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Im Sommerurlaub auf Mallorca passierte es damals zum ersten Mal. Ich bemerkte meine anrauschende Unterzuckerung nicht und verlor das Bewusstsein. Dazu hatte ich Krampfanfälle, weswegen andere Urlauber einen Krankenwagen wegen eines vermuteten epileptischen Anfalls riefen. Meine Eltern klärten die Situation auf und wenige Stunden später ging es mir schon wieder besser. Für den restlichen Urlaub war ich dennoch die Attraktion im Hotel.
In meiner Pubertät war mein Diabetes wirklich schwer einzustellen. Wahrscheinlich durch die sich ändernde Hormonausschüttung schwankte mein Insulinbedarf und ich reagierte teilweise sehr empfindlich darauf. Es kam öfter zu schweren Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen. Meistens in der Nacht. Ich selbst bekam es nur selten mit. Für meine Mama begann eine Zeit mit schlaflosen Nächten, in denen sie regelmäßig aufstand, um nach mir zu sehen und meine Blutzuckerwerte zu überwachen.
Ich selbst wollte nicht schwach wirken und auch nicht in der Schule fehlen, also erzählte ich kaum von den Vorfällen in der Nacht. Auch sonst war ich eher genervt vom Diabetes und wollte gerne ein normaler Teenager sein. So fing ich an, meine Blutzuckerwerte bewusst höher zu halten, um bloß nicht zu unterzuckern. War mein Blutzucker erhöht, fühlte ich mich auf der sicheren Seite. Das ging bis in meine Zwanziger und ich blieb bis dahin von schweren „Hypos“ verschont.
Erst mit fast 24 Jahren begann ich, mich wieder gut um meinen Diabetes zu kümmern, meine Blutzuckerwerte in einen vernünftigen Zielbereich zu bringen und mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Das klappte auch wirklich gut. Ich probierte endlich eine Insulinpumpe und konnte meinen HbA1c-Wert auf Dauer verbessern. Alles lief mittlerweile viel besser. Aus der Diabetes-Pubertät war ich endlich herausgewachsen. Schwere Unterzuckerungen traten nicht mehr auf, was es noch leichter machte, meinen Blutzuckerzielbereich herunterzusetzen.
Doch irgendwann passierte es erneut. Wieder einmal auf einer Reise im Ausland. Es war aufregend und stressig, ich merkte meine „Hypo“ viel zu spät und schaffte es nur noch, ein Glas Orangensaft herunterzustürzen, bevor alles schwarz wurde. Ich kam erst wieder zu mir, als eine Freundin und mehrere Sanitäter über mir knieten und eine Glukoseinfusion in meinem Arm steckte. Allzu bekannt kam mir all das vor, auch wenn es Jahrzehnte her war. Vermisst hatte ich dieses Gefühl sicher nicht.
Anschließend kam auch die Angst vor Unterzuckerungen zurück. Erneut setzte ich meine Zielwerte für meinen Blutzucker höher an, als normal empfohlen wird. Als es die Tage darauf noch ein paar mehr Unterzuckerungen hagelte, wurde diese Angst innerhalb weniger Wochen immer schlimmer. Als ich während einer Vorlesung in der Uni unterzuckerte, geriet ich in Panik. War ich normalerweise eher jemand, der seine Unterzuckerungen versuchte zu verheimlichen und sich still und leise unter dem Tisch Traubenzucker in den Mund stopfte, konnte ich dieses Mal nicht länger ruhig bleiben. Ich bat meine Mitstudierenden, mich aus der Sitzreihe zu lassen, und erntete einige wütende Kommentare. Das war zu viel. Wenig später saß ich weinend im Treppenhaus und rief meinen Freund an, damit er mich abholte. Nie habe ich mich wegen meines Diabetes schwächer gefühlt. Was war nur mit mir los?
Dieser Schlüsselmoment, in dem ich auch noch blöd angemacht wurde, gab mir irgendwie den Rest. Meine Angst vor Unterzuckerungen wuchs so sehr, dass ich plötzlich Angst hatte, alleine das Haus zu verlassen.
Noch nie hatte ich so sehr zugelassen, dass mein Diabetes mein Leben einschränkt. Zum Glück, muss man heute schon fast sagen, befand ich mich in der vorteilhaften Situation, gerade eine Psychotherapie begonnen zu haben. Bevor alles noch viel schlimmer wurde, brachte ich das Thema direkt auf den Tisch und sprach darüber. Auch meiner Diabetologin erzählte ich sehr zügig von meinen jüngsten Erlebnissen. Wir entschieden uns damals, ein rtCGM-System zu beantragen, das mit einer Insulinpumpe kommuniziert und die Insulinzufuhr, wenn eine Unterzuckerung im Anmarsch ist, unterbricht. Als das System endlich bewilligt wurde, fühlte ich mich sicherer. Es dauerte wirklich nicht lange, da konnte ich schon wieder alleine das Haus verlassen. Allerdings hatte ich meine Pumpe immer in der Hand. Griffbereit, um meine Zuckerwerte jederzeit kontrollieren zu können. Es vergingen kaum zehn Minuten, in denen ich meine Glukosewerte nicht wahnartig im Blick behielt.
Es dauerte noch etwas, um erneut Vertrauen in mich selbst, meinen Körper und meine Diabetestherapie zu bekommen. Noch heute finde ich Unterzuckerungen am unangenehmsten an einem Leben mit Diabetes. Ich mag sie einfach nicht. Das Gefühl, eine Zwangspause einlegen zu müssen, essen zu müssen, obwohl man keinen Hunger hat, oder sogar der Kontrollverlust über die eigenen Gefühle und den eigenen Körper. Unterzuckerungen sind für mich mehr als unangenehm. Aber ich habe es geschafft, meine panische Angst in den Griff zu bekommen. Unterzuckerungen schränken mich im normalen Alltag nicht mehr ein, sie bleiben höchstens unangenehm und ärgerlich.
Wenn ihr solche Gefühlte kennt, dann seid euch gewiss: Ihr seid damit nicht alleine. Sprecht darüber, sucht euch Hilfe. Es muss auch nicht immer direkt professionelle Hilfe sein, manchmal helfen schon kleine Tipps und Tricks im Alltag und der Austausch mit anderen, wie ich selbst erlebt habe.
Offen über meine Gefühle und Ängste reden, sowohl mit meinen Angehörigen als auch mit anderen Menschen mit Diabetes.
Die Diabetes-Therapie optimieren; ein rtCGM-System ausprobieren bzw. ein Pumpensystem mit „Hypo-Abschaltung“.
Kleine Ziele setzen; individuelle Alarme einstellen. Erst nicht so niedrig (mein eigener Wohlfühl- und Sicherheitsbereich). Als ich mich sicherer fühlte, mit den Alarmen weiter runtergegangen.
Die richtigen und schnellen „Hypohelfer“ dabeihaben.
Über ein rtCGM-System mit „Follower“-Funktion nachdenken. Die Werte mit jemandem teilen, als Sicherheitsbackup.
Womit ich mich noch sicherer fühle: eine Notfallkarte, Armband oder Kette tragen und meinen Smartphone-Sperrbildschirm mit einer Notfallinformation ausstatten.
Schnelle „Hypohelfer“ essen, die mir schmecken und die ich nicht herunterwürgen muss.
Mich setzen.
Versuchen, ruhig zu bleiben; Blick fokussieren, mich auf das Atmen konzentrieren, ruhig atmen.
Jemanden rufen, um nicht alleine zu sein, oder jemanden anrufen und reden, bis es mir besser geht.
Die Werte regelmäßig kontrollieren.
Über ihre „Hypo“-Angst hat Lisa auch in dieser Podcast-Episode gesprochen: „Hypo“-Angst und wie man sie loswird (Podcast)
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