5 Minuten
Hallo Leute,
dieses Thema ist aus Zufall entstanden. Ich saß mal wieder in einem Wartezimmer, als letzter Patient. Der Nachteil, der letzte Patient zu sein, besteht darin, dass sich beim letzten Patienten die einzelnen Wartezeiten jeder Person über den ganzen Tag gesammelt haben und man alle absitzen muss. So hatte ich viel Zeit und auch ein wenig Langeweile. Ich habe dann angefangen, mit meinem Smartphone Selfies von mir zu machen. Aber irgendwann hatte ich mein Gesicht von allen Seiten abgelichtet. Ich hab ein Selfie von mir in mein Facebook Profil gestellt und sofort wurde ich gefragt, ob ich in einem Wartezimmer säße. Zuerst war es nur ein Scherz von mir, dass ich mal ein Post von über 40 Jahren Wartezimmern machen könnte. Dann aber fing ich an nachzudenken, was ich dort so alles erlebt habe und wie sich die Wartezimmer im Laufe der Zeit geändert haben. So ist die Idee für diesen Post entstanden.
Ich werde durch die letzten Jahrzehnte gehen und Euch erzählen was mir aufgefallen ist, wie sich in der Zeit über 40 Jahre die Wartezimmer und Praxis Kultur geändert haben und was ich gemacht habe, um die Zeit des Ausharrens, bis ich an der Reihe war, zu verkürzen.
Ich bekam Diabetes im Herbst 1973. In den 70er Jahren kann ich mich besonders gut an zwei Ärzte erinnern, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Einen jungen Augenarzt, der gerade seine Praxis eröffnet hatte, und einen älteren Internisten. Der Unterschied hat sich auch in den Wartezimmern widergespiegelt.
Der Internist, bei dem mein Diabetes behandelt wurde, hatte seine Praxis in einem gut 120 Jahre alten Gebäude im ersten Stock mitten in der Stadt. Die Decken waren 3,20 m hoch. Die Türen aus Holz waren ebenfalls überdimensioniert. Es war alles sehr bürgerlich und farblich in braunen Tönen abgestimmt, der Dielenboden, die Stühle, der Tisch. Stilistisch sind die 70er Jahre an diesem Wartezimmer vorbeigegangen. In dem Wartezimmer selbst standen zwei einsitzige Polstersessel und eine Menge dunkler unbequemer Holzstühle standen an zwei Wänden entlang. In der Mitte des Zimmers befand sich ein kleiner, runder Tisch, auf dem ein paar Zeitungen lagen. Wenn ein Sofa frei wurde, habe ich mich schnell daraufgesetzt. Die Wartezeit war rekordverdächtig, gut zwei Stunden und mehr.
Am Anfang einer jeden Wartezeit durfte ich nicht rumlaufen, weil der Dielenboden laut gequietscht hatte. Die anderen Wartenden schauten mich dann an. Aber nach spätestens einer Stunde warten bin ich dann doch herumgelaufen und mein Temperament wurde nur durch die ermahnenden Worte der Sprechstundenhilfen gebremst. Sehr große rippenförmige Heizkörper waren mit einem Holzumbau verkleidet. Ich war so 6 oder 7 Jahre alt. Irgendwann bekam ich die Verkleidung auf. Es war sehr interessant dahinter. Außer dem Heizkörper befanden sich dort viel Staub und Spinnenweben inklusive der Spinnen. Einmal bin ich in der Verkleidung verschwunden. Als ich dann dran kam, haben alle nach mir gesucht, meine Mutter, die Sprechstundenhilfe und selbst der Arzt. Ich habe sie ein wenig suchen lassen und kam dann aus der Heizkörperverkleidung hervor, war ziemlich dreckig vom Staub und die ein oder andere kleine Spinne krabbelte auf mir herum. Komischerweise war derjenige, von dem ich dachte, dass er am meisten schimpfte, der lockerste. Der Arzt, ein recht alter, asketisch wirkender Mann, nahm es mit Humor. Ich fragte damals auch alle Ärzte, welches Auto sie fuhren. Er fuhr einen Peugeot 505.
In der Praxis war alles gelassen, selbst die Behandlung. Aber auch damals habe ich schon jedes Jahr ein Belastungs-EKG gemacht. Es gab damals weder ein Behandlungsprogramm à la DMP noch Fitnessgeräte in den Praxen. Zur Belastung sollte ich einmal die Treppe runter- und dann wieder hochrennen. Keine 20 Stufen bin ich dann einmal runter- und wieder hochgerannt. Danach wurde das EKG angelegt und gemacht.
Er war genau das Gegenteil von meinem Internisten. Er trug eine Hose mit Schlag. Sein Wartezimmer war modern eingerichtet. Seine Tapete bestand aus einem grünen, kreisförmigen Muster. Seine Stühle waren nicht aus Holz. Es waren bequemere Plastikstühle, die eine Art Schale bildeten. In der Praxis war viel Hektik. Drei junge Damen und der Arzt arbeiteten sehr schnell. Die Wartezeit war wohl deutlich kürzer als bei meinem Internisten. Da die Augen schon damals für die Untersuchung weitgetropft werden mussten, war der Besuch immer mit Warten verbunden, so dass ich von dem schnelleren Tempo in dieser Praxis keinen wirklichen Vorteil hatte. Es lagen auch recht interessante Zeitschriften wie Auto, Motor und Sport aus. Die Praxis selbst war nicht sehr groß. Sie war ebenfalls mitten in der Stadt, allerdings in einem neu gebauten 70er-Jahre-Haus. Mein Augenarzt fuhr einen VW Porsche in der Farbe Gelb.
In den 80er Jahren kam es immer mehr in Mode, dass man eine Nummer zugeteilt bekam. Diese Nummer wurde dann aufgerufen oder mit einer Anzeige im Wartezimmer angezeigt. Warten musste man trotzdem noch. Es war ein wenig der erste Schritt in eine strukturierte Ablaufsteuerung für Wartezimmer und Praxen. Die Wartezimmer neu eingerichteter Praxen waren größer als noch in den 70er Jahren. Irgendwie schien es mir auch so, dass die Ärzte besser besucht wurden als noch in den 70er Jahren und die Wartezimmer waren im Stil der 80er Jahre tapeziert. Etwas dunklere Farben, meistens in Richtung Braun, Holzfarben. Mein Internist aus den 70er Jahren hörte auf und ich ging nun zu einem neuen Arzt. Gegen Ende der 80er Jahre verschwanden in vielen Praxen der Aufruf über eine Nummer und die Anzeigen wieder. Manche Praxen allerdings haben eine solche Struktur auch heute noch.
Express yourself! Design hielt Einzug in die Wartezimmer. Sie wurden modisch und asketisch im Stil dieser Zeit eingerichtet.
Die 90er Jahre. Eine Epoche, die als Design-Highlight neue Badarmaturen hervorgebracht hatte. Die Duschbatterien besaßen nun einen Hebel, um eine Einstellung zwischen kaltem und warmem Wasser zu ermöglichen. Die Drehregler für kaltes und warmes Wasser waren passé.
Die Wartezimmer hatten sich nun deutlich geändert. An den weiß gehaltenen oder schwach gefärbten Wänden hingen vereinzelt eingerahmte schwarz-weiß gehaltene Poster, die mit kleinen Aluminium-Lampen beleuchtet wurden. Die Wartezeit war unterschiedlich, 20 Minuten bis zu einer Stunde. Ich war nun älter und war immer froh, wenn ich ein wenig warten und vor mich hin dösen konnte. Langeweile hatte ich keine mehr. Die Praxen wurden deutlich größer und es kamen weitere Zimmer hinzu. Es gab Behandlungsräume und Schulungsräume hielten Einzug.
Mein Augenarzt. Die Änderungen in seiner Praxis hielten sich in Grenzen. Es gab alle 10 Jahre eine neue Tapete. Er selbst praktizierte bis Ende der 90er Jahre. Eine junge Augenärztin übernahm und gestaltete die Praxis in ihrem Lieblingsstil, und dieser war zeitlos geprägt vom mediterranen Terrakotta.
Die Praxen selbst waren nun Schwerpunkt-Praxen für Diabetes. Auch konnte das HbA1c schon in den 90er Jahren in der ein oder anderen gut eingerichteten Praxis gemessen werden.
Gegen Ende der 90er Jahre kamen auch Warteinseln vor den Zimmern auf, die sich dann im nächsten Jahrzehnt durchsetzen sollten.
Aber es geht weiter. Im nächsten Teil berichte ich über die Neuerungen in diesem Jahrtausend.
Viele Grüße Euer Thomas
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen