- Behandlung
Beginn mit Verzögerungs-Insulin zur Nacht bei Typ-2-Diabetes
4 Minuten
Medizinische Leitlinien sollen Ärztinnen und Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe helfen, Entscheidungen im Praxis-Alltag zu treffen. Für Patientinnen und Patienten gibt es spezielle Patientenleitlinien, damit auch sie von diesen wissenschaftlich gesicherten Informationen profitieren können.
Wann und wie sollte man mit der Insulin-Behandlung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes beginnen? Seit es den Blutzucker senkende Tabletten gibt, hat man Insulin immer erst eingesetzt, wenn trotz der Gabe der verschiedenen verfügbaren Medikamente der Blutzucker nicht zufriedenstellend gesenkt werden konnte. Dabei wurden bis zu zwei, manchmal drei verschiedene Medikamente eingesetzt.
Wenn man sich dann zur Insulin-Behandlung entschloss, begann man mit Misch-Insulin vor dem Frühstück. Wenn dies nicht ausreichte, kam noch Insulin am Abend hinzu. Eine andere Form, mit der Insulin-Behandlung zu beginnen, ist die Gabe von Normal-Insulin vor den Hauptmahlzeiten, das bei Bedarf mit der Gabe von Verzögerungs-Insulin vor dem Schlafengehen ergänzt wurde.
Beginn mit Verzögerungs-Insulin zur Nacht
Eine dritte Möglichkeit, bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mit der Insulin-Behandlung zu beginnen, ist es, zunächst nur Verzögerungs-Insulin vor dem Schlafengehen zu spritzen. Ist der Insulin-Bedarf noch sehr gering, kann dies ausreichen, um den Blutzucker-Spiegel in den gewünschten Bereich zu bringen. Wenn die Insulin-Bildung in der Bauchspeicheldrüse weiter zurückgeht, wird Verzögerungs-Insulin auch am Tag nötig. In dieser Form wird die Insulin-Behandlung jetzt häufiger begonnen. Das liegt daran, dass neuere Studien gezeigt haben, wie erfolgreich dieses Vorgehen über mehrere Jahre sein kann.
Die GRADE-Studie
Dem Diabetes-Forscher Prof. Dr. David Nathan in Boston ist es zu verdanken, dass die US-amerikanische Regierung eine große Studie finanzierte. Die Frage war: Was tun, wenn Metformin allein nicht mehr ausreicht?
Untersucht wurden die Wirkstoffe Glimepirid, Insulin glargin (ein Verzögerungs-Insulin), Linagliptin und Liraglutid bei 5000 Menschen mit Typ-2-Diabetes, die bereits mit Metformin behandelt wurden. Am häufigsten und für die längste Zeit gelang es mit einer kleinen Dosis von Insulin glargin, den HbA1c-Wert unter 7,5 % zu halten. Die Behandlung mit Insulin vor dem Schlafengehen führte bei sachgerechter Schulung und Dosierung nicht häufiger zu Unterzuckerungen als die Behandlung mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid.
Bisher versuchte man fast ausschließlich, zunächst zum Metformin ein weiteres Medikament zu geben. Nun hat die GRADE-Studie gezeigt: Auch die Gabe einer geringen Dosis Verzögerungs-Insulin zur Nacht schon zu einem früheren Zeitpunkt ist eine sehr wirksame und sichere Behandlung.
Auch deutsche Studie zeigte gute Erfolge
Das Team von Dr. Bernardo Mertes vom Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt am Main und Mitarbeiter der Universität Jena veröffentlichten eine Untersuchung von 272 Menschen mit Typ-2-Diabetes mit einer Beobachtungszeit bis zu 10 Jahren. Bei allen wurde die Insulin-Behandlung mit Verzögerungs-Insulin zur Nacht begonnen. Als Verzögerungs-Insulin wurde in dieser Studie ausschließlich NPH-Insulin eingesetzt, bei der GRADE-Studie benutzte man ausschließlich Insulin glargin; NPH steht für Neutrales Protamin Hagedorn und ist ein Verzögerungs-Stoff.
Die Ergebnisse waren gleich: Recht lange Zeit ließ sich allein mit Verzögerungs-Insulin vor dem Schlafengehen zusätzlich zu Metformin eine zufriedenstellende Einstellung erreichen. Zu schweren Unterzuckerungen kam es nicht, auch nicht zu einer Gewichts-Zunahme, die Patienten nahmen sogar ein wenig ab. Im Lauf der Zeit reichte wie bei der GRADE-Studie eine geringe Dosis Verzögerungs-Insulin zur Nacht nicht mehr aus und auch tagsüber wurde Insulin nötig.
Welche Vorteile gibt es?
Die Insulin-Therapie mit einer abendlichen Gabe von Verzögerungs-Insulin zu beginnen, hat gegenüber einer Insulin-Therapie tagsüber eine Reihe von Vorteilen: Es kann kaum zu Unterzuckerungen kommen, wenn die Dosis des Insulins richtig gewählt wurde. Anders als bei Gabe von Verzögerungs-Insulin tagsüber können die Betroffenen essen, wann sie möchten, und Mahlzeiten auch ganz weglassen. Eine Gewichts-Zunahme ist deshalb kaum zu befürchten. Auch führt mehr Bewegung kaum zu Unterzuckerungen, ein Spaziergang am Nachmittag macht keine Probleme. Ein Vorteil ist auch, dass diese Behandlung etwas länger wirksam bleibt als die Gabe von Tabletten, die den Blutzucker-Spiegel senken.
Patienten entscheiden mit
Neue Leitlinien empfehlen eine „partizipative Entscheidungsfindung“. Das bedeutet, dass den Betroffenen alle Vor- und Nachteile einer Behandlungs-Möglichkeit im Einzelnen verständlich erklärt werden und dass dann die Patienten an der Entscheidung „partizipieren“, also einen bestimmenden Anteil daran haben.
Bei der Behandlung des Typ-1-Diabetes gibt es zum zweifelsfrei Lebens-rettenden Insulin keine Alternative. Bei Typ-2-Diabetes ist das viel komplizierter. Es gibt verschiedene Behandlungs-Möglichkeiten, bis im Lauf der Jahre eine Insulin-Behandlung unvermeidbar wird. Bei der Entscheidung, welche Behandlung zunächst gewählt wird, spielen auch die Wünsche der Betroffenen eine sehr große Rolle.
In der Studie von Mertes entschieden sich 373 von 1240 Menschen mit Typ-2-Diabetes, zur Nacht Verzögerungs-Insulin zu spritzen, nachdem die alleinige Gabe von Metformin nicht mehr ausgereicht hatte. Die Insulin-Gabe kommt besonders für Menschen in Betracht, bei denen eher ein Insulin-Mangel im Vordergrund steht. Menschen mit erheblichem Übergewicht, die noch viel eigenes Insulin haben, wird man eher zu einer Behandlung mit Liraglutid raten. Und denjenigen, bei denen erhebliche Herz- oder Nieren-Erkrankungen bestehen, wird man Medikamente nahelegen, die in solchen Fällen Erfolge gezeigt haben.
Was ist bei der Insulin-Dosierung zu beachten?
Die Empfehlungen, mit wie vielen Einheiten Insulin man beginnen sollte, sind unterschiedlich. In der Studie von Mertes wurde mit 8 Einheiten Verzögerungs-Insulin vor dem Schlafengehen begonnen. Die Patienten erlernten die Blutzucker-Selbstkontrolle und testeten den Blutzucker zu Beginn dieser Behandlung zwei Nächte lang vor dem Schlafengehen, um 2 und 5 Uhr nachts und um 7 Uhr morgens, um die Wirkung des gespritzten Verzögerungs-Insulins zu beurteilen. Dies muss später auch dann geschehen, wenn die Insulin-Dosis erhöht werden sollte, um nächtliche Unterzuckerungen zu verhindern. In einer weiteren Untersuchung wurde bei über 1000 Patienten durch Messen der nächtlichen Blutzucker-Werte die Startdosis von NPH-Insulin zur Nacht ermittelt, die erforderlich und sicher war. Optimal waren 0,1 Einheiten pro Kilogramm (kg) Körpergewicht, also zum Beispiel 8 Einheiten bei einem 80 kg schweren Patienten.
Behandlung einfach und wirksam
Später sind Blutzucker-Selbstmessungen nur selten nötig. Auch das genaue Abschätzen des Kohlenhydrat-Gehalts der Nahrung ist unter dieser Behandlung nicht notwendig. Allerdings wird man dazu raten, weniger Kohlenhydrat-haltige „Sättigungsbeilagen“ wie Kartoffeln, Reis und Nudeln und weniger Süßigkeiten zu essen. Diese für die Patienten sehr einfache und wirksame Behandlung lässt sich im Mittel über vier Jahre fortführen, bis auch tagsüber Insulin notwendig wird.
Im Kirchheim-Verlag wird dieses Jahr das Buch „Bedarfsgerechte Insulinbehandlung bei Typ-2-Diabetes“ erscheinen, das diese Form der Insulin-Behandlung bei Typ-2-Diabetes genau erklärt und auch darstellt, wie die Behandlung weitergeführt wird, wenn die alleinige Gabe von Verzögerungs-Insulin zur Nacht nicht mehr ausreicht.
- Bei hohem Blutdruck Kochsalz ersetzen
- NVL: Systematisch entwickelte Hilfen
- Den einen Typ-2-Diabetes gibt es nicht!?
- Typ-2-Diabetes: Beginn mit Verzögerungsinsulin zur Nacht
Autor:innen:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (5) Seite 30-31
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 17 Stunden, 11 Minuten
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 6 Tagen, 8 Stunden
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 2 Tagen, 11 Stunden
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 5 Tagen, 23 Stunden
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 11 Stunden, 52 Minuten
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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