- Aus der Community
Der „Hypo“-Angst den Kampf ansagen
5 Minuten
Im Sommerurlaub auf Mallorca passierte es damals zum ersten Mal. Ich bemerkte meine anrauschende Unterzuckerung nicht und verlor das Bewusstsein. Dazu hatte ich Krampfanfälle, weswegen andere Urlauber einen Krankenwagen wegen eines vermuteten epileptischen Anfalls riefen. Meine Eltern klärten die Situation auf und wenige Stunden später ging es mir schon wieder besser. Für den restlichen Urlaub war ich dennoch die Attraktion im Hotel.
Der Anfang

In meiner Pubertät war mein Diabetes wirklich schwer einzustellen. Wahrscheinlich durch die sich ändernde Hormonausschüttung schwankte mein Insulinbedarf und ich reagierte teilweise sehr empfindlich darauf. Es kam öfter zu schweren Hypoglykämien mit Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen. Meistens in der Nacht. Ich selbst bekam es nur selten mit. Für meine Mama begann eine Zeit mit schlaflosen Nächten, in denen sie regelmäßig aufstand, um nach mir zu sehen und meine Blutzuckerwerte zu überwachen.
Ich selbst wollte nicht schwach wirken und auch nicht in der Schule fehlen, also erzählte ich kaum von den Vorfällen in der Nacht. Auch sonst war ich eher genervt vom Diabetes und wollte gerne ein normaler Teenager sein. So fing ich an, meine Blutzuckerwerte bewusst höher zu halten, um bloß nicht zu unterzuckern. War mein Blutzucker erhöht, fühlte ich mich auf der sicheren Seite. Das ging bis in meine Zwanziger und ich blieb bis dahin von schweren „Hypos“ verschont.
Eine Pause von der Angst

Erst mit fast 24 Jahren begann ich, mich wieder gut um meinen Diabetes zu kümmern, meine Blutzuckerwerte in einen vernünftigen Zielbereich zu bringen und mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Das klappte auch wirklich gut. Ich probierte endlich eine Insulinpumpe und konnte meinen HbA1c-Wert auf Dauer verbessern. Alles lief mittlerweile viel besser. Aus der Diabetes-Pubertät war ich endlich herausgewachsen. Schwere Unterzuckerungen traten nicht mehr auf, was es noch leichter machte, meinen Blutzuckerzielbereich herunterzusetzen.
Doch irgendwann passierte es erneut. Wieder einmal auf einer Reise im Ausland. Es war aufregend und stressig, ich merkte meine „Hypo“ viel zu spät und schaffte es nur noch, ein Glas Orangensaft herunterzustürzen, bevor alles schwarz wurde. Ich kam erst wieder zu mir, als eine Freundin und mehrere Sanitäter über mir knieten und eine Glukoseinfusion in meinem Arm steckte. Allzu bekannt kam mir all das vor, auch wenn es Jahrzehnte her war. Vermisst hatte ich dieses Gefühl sicher nicht.
Die Steigerung der Angst

Anschließend kam auch die Angst vor Unterzuckerungen zurück. Erneut setzte ich meine Zielwerte für meinen Blutzucker höher an, als normal empfohlen wird. Als es die Tage darauf noch ein paar mehr Unterzuckerungen hagelte, wurde diese Angst innerhalb weniger Wochen immer schlimmer. Als ich während einer Vorlesung in der Uni unterzuckerte, geriet ich in Panik. War ich normalerweise eher jemand, der seine Unterzuckerungen versuchte zu verheimlichen und sich still und leise unter dem Tisch Traubenzucker in den Mund stopfte, konnte ich dieses Mal nicht länger ruhig bleiben. Ich bat meine Mitstudierenden, mich aus der Sitzreihe zu lassen, und erntete einige wütende Kommentare. Das war zu viel. Wenig später saß ich weinend im Treppenhaus und rief meinen Freund an, damit er mich abholte. Nie habe ich mich wegen meines Diabetes schwächer gefühlt. Was war nur mit mir los?
Dieser Schlüsselmoment, in dem ich auch noch blöd angemacht wurde, gab mir irgendwie den Rest. Meine Angst vor Unterzuckerungen wuchs so sehr, dass ich plötzlich Angst hatte, alleine das Haus zu verlassen.
„Das kann doch wirklich nicht sein!“

Noch nie hatte ich so sehr zugelassen, dass mein Diabetes mein Leben einschränkt. Zum Glück, muss man heute schon fast sagen, befand ich mich in der vorteilhaften Situation, gerade eine Psychotherapie begonnen zu haben. Bevor alles noch viel schlimmer wurde, brachte ich das Thema direkt auf den Tisch und sprach darüber. Auch meiner Diabetologin erzählte ich sehr zügig von meinen jüngsten Erlebnissen. Wir entschieden uns damals, ein rtCGM-System zu beantragen, das mit einer Insulinpumpe kommuniziert und die Insulinzufuhr, wenn eine Unterzuckerung im Anmarsch ist, unterbricht. Als das System endlich bewilligt wurde, fühlte ich mich sicherer. Es dauerte wirklich nicht lange, da konnte ich schon wieder alleine das Haus verlassen. Allerdings hatte ich meine Pumpe immer in der Hand. Griffbereit, um meine Zuckerwerte jederzeit kontrollieren zu können. Es vergingen kaum zehn Minuten, in denen ich meine Glukosewerte nicht wahnartig im Blick behielt.
Die Angst bekämpfen
Es dauerte noch etwas, um erneut Vertrauen in mich selbst, meinen Körper und meine Diabetestherapie zu bekommen. Noch heute finde ich Unterzuckerungen am unangenehmsten an einem Leben mit Diabetes. Ich mag sie einfach nicht. Das Gefühl, eine Zwangspause einlegen zu müssen, essen zu müssen, obwohl man keinen Hunger hat, oder sogar der Kontrollverlust über die eigenen Gefühle und den eigenen Körper. Unterzuckerungen sind für mich mehr als unangenehm. Aber ich habe es geschafft, meine panische Angst in den Griff zu bekommen. Unterzuckerungen schränken mich im normalen Alltag nicht mehr ein, sie bleiben höchstens unangenehm und ärgerlich.
Wenn ihr solche Gefühlte kennt, dann seid euch gewiss: Ihr seid damit nicht alleine. Sprecht darüber, sucht euch Hilfe. Es muss auch nicht immer direkt professionelle Hilfe sein, manchmal helfen schon kleine Tipps und Tricks im Alltag und der Austausch mit anderen, wie ich selbst erlebt habe.
Was mir bei meiner „Hypo“-Angst geholfen hat
Offen über meine Gefühle und Ängste reden, sowohl mit meinen Angehörigen als auch mit anderen Menschen mit Diabetes.
Die Diabetes-Therapie optimieren; ein rtCGM-System ausprobieren bzw. ein Pumpensystem mit „Hypo-Abschaltung“.
Kleine Ziele setzen; individuelle Alarme einstellen. Erst nicht so niedrig (mein eigener Wohlfühl- und Sicherheitsbereich). Als ich mich sicherer fühlte, mit den Alarmen weiter runtergegangen.
Die richtigen und schnellen „Hypohelfer“ dabeihaben.
Über ein rtCGM-System mit „Follower“-Funktion nachdenken. Die Werte mit jemandem teilen, als Sicherheitsbackup.
Womit ich mich noch sicherer fühle: eine Notfallkarte, Armband oder Kette tragen und meinen Smartphone-Sperrbildschirm mit einer Notfallinformation ausstatten.
Was mir während einer „Hypo“ hilft:
Schnelle „Hypohelfer“ essen, die mir schmecken und die ich nicht herunterwürgen muss.
Mich setzen.
Versuchen, ruhig zu bleiben; Blick fokussieren, mich auf das Atmen konzentrieren, ruhig atmen.
Jemanden rufen, um nicht alleine zu sein, oder jemanden anrufen und reden, bis es mir besser geht.
Die Werte regelmäßig kontrollieren.
Über ihre „Hypo“-Angst hat Lisa auch in dieser Podcast-Episode gesprochen: „Hypo“-Angst und wie man sie loswird (Podcast)
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 4 Tagen, 12 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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stephanie-haack postete ein Update vor 5 Tagen, 9 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 5 Tagen, 8 Stunden
Ich bin dabei 🙂
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
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Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike