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Diabetes all inclusive
Zugebenermaßen wäre ich wohlmöglich auch ohne Diabetes hier gelandet. Aber zumindest hat es definitiv nicht geschadet, schon so früh mit all dem in Kontakt zu kommen, was bei Diabetes ein All-inclusive-Paket ist: Krankenhäuser, Ärzte, Medikamente, Spritzen, Gesundheit. Der Anblick von meinen eigenen Bluttropfen war jahrelang vor allem eines – absolut normal.
Und anstatt mich abzuschrecken, hat es mich damals fasziniert. Ich verstand mit acht Jahren zum ersten Mal, dass in unserem Körper so viel mehr geschieht als ein Herz, das schlägt, und Lungen, die atmen. Dass etwas kaputtgehen kann, was nicht mehr mit einem Pflaster und einem Kuss von Mama wieder heile wird.
Ich wollte mehr wissen, mehr verstehen. Plötzlich kam mir jeder Mensch wie eine Wundermaschine vor. Also begann sie, die Liebe für Medizin. Und sie verließ mich nicht, auch in den Jahren, in denen ich Schlachtfelder voller Wut in mir selbst hinterließ.
Das Interview
„Ich habe mal ein Interview über dich geführt“, erzählte ich dem Diabetes also eines Tages, gekonnt meine anstehenden Klausuren ignorierend, „es wurde nicht in der ursprünglich geplanten Form veröffentlicht, weil jemand Sorge geäußert hatte, es könne sich negativ auf meine Chancen auswirken, einen Studienplatz zu bekommen.“
„Warte, was? Wegen mir?“ Der Diabetes sah mich erschrocken an.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nicht weil es dich gab. Sondern weil ich darüber geredet hatte, wie schwierig es mir lange fiel, mit dir umzugehen.“
„Aber das ist doch Unsinn. Ich bin ja schwierig. Das sagt doch nichts über deine späteren Kompetenzen als Ärztin aus.“
„Das tut es nicht und ich weiß, dass man das auch nicht implizieren wollte. Letztlich wollte man nichts riskieren, was später Konsequenzen für mich und meine Zukunft haben könnte, und ich kann es irgendwie nachvollziehen, wirklich. Ich will niemandem böse Absichten unterstellen.“ Ich seufzte. „Aber trotzdem – in dem Moment, als ich diese Nachricht gelesen habe, habe ich mich ganz klein gefühlt. Verletzt. Selbst wenn es nicht beabsichtigt war, die Aussage ist hängengeblieben. Vor allem, weil ich damals gerade erst angefangen hatte, mich öffentlich zu äußern, und mich das zutiefst verunsichert hat.
Offensichtlich hielt das nicht lange an und ich habe weiter über dich geschrieben. Aber manchmal, an den besonders schlechten Tagen, kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob nicht doch ein klitzekleines bisschen Wahrheit drinsteckt. Wie ich meinen Patient:innen Ratschläge geben soll, in dem Wissen, dass ich die meiner Ärzte selber oft ignoriert habe. Ob das nicht total scheinheilig von mir ist.“
„Oh, Huda.“ Der Diabetes kommt mir näher. „Du warst ein Kind. Kinder machen Sachen, die nicht gut für sie sind. Meine Güte, Erwachsene doch auch. Aber guck uns mal an, jetzt kommen wir doch miteinander aus. Das ist doch, was zählt.“
Was dir kein Lehrbuch beibringt
„Das ist mir bewusst, wirklich. Manchmal ist es ja auch komplett andersherum – da sitze ich in einem Kurs und realisiere, dass, selbst Patientin zu sein, mir Einblicke und Erkenntnisse gibt, die ich nur in meiner Rolle als Studentin oder später auch Ärztin nicht hätte. Wenn ich sage ‚Ich kann verstehen, dass das schwierig ist‘, dann ist das mehr als nur eine Phrase.“
„Eine Kommilitonin von mir hat im Biochemiekurs mal einen Vortrag über dich gehalten und obwohl inhaltlich alles richtig war, konnte es trotzdem nicht annähernd an meine Lebensrealität herankommen. Und das ist nicht als Vorwurf gemeint – es ist lediglich eine Feststellung. Denn wie oft werde ich noch Zwanzig-Minuten-Vorträge hören und mir danach denken, „alles klar, jetzt weiß ich Bescheid“, und dabei vergessen, dass diese zwanzig Minuten jemand anderes zwanzig Jahre sind? In diesem Studium lernt man unglaublich viel, keine Frage. Ich konnte leider mal (hab’ sie nämlich schon längst wieder vergessen) sämtliche Schritte der Glukoneogenese samt komisch klingender Enzyme, weiß, was ein GLUT-4-Rezeptor ist oder wie Beta-Zellen unter dem Mikroskop aussehen. Aber ich weiß nur, wie es ist, Diabetes zu haben, weil ich selber damit lebe. Das kann dir kein Lehrbuch beibringen. Und das ist auch in Ordnung so – ich muss nicht alle Krankheiten selber haben, um sie behandeln zu können, das wäre ein wenig unpraktisch. Genauso wenig ist mein Diabetologe ein schlechterer Arzt, weil er selber keinen Diabetes hat. Aber die Erfahrungen der Patienten sind wichtig, das darf man nicht vergessen.“
Ich lächelte den Diabetes an. „Ich verstecke dich nicht mehr und ich verstecke auch mich nicht. Wir sind gemeinsam hier angekommen und wir gehen gemeinsam weiter. Ich werde nicht lügen und behaupten, es wäre immer alles super gewesen, nur, damit irgendwelche Menschen mich nicht verurteilen. Es war nicht alles super. Aber ich habe nie aufgegeben und deshalb werde ich auch nie aufhören, darüber zu sprechen. Macht mich das unprofessionell? Vielleicht. Aber es macht mich vor allem menschlich. Und das darf ich sein – das will ich sein.“
Wusstest du, dass Huda eine Menge Dialoge mit ihrem Diabetes in der BSL veröffentlicht hat? Hier kommst du zu all ihren spannenden, nahegehenden Beiträgen.
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