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Falls du diesen Text liest, weil du selbst er Diabetes diagnostiziert bekommen hast oder jemand in deinem Umfeld, hoffe ich, dass er dir zeigt, wie wichtig Familie in schwierigen Zeiten ist, wie wichtig ist eigene Entscheidungen zu treffen und mitreden zu dürfen und wie wichtig es ist zu vertrauen – sich selbst oder anderen, dass du/sie das „richtige“ tun, deinen/ihren Weg mit der Krankheit finden. Ich hoffe, dass es dir hilft mit deinem veränderten Leben zurecht zu kommen. Am Anfang fällt es uns allen schwer.
Der Tag der mein Leben für immer verändert war der 19. Dezember 2008. Ich war 14 Jahre alt und ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre. Das Telefon klingelte und der Arzt sagte meiner Mutter: „Frau Bleck, Sie lassen alles stehen und liegen und fahren mit ihrer Tochter ins Krankenhaus. Sie hat Diabetes.“ Mein Bruder sollte an diesem Tag seinen Geburtstag feiern, und meine Mama war sich erst nicht sicher, ob es wirklich so schlimm ist wie der Arzt sagte. Doch nach einem kurzen Gespräch mit ihrer Freundin, die sich mit Diabetes auskennt, war klar: Der Geburtstag wird abgesagt und es geht sofort ins Krankenhaus.
Wenn ich heute daran denke, weiß ich noch wie erleichtert ich war. Mir ging es Monate lang schlecht. Ständig Durst, ständig auf Toilette, ständig Kopfschmerzen, ständig erschöpft und nun – endlich wusste ich, was mit mir die letzten Wochen, Monaten nicht gestimmt hatte und endlich würde es mir bessergehen. Wie sehr diese Krankheit mein Leben beeinflussen würde, das von jetzt an alles anders sein würde, war mir damals nicht bewusst.
Meiner Mutter schon. Ich erinnere mich, dass sie sehr geschockt war. Und dass sie viel Mitleid hatte, welches ich damals überhaupt nicht verstand. Heute schon. Sie bedauerte, dass ich nicht mehr unbeschwert leben konnte. Einfach ein Stück Schokolade, eine Runde Fahrradfahren oder Schwimmen, das alles muss gut überlegt sein. Dass ich so früh so viel Verantwortung übernehmen musste und viel zu früh erwachsen werden musste.
Von klein auf durfte ich meine eigenen Entscheidungen treffen, so stand nie in Frage, dass ich auch beim Managen der Diabetes mitentscheiden darf, denn im Endeffekt geht es um mein Leben. Doch ist der Umgang mit einer Krankheit nun mal nicht dasselbe wie zu entscheiden, welches Kleid ich anziehen will. Und auch wenn nie in Frage stand, dass ich bei allen Entscheidungen einbezogen werde und bereit bin diese Verantwortung zu übernehmen, tat es meiner Mama Leid, dass ich das alles muss. Aber nun mal sind die Eltern nicht ständig um einen herum, die meiste Zeit ist man mit der Krankheit alleine und muss es selbst hinbekommen.
Als dann vor zwei Jahren ausgezogen bin, musste meine Mama noch mehr loslassen. Ich war das erste Mal ganz auf mich alleine gestellt. Sie hat mir erzählt, dass sie überlegt hat jeden Tag anzurufen um wissen, dass es mir gut geht. Sie hat es nicht getan. Sie meinte, dass ich das auf jeden Fall durchschaut hätte und sie wollte nicht, dass ich das Gefühl bekomme, ich könnte es nicht alleine schaffen. Jede Mama sorgt sich, so sind Mamas eben. Aber Mütter von Diabetiker*innen sorgen sich einmal mehr: „Hat sie genug Insulin zu Hause? Misst sie ihren Blutzucker regelmäßig? Was ist wenn sie einen Unterzucker zu spät bemerkt?“. Doch wie alle Mütter muss man am Ende loslassen und vertrauen, dass das Kind weiß, was es tut.
Mein Papa hingegen ist viel rationaler. Er sieht die Dinge, wie sie sind und zieht seine logischen Schlüsse. Da Diabetes in unserer Familie nicht vorkommt, wusste er, ebenso wie der Rest der Familie, so gut wie nichts darüber. Er machte mit uns im Krankenhaus die Schulungen mit, lernte den Umgang mit der Krankheit theoretisch und weiß im Notfall, was zu tun ist. Doch war er immer oft weg und nach der Trennung meiner Eltern, waren wir nur noch alle paar Wochenenden bei ihm. So ist er häufig nicht mit der Krankheit in Berührung geraten. Er sagt selbst, dass ihm die Ausmaße erst nach einigen Monaten wirklich bewusst wurden. Und – ohne ihn kränken zu wollen – glaube ich, dass ihm es immer noch nicht hundertprozentig bewusst ist.
Für meinen Bruder tut es mir immer noch leid. Seine Geburtstagsparty für seinen 11. Geburtstag wurde abgesagt und für die nächsten Monate stand nur ich im Vordergrund. Als ich ihn für den Artikel fragte, wie das damals für ihn war. Meinte er nur, war halt doof, dass ich meinen Geburtstag nicht feiern konnte. Aber ähnlich wie mein Papa kann/will er seine Gefühle nicht ausdrücken. Große Geschwister sind immer schwer, ich selbst, kann das natürlich nicht beurteilen, aber die Vorstellung immer im Schatten von jemandem zu stehen (ob das nun wirklich so ist oder nicht), stelle ich mir sehr anstrengend vor.
Und ich war nicht gerade eine Schwester, die man leicht aus dem Scheinwerferlicht drängen konnte. Die Schule fiel mir lange leicht und auch im Sport war ich sehr erfolgreich, es war/ist für meinen Bruder, glaube ich, nicht leicht dagegen anzukommen. Als ich versucht habe, ein wenig mehr aus ihm heraus zu kitzeln, sagte er, dass es am Anfang zwar merkwürdig war, aber im Endeffekt ist es doch für uns schon lange normal und dadurch, dass ich eine Pumpe habe, fällt es ja auch kaum auf. Ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann und er weiß im Notfall, wie er mir helfen kann. Ich bin froh einen „kleinen“ Bruder zu haben, der immer für mich da ist – auch wenn es nicht immer einfach mit mir war und ist.
Ich selbst habe lange Zeit nicht wahr haben wollen, wie sehr der Diabetes mein Leben beeinflusst. Erst seit ein paar Jahren ist es mir wirklich bewusst. Lange Zeit dachte ich: „Ist halt so, machen wir schon.“ Mir fiel es sehr schwer die Krankheit anzunehmen. Bis ich vor ein paar Jahren „aufgewacht“ bin und mir Stück für Stück klar würde: So einfach ist es gar nicht, es ist ein täglicher Kampf, aber machst du nichts – kannst du nur verlieren. So wurde mir bewusst, dass der Diabetes ist ein Teil von mir, es beeinträchtigt mich im täglichen Leben und nur, wenn ich mich darauf einlasse, es mir bewusstmache, kann ich mit ihr Leben. Ich bin sehr froh, wie meine Eltern damit umgegangen sind. Ich bin dankbar, dass ich immer gefragt wurde, was ich möchte und dass mir meine Eltern zugetraut haben, dass ich diese Verantwortung tragen kann. Ich hätte sehr große Probleme damit gehabt mich bevormunden zu lassen und hätte sicherlich rebelliert, wenn meine Eltern alleine die Entscheidungen getroffen hätten. Ich konnte in den verantwortungsvollen Umgang hineinwachsen und bin in der Lage gut mit dem Diabetes zu leben.
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