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Wenn Ärzt:innen und medizinisches Fachpersonal auf Kongressen zusammenkommen, geht es im Diabetesbereich oft – oder besser gesagt meist – um Glukosewerte, neue Medikamente und neue Technologien. Wir Patient:innen versuchen immer und irgendwie unsere Werte einigermaßen im Zielbereich zu halten und dafür sind solche Themen natürlich sehr wichtig. Weil es neben all den Zahlen aber auch uns als Menschen gibt, die sich um unseren Diabetes kümmern und der Diabetes selbst sowie der Umgang mit der Erkrankung auch unser soziales Leben und unsere Psyche beeinflusst, freut es mich immer sehr, mehr über Themen aus dem psychologischen Bereich auf Kongressen zu erfahren – auch über sehr schwierige Themen wie Suizidalität und Diabetes.
Auf dem diesjährigen Diabetes Kongress 2024 in Berlin gab es sogar eine ganzen Fortbildungsabschnitt zum Thema „Suizidalität und Diabetes“. Suizidalität ist immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft – um so wichtiger ist es, offen darüber zu reden. Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), gab einen Einblick in das Thema. Jeden Tag sterben in Deutschland 28 Menschen an Suizid, das sind 12 von 100.000 Menschen (1). Hauptrisikofaktoren sind hier psychische Erkrankungen (Todesfälle durch Suizid 312 pro 100.000, also 26-mal so viel wie in der Gesamtbevölkerung). Zu der Frage, wie viele Menschen mit Diabetes durch Suizid sterben, gäbe es für Deutschland keine Zahlen.
Aktuell läuft in Deutschland die PRO-MENTAL-Studie (3), in der die Zusammenhänge zwischen Diabetes und psychischen Erkrankungen genauer untersucht werden. Unter anderem das Thema Diabetes-Disstress, also belastende emotionale Erfahrungen mit dem Diabetes und wie diese im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und der Blutzuckereinstellung stehen, wird dort untersucht. Bisher wurden knapp 500 Probanden mit Typ-1- und derselben Anzahl mit Typ-2-Diabetes in die Studie eingeschlossen. Es zeigte sich, dass Patient:innen mit Diabetes eine Lebenszeitprävalenz für Depressionen (d.h. der Anteil an Menschen, die bei Befragung irgendwann schon mal eine Depression hatten oder haben) bei 35 Prozent liegt – das ist dreieinhalb mal so viel wie in der Gesamtbevölkerung (10 Prozent). Auch zeigten sich häufigere und längere Episoden der Depression im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.
Prof. Kulzer zeigte weitere Studien bezüglich Suizidgedanken und Suizid bei Patient:innen mit Diabetes. Eine Studie (4) zeigte ein dreifach erhöhtes Vorhandensein von Suizidgedanken bei Personen mit Diabetes (22 Prozent Personen mit Diabetes vs. 8,5 Prozent in der Gesamtbevölkerung). Eine weitere Studie (5) zeigte, dass das Suizidrisiko bei Patient:innen mit Typ 1 Diabetes höher ist als bei Patient:innen mit Typ-2-Diabetes und ein 4-fach erhöhtes Suizidrisiko für Patient:innen mit Typ-1-Diabetes im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung besteht. Dr. Simone von Sengbusch sprach in Ihrem anschließenden Vortrag speziell zum Thema Suizidalität bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Diabetes. Kinder, Jugendliche und Eltern nehmen suizidale Gedanken unterschiedlich wahr und äußerten diese auch unterschiedlich. Manche könnten sie offen äußern, manche seien einfach niedergeschlagen und traurig oder äußerten eher beiläufig „nicht mehr mit dem Diabetes leben zu wollen“.
Warnzeichen für suizidale Gedanken und suizidale Handlungen seien wiederholten stationären Aufnahmen mit Ketoazidose, schweren Hypoglykämien ohne klare Ursachen und Suizidversuche. Diese Patient:innen benötigten dann weitere Unterstützung, und es sei auch besonders wichtig, das Thema Suizid bei den Patient:innen konkret anzusprechen und zu erfragen. Es gebe gute Fragebögen um Suizidgedanken und psychische Erkrankungen zu screenen, also quasi mit wenigen Fragen zu erfassen, wo man noch weiter schauen sollte, ob eine Problematik vorliegt. Leider würden diese Fragebögen im Alltag oft nicht genutzt. Kliniken und Praxen sollten Pläne haben, wie sie damit umgehen, wenn Patient:innen Suizidgedanken haben. In besonders vulnerablen Phasen – wie die erste Zeit nach der Diagnose, nach schweren Ketoazidosen und beim ersten Auftreten von Folgeerkrankungen – sollte besonders darauf geachtet werden, wie es den Patient:innen geht, um sie dann unterstützen zu können.
In der Fragerunde nach den Vorträgen äußerte eine Kongressbesucherin (selbst Typ-1), dass sie sich das Besprechen psychologischer Themen standardmäßig in Diabetes-Schulungen wünsche – was bisher nicht der Fall sei. Genau das wünsche ich mir auch, dass in der Behandlung des Diabetes nicht nur die Werte behandelt werden, sondern wir als Mensch in unserem Umfeld viele Werkzeuge an die Hand bekommen, wie wir den Diabetes in unseren Alltag integrieren können, wie wir mit unangenehmen Gefühlen lernen umzugehen, wie wir wahrnehmen lernen, wie und wo der Diabetes unsere mentale Gesundheit beeinflusst und wir es selbst in die Hand nehmen können, dass es uns gutgeht.
Ich wünsche mir außerdem, dass auf den ja oft studien- und zahlenlastigen Kongressen auch mehr praktische Ansätze Einzug finden: Wie können die Ärzt:innen uns praktisch unterstützen, einen Umgang mit dem Diabetes zu lernen, der uns ein erfülltes Leben auch mit der chronischen Erkrankung ermöglicht? Studien zu Infos, wie viel Menschen mit Diabetes prozentual Depressionen haben oder durch Suizide sterben, sind wichtig! Gleichzeitig wünsche ich mir aber, dass auf Vorträgen und insgesamt im Bereich der Diabetologie der Fokus mehr auf konkrete Unterstützung gelegt wird: Wie haben es Menschen geschafft, auch mit dem Diabetes ein erfülltes Leben zu führen? Was hat ihnen in schweren Zeiten geholfen? Welche Unterstützungsangebote fehlen noch? Was schützt Menschen vor psychischen Erkrankungen, wenn sie durch den Diabetes eine höhere Belastung erfahren als Menschen ohne Diabetes?
Ich fände es toll, wenn zunehmend auch Patient:innen auf Kongressen sprechen, von ihren Erfahrungen berichten und gemeinsam mit den Mediziner:innen praktische Ideen und Projekte erarbeiten würden, die dazu beitragen, dass wir uns gut unterstützt fühlen und wir unsere Leben mit dem Diabetes noch lebenswerter gestalten können – insbesondere in den Phasen, in denen es auch mal nicht so leicht ist, mit dem Diabetes zu leben. Engagierte Menschen mit Diabetes in tollen Projekten – ob online, im realen Leben, bei Patientenkongressen: Ich wünsche mir, dass all diese Projekte noch mehr Unterstützung bekommen und diese in Verbindung mit Personen, die im medizinischen Bereich arbeiten, zu noch größere Projekten werden. Und auch, dass die Sicht von Menschen, die mit Diabetes leben, noch mehr Einzug in die Medizin findet und so das Leben mit Diabetes für uns alle einfacher macht, sodass wir auch mit dem Diabetes ein möglichst unbeschwertes und erfülltes Leben haben können.
Eva Küstner, Psychologin mit Diabetes-Schwerpunkt, wurde im Rahmen des Symposiums zum Ehrenmitglied der AG Diabetes und Psychologie ernannt. Sie zeigte nochmals auf, dass es schon viele Menschen gibt, die intensiv daran gearbeitet haben und weiterhin daran arbeiten uns darin zu bestärken, unser Leben mit dem Diabetes aktiv in die Hand zu nehmen und so unser Leben in unserem Sinne gestalten können: „Es ist so schön zu sehen, […] dass wir es tatsächlich als selbstverständlich empfinden, dass die Patienten diejenigen sind, die über ihren Diabetes entscheiden können. Und dass wir die Aufgabe haben, sie darin zu unterstützen, dass sie gut entscheiden können.“
Hilfe in einer suizidalen Krise
Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention – Hilfe in Lebenskrisen e.V. bietet auf ihrer Website eine Übersicht für Hilfsangebote für Menschen in einer akuten Lebenskrise.
(1) Nationale Suizidpräventionsstrategie
(2) Fu XL. et al. Suicide rates among people with serious mental illness: a systematic review and meta-analysis. Psychol Med. 2023;53(2):351-361. doi: 10.1017/S0033291721001549.
(3) PRO-Mental-Studie, Deutsches Zentrum für Diabetesforschung
(4) Zara S, et al. Suicidal ideation in patients with diabetes and childhood abuse – The mediating role of personality functioning: Results of a German representative population-based study. Diabetes Res Clin Pract. 2024;210:111635. doi: 10.1016/j.diabres.2024.111635.
(5) Wang B, et al. Managmenet of Endocrine Disease: Suicide risk in patients with diabetes: a systematic review and meta-analysis. Eur J Endocrinol. 2017;177(4). doi: 10.1530/EJE-16-0952.
In unserem Coaching-Bereich findest Du viele Beiträge, die sich mit psychologischen Aspekten des Diabetes befassen und konkrete Hilfestellungen bieten.
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