Nils Henkel: Natur pur

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© Hans Lauber
Nils Henkel: Natur pur

Das Echt essen-Gasthaus im April: Im eleganten Binger „Bootshaus“ begeistert der Spitzenkoch mit aromastarker Vitalküche, bei der auch Gemüse fulminant aufspielt.

Den Ausnahmekoch Nils Henkel begleite ich seit Jahrzehnten. Kennen gelernt habe ich ihn im zauberhaften „Schloss Lerbach“ bei Köln als Stellvertreter der Drei-Sterne-Legende Dieter Müller. Nach dessen Ausscheiden übernahm Henkel dort das Zepter und kreierte als einer der ersten Spitzenköche einen damals noch revolutionären Küchenstil: Er gönnte bei vielen Gerichten dem Gemüse einen fulminanten Auftritt. Wie gut das schmecken kann, erlebte ich in einem wunderbaren Gemüsemenü im Juli 2014 – kurz bevor das Restaurant wegen dem Auslaufen des Pachtvertrags geschlossen wurde.

Harmonischer Dreiklang 2019: Avocado, Erbsen, Koriander

Ein fulminantes Comeback feierte der Autor Maßstäbe setzender Kochbücher (vor allem „Flora“ mit 75 vegetarischen Rezepten) 2017 auf „Burg Schwarzenstein“ im Rheingau. Sofort wurde Henkel dort Koch des Jahres, erhielt zwei begehrte Michelin-Sterne. Auf den ersten Blick stimmte alles im Schloss inmitten von Reben und phänomenaler Aussicht: Ein großartiges Team in Küche und Service schuf beste Voraussetzungen für ein federleicht aromenstarkes Gourmeterlebnis – und so durfte ich dort im Juli 2019 eines der besten Menüs meines Lebens genießen, wo auch Fisch und Fleisch perfekt integriert waren. Henkel war auf dem Höhepunkt seiner Meisterschaft, und es macht heute noch Freude, diese herrlichen Gerichte anzuschauen. Doch Corona und eine wohl nicht mehr stimmige Chemie zwischen Koch und Eigentümern bereiteten dem Traum Anfang 2020 ein jähes Ende.

Holz, Design, Kunst und Vintage: „Papa Rhein“

Wieder einmal neu erfinden musste sich Nils Henkel. Und wieder einmal ist ihm das überzeugend gelungen – und so ist er seit August 2020 Küchenchef im Binger „Bootshaus“. Das lichtdurchflutete Restaurant gehört zum Hotel mit dem lustigen Namen „Papa Rhein“. Wer da an eine verschnarchte Tourifalle denkt, wird äußerst angenehm überrascht. Das von der erfolgreichen Gastronomenfamilie Bolland erbaute Lifestyle-Etablissement punktet mit viel Holz, Design, Kunst, Vintage-Möbeln und über 100 individuellen Zimmern und Suiten. Der quirlig lebendige Wohlfühlort mit Spa, Konferenzräumen, einem spektakulären Dachpool liegt direkt am Rheinufer mit Blick auf weltberühmte Rheingauer Weinlagen (führend hier die Familie Breuer) und das zechfröhliche Rüdesheim.

Eine gelungene Melange aus amerikanischer Lässigkeit und europäischer Eleganz.

Fährt nach Rüdesheim: Fähre neben dem „Bootshaus“

Einen Paradigmenwechsel bedeutet das „Bootshaus“ für den 52-jährigen: Hier stehen nicht teure Menüs im Vordergrund, sondern es müssen alle zwei Monate bezahlbare Gerichte für eine mehrheitsfähige bürgerliche Spitzenküche konzipiert werden. Ein schwieriger, immer wieder versuchter Spagat, der Henkel erstaunlich gut gelingt. Aus seiner großzügigen, offen einsehbaren Küche kommen Gerichte wie Meeräschenfilet, Gerösteter Schweinebauch, Panna Cotta und wunderbar Gemüsiges. Wobei es à la carte nur mittags gibt, denn am Abend sind kleine Menüs weitgehend vorgegeben – und im Wesentlichen für die zahlreichen Hausgäste bestimmt.

Begleitet die hocharomatische Erbsensuppe: Fjordlachs

Erbsen liebt Nils Henkel über alles – und so bestelle ich natürlich die herrlich konzentrierte, standesgemäß mit Minze gewürzte Erbsensuppe für 12 Euro. Perfekt gegart dazu drei Stücke vom Fjordlachs – wobei mich auch eine geräucherte heimische Forelle erfreut hätte. Probiert habe ich auch noch den „Seglersnack“ für 12 Euro, wo mich eine aufgeschlagene Nussbutter begeistert, und ich mit großer Freude einen geräucherten Aal genieße, der von einem Freund aus Henkels Norddeutscher Heimat stammt.

Traum-Trilogie: Grüner Spargel, Soja-Creme, Soja-Schaum

Ein Klassiker der Henkel-Küche (heute heißt so etwas Signature Dish) ist dieses hinreißende Gericht, wo perfekt gegarte Spargeln in einer wohlig-intensiven Soja-Reis-Creme baden und von einem schwarzen Soja-Schaum gekrönt werden. Pep steuern eingelegte japanische Aprikosen bei und eine feine Nussbutter-Jus rundet das mittägliche Genusspaket.

Der bestellte Riesling Kreuznacher Kahlenberg vom Nahe-Topweingut Dönnhoff für 34 Euro tut sich ein wenig schwer mit dieser Aromenvielfalt. Leider gab es statt dem annoncierten, leicht gereiften 2018er-Jahrgang den 2020er – und der war mit seiner straffen Säure noch etwas zu jung. Insgesamt aber ist die klug komponierte Weinkarte mit ihrer Konzentration auf Nahe und Rhein und fair kalkulierten Tarifen eine höchst erfreuliche Sache.

Ruht auf Bärlauch-Risotto: Onsen-Ei

Welch wunderbarer Zufall: Einen Tag vor meinem Bingen-Besuch erhalte ich den „Feinschmecker“ vom Mai 2022 – und da präsentiert Nils Henkel fünf Frühlings-inspirierte Gemüse-Geniestreiche. Ein Rezept ist das fürs „Bootshaus“ leicht abgewandelte Bärlauch-Gericht für 18 Euro. Hier ruht auf einem Bärlauch-Risotto ein bei 65 Grad im Wasserbad 50 Minuten gegartes Onsen-Ei, das eine cremige-Konsistenz besitzt. Statt den im Originalrezept verwendeten Morcheln zieren hier eher grobmotorische, geröstete Perlzwiebeln das Gericht, welches ein perfekter Bärlauch-Jus umschmeichelt.

Confierter Spargel, Mascarponecreme und als Clou: Kaffeöl

Tanja Mutschler heißt die souveräne Restaurant-Leiterin, die mit großer Umsicht und Herzlichkeit die vielfältige Gästeschar betreut – und einen freundlichen männlich-weiblichen Service dirigiert. Äußerst kundig erläutert die auch als Sommelière agierende, von hier Stammende die einzelnen Gerichte – und macht beim confierten Spargel mit Mascarponecreme für 22 Euro vor allem auf das flirrend-feine Kaffeeöl aufmerksam. Eine begeisternde Zutat, die sich aus Espressobohnen, Espresso und Sonnenblumenöl leicht selbst fabrizieren lässt.

Henkel all inclusive: Gemüse, Grünes, Körner, Miso, Sud

Betrachte ich die vielen Fotos, die ich von Henkel-Gerichten gemacht habe, fallen Konstanten auf: Meist steht ein Produkt im Mittelpunkt (wie hier die Aubergine); fast immer verwendet er saisonale Kräuter und Sprossen (hier etwa den gezackten jungen Meerrettich); fast immer sind auch Körner und Samen dabei, die gerne auch geröstet und gepufft werden; sehr gerne nimmt er Gewürzmischungen (wie etwa hier Kümmel, Korianderkörner, Kardamom); auch Miso kommt oft vor (siehe unten); und dann wird fast immer alles federleicht gebunden über Sude und Öle (wie etwa als aufwendiger Teriyakisud, siehe auch „Feinschmecker“ vom Mai 2022). Hinreißend schmeckt das, ist abwechslungsreich – und vor allem höchst zukunftsträchtig:

Denn die Henkel-Küche ist eine vitalisierende Gesundküche. Würde so ein Küchenmeister in Krankenhäusern kochen, könnten die endlich in Gesundhäuser unbenannt werden!

Allen Grund zum Strahlen: „Miso-Peter“

Den Geschmack verstärken, ohne auf Geschmacksverstärker wie Glutamat zugreifen zu müssen, ist Nils Henkel sehr wichtig. Deshalb arbeitet er seit Jahren mit Peter Koch aus dem Schwarzwald zusammen, der sich gerne „Miso-Peter“ nennt. Er fertigt das traditionelle japanische Würzmittel, das aus Soja hergestellt wird, auch mit heimischen Lupinen, und das alles in Bio-Qualität. Eine fein-blumige Zutat, die Fische, Gemüse und Salate einen Hauch besser macht.

Kennen gelernt habe ich den begeisternden Qualitätsenthusiasten, der eine innovative Produktpalette geschaffen hat, auf der Köchemesse „Chefsache“, wo auch das Foto entstanden ist.

„Ich muss nichts mehr beweisen“: Nils Henkel

Auch nach einem anstrengenden Service (wobei der angenehme Ton in der Küche auffällt) im vollen Haus nimmt sich Nils Henkel noch ein paar Minuten Zeit. Da ist einer, der alle Höhen und Tiefen des Geschäfts kennt, und der kann sagen: „Ich muss nichts mehr beweisen“ – weder sich noch anderen. Er muss auch keinem Stern mehr hinterherhecheln. Wenn er kommt (für mittags wäre er angebracht), kommt er. Wenn nicht, geht das Leben weiter.

Gelassen blickt er in die Zukunft, nimmt sich seine freien Tage, um nicht wie viele Köche irgendwann ausgebrannt zu enden. Sicher hat er noch Pläne. Sicher wird er innerhalb des weitläufigen Hotels irgendwann Strukturen finden, um für seine zahlreichen Bewunderer Pop up-Events zu schaffen, wo er für und vielleicht mit ihnen exklusiv kocht, ohne sich an ein festes Restaurant binden zu müssen. Mir hat es jedenfalls große kulinarische Freude bereitet, diesen sympathischen Koch so lange begleiten zu dürfen!

Fazit: Alle suchen legeres, bekömmliches und bezahlbares Casual Fine Dining. Hier wird´s serviert.

„Bootshaus“ im Hotel „Papa Rhein“


Adresse: Hafenstraße 47, 55 411 Bingen

Öffnungszeiten: À la carte nur von Mittwoch bis Samstag ab 12 Uhr 30. Abends vorgegebene 3-Gang-Menues – im Wesentlichen für Hausgäste. Unbedingt reservieren.

Kontakt: 06721/35 010, www.paparheinhotel.de

Eine der schönsten deutschen Flusspromenaden ist am Bingener Rheinufer im Gefolge einer Gartenschau entstanden. Vom „Papa Rhein“ lässt es sich autofrei mit Blick auf Fluss, Weinberge und Burgen flanieren. Den Weg säumen gepflegte, blumengeschmückte Anlagen, eine wertige Gastronomie ohne die üblichen Billigbuden.

Unbedingt empfehlen möchte ich neben dem „Museum am Strom“ den einzigartigen „Hildegarten“. Dort wachsen wichtige Pflanzen aus den Werken der Hildegard von Bingen, der Visionärin, Musikerin und Vollenderin der Klostermedizin. In meinem Buch „TDM Traditionelle Deutsche Medizin“ habe ich das bahnbrechende Wirken der Heiligen ausführlich vorgestellt, die zu den größten Persönlichkeiten im deutschen Sprachkreis gehört. Erfreulich: Die lebenskluge Heilerin lobt den Wein als einen Gesundmacher.

Macht das Blut gut und gesund: Wein


ECHT ESSENheißt der Blog, in dem ich seit zehn Jahren jeden Monat mindestens ein Gasthaus vorstelle. Wichtiges Auswahlkriterium: Herkunft der Produkte.



von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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