von Kopfschmerzen bis zu offenen Unterschenkelgeschwüren jeden, der kommt. Und immer begleitet von einem fest angestellten Fahrer oder einer Fahrerin und einem der 16 ehrenamtlichen ÄrztInnen aus vielen verschiedenen Fachrichtungen.

„Die Orte und Zeiten haben unsere Patienten gelernt“, berichtet die engagierte Krankenschwester, die das nötige autoritäre Auftreten mit spürbarer Fürsorge vereint. „Montagabends stehen wir zum Beispiel unter anderem am Hansaplatz, mittwochs ist meist ein polnisch sprechender Arzt dabei – unsere Patienten kennen unser Angebot und sind sehr dankbar dafür.“

„Bei jeder Belegung ist ein Diabetiker dabei“

Wer zu krank ist, um auf der Straße versorgt zu werden, wird in die Krankenstube in St. Pauli vermittelt, das zweite medizinische Angebot der Caritas in Hamburg. Dort gibt es 18 Betten, sechs MitarbeiterInnen arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr, und einmal in der Woche kommt ein Arzt. Die Patienten bleiben zwischen einer Woche und einem halben Jahr.

„Bei jeder Belegung ist ein Diabetiker dabei“, bilanziert Antkowiak, die aber auch klarmacht, dass Diabetes nicht das primäre Problem der Wohnungslosen ist, die neben dem täglichen Überlebenskampf zusätzlich häufig mit Suchtproblematiken zu kämpfen haben. Vor allem Sprachbarrieren machen Schulung und Sensibilisierung für das Thema schwer, auch wenn Betroffene in der Krankenstube regelmäßig ihren Blutzucker messen und ein festes Behandlungsschema erhalten.

Alle Medikamente sind gespendet

Das Ziel bei jedem obdachlosem Diabetiker sieht Antkowiak in der Übermittlung an die Schwerpunktpraxis in der Hamburger Innenstadt. Das ist die dritte Säule im Medizin-Angebot für Obdachlose der Caritas an der Elbe. Dort finden dreimal die Woche Sprechstunden statt; dank einer Kassenzulassung der Praxis und einem Agreement zwischen Behörde, AOK Hannover und der Caritas können Patienten auch ohne Krankenversicherung dort zuschlagsfreie Rezepte erhalten.

Dort bekommen Diabetiker auch Insulin, sofern welches vorrätig ist. Denn die Medikamente bezieht die Caritas auf Spendenbasis. „Metformin haben wir immer, aber die bessere Variante Velmetia und Insulin kaum“, so die Leiterin des Krankenmobils. „Ich bitte alle Diabetiker, die noch haltbare Medikamente haben, die sie nicht mehr benötigen, nicht nach Afrika zu spenden, sondern uns zu geben.“ Denn abgelaufenes Insulin verabreichen, das käme für Antkowiak nicht in Frage. „Die obdachlosen Menschen stehen doch eh schon am Rand der Gesellschaft.“

„Danke, du bist mein Engel!“

Antkowiak ist ein echter Engel für die rund 2.000 offiziell gezählten Obdachlosen in Hamburg (plus Dunkelziffer, die durch die Flüchtlingswelle stark gestiegen ist). Das spürt man schnell, wenn man eine Tour im Krankenmobil begleitet. Und das sagen ihr einige Patienten auch ganz direkt: „Danke, du bist mein Engel!“

Sprachbarrieren sind eines der größten Probleme. Annette Antkowiak hat daher Piktogramme gebastelt, auf die die Patienten einfach deuten können. © Susanne Löw

Man kennt sich ja auch schon teils seit vielen Jahren, das Krankenmobil führt eine Patientendokumentation, Antkowiak und ihr Team können nachsehen, was beispielsweise im Jahr 2005 verabreicht wurde. Kommen darf jeder, auch in die Krankenstube und in die Praxis – es sei denn, die Patienten halten sich wiederholt nicht an die Hausregeln. Wer andere tätlich oder auch verbal angreift, erhält Hausverbot.

Wenn die Caritas-Helfer auf einen absoluten Notfall treffen – Antkowiak erinnert sich an einen Diabetiker im Krankenmobil, der kein Insulin mehr hatte und bei dem das Messgerät nur noch „High“ angezeigt hat –, schicken sie ihn in die Notaufnahme einer Klinik. Da muss geholfen werden – auch ohne Versicherungsschutz. Der Notfalltopf bezahlt. „Dort werden die Leute auf ein Blutzucker-Normalmaß gebracht und wieder auf die Straße gesetzt“, berichtet Antkowiak. Was würde sie sich wünschen? „Eine Diabetes-Praxis, in der auch polnisch gesprochen wird, die kostenfrei arbeitet.“

Die bessere Alternative

Ist es nicht unglaublich frustrierend für die Helfer, wenn Patienten sich nicht an Therapievorgaben halten (können), immer wieder abstürzen, zwischen zwei Krankenmobil-Touren an multiplem Organversagen sterben? Wenn man ihnen nur begrenzt Medikamente mitgeben kann oder Menschen mit tiefen Wunden nicht wie vereinbart die Woche drauf wiederkommen, sondern erst nach drei Wochen, wenn alles wieder entzündet ist?

Das habe ich auch die Chirurgin Janina Eigenwald gefragt, die auf der Tour arbeitet, bei der ich dabei sein durfte. An ihre Antwort muss ich oft denken: „Frustrierend? Nein. Alle Obdachlosen, die wir heute Abend behandeln, haben entweder uns oder gar niemanden. Da sind wir eindeutig die bessere Alternative, wir können zumindest immer ein bisschen helfen.“

Hat jemand Insulin oder andere Medikamente und Diabetesutensilien übrig? Frau Antkowiak und ihre Caritas-Kollegen freuen sich über eine Nachricht – und damit auch alle obdachlosen Diabetiker in Hamburg. Tel.: 040/38088112 ; E-Mail: antkowiak@caritas-hamburg.de

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  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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