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Viele Menschen mit Typ-2-Diabetes stehen einer Insulintherapie zunächst skeptisch gegenüber. Prof. Thomas Haak erklärt im aktuellen Teil der Insulin-Serie, wieso viele Sorgen unbegründet sind und wie ein sanfter Therapiestart gelingt.
Julius R. ist ein lebensfroher Mensch, der vor einem Jahr berentet wurde. “Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an” ist sein Motto, und als Genussmensch sind für ihn Essen und Trinken bedeutend für die Lebensqualität. Sport war nie seine Leidenschaft, aber er hat einen Hund und bewegt sich täglich mindestens ein bis zwei Stunden an der frischen Luft.Seit 11 Jahren hat er Typ-2-Diabetes und wird mit einer Kombination aus Metformin und einem “SGLT-2-Hemmer” behandelt: Das führt zu einem Glukoseverlust über den Urin.
Die Therapie verträgt er gut, Nebenwirkungen hat er bisher nicht. Beim letzten Arztbesuch rät der Hausarzt aufgrund des HbA1c-Wertes von 8,5 Prozent, dass die Therapie erweitert werden muss. Julius R. beginnt, über eine Woche seinen Blutzucker morgens, mittags, abends und vor dem Zubettgehen zu messen.
Dabei zeigt sich, dass der Blutzucker vor dem Zubettgehen zwischen 80 und 120 mg/dl (4,4 und 6,7 mmol/l) liegt, jedoch am nächsten Morgen selten niedriger als 160 mg/dl (8,9 mmol/l) ist. Der Hausarzt rät daher zu einer “basalunterstützten oralen Therapie” und verordnet ein Insulin zur Nacht.
Im Beispiel oben rät der Arzt zum Beginn einer Insulintherapie. Aber nur wenige Patienten sind begeistert von diesem Vorschlag. Was denkt sich der Arzt dabei, wieso wird Insulin bei Typ-2-Diabetes gebraucht? Normalerweise ist der Typ-2-Diabetes dadurch gekennzeichnet, dass Insulin zwar vorhanden ist, aber nicht mehr ausreichend wirkt. Diesen als Insulinresistenz bezeichneten Wirkverlust des Insulins kann man mit verschiedenen Medikamenten behandeln.
Die Medikamente sind zumeist verträglich und lassen sich gut miteinander kombinieren. Auf diese Weise kann man in Verbindung mit einem besseren Lebensstil einen Typ-2-Diabetes problemlos über einige Jahre kontrollieren.
Allerdings ist der Typ-2-Diabetes eine fortschreitende Erkrankung: Das heißt, dass im Laufe der Jahre die Insulinproduktion geringer wird. Irgendwann einmal ist auch unter einer Kombinationstherapie mit verschiedenen Tabletten die Insulinproduktion so gering, dass sie für eine gute Blutzuckereinstellung nicht mehr ausreicht. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem Insulin ins Spiel kommt.
Viele Patienten haben aber Angst vor Insulin: Zum einen befürchten sie, dass man von Insulin dick wird. Diese Sorge ist unbegründet. Insulin führt nur im Übermaß zu einer Gewichtssteigerung – dieses Überangebot an Insulin zu vermeiden, gelingt durch die Devise “so viel Insulin wie nötig, aber so wenig wie möglich”.
Eine andere Sorge von Betroffenen ist, dass man mit Beginn der Insulintherapie “irgendwie das Endstadium erreicht hat” und jetzt besonders schwer krank ist. Auch dieses Gefühl ist völlig unbegründet. Insulin ist genau wie Tabletten ein wirkungsvolles Medikament, das, sofern richtig angewendet, eine gute Blutzuckerführung ermöglicht.
Ein sanfter Einstieg in die Insulintherapie gelingt mit der basalunterstützten oralen Therapie. Im Falle unseres Patienten Julius R. besteht das Problem, dass der Blutzucker in der Nacht unkontrolliert ansteigt. Dies kann man dadurch verhindern, dass man eine geringe Menge Insulin zur Nacht gibt. Unter einer geringen Menge versteht man 8 bis 10 Einheiten als Startdosis. Die Insulindosis wird so angepasst, dass der Blutzucker am nächsten Morgen zwischen 80 und 120 mg/dl (4,4 und 6,7 mmol/l) liegt.
Bei den meisten Menschen reichen geringe Insulindosen aus. Es gibt aber Betroffene, die 20 Einheiten Insulin oder mehr benötigen, um den Blutzucker in der Nacht zu kontrollieren. Wenn es jedoch mehr als 40 Einheiten werden, sollte dieses Therapiekonzept überdacht werden: In diesen Fällen ist meist der Umstieg auf eine intensivierte Insulintherapie (zusätzlich Insulin zu den Mahlzeiten) notwendig.
Das zur Nacht gegebene Insulin ist ein Verzögerungsinsulin (NPH-Insulin, Insulin glargin, Insulin detemir). Diese Verzögerungsinsuline wirken während der Nacht und entlasten auf diese Weise die Bauchspeicheldrüse – sie kann sich quasi für ihre Aufgaben am folgenden Tag ausruhen. Die bis zum Beginn der Insulintherapie verordneten Tabletten werden unverändert weitergegeben.
Auf diese Weise lässt sich der Blutzucker über einen längeren Zeitraum, manchmal sogar über Jahre weiterhin gut stabilisieren. Diese Injektion zur Nacht lässt sich für die meisten Menschen einfach erlernen und in das Ritual vor dem Zubettgehen integrieren: Man nennt dies auch den “sanften Einstieg in die Insulintherapie”, der auch vermittelt, dass eine Insulintherapie weder schmerzhaft noch mit unangenehmen Nebenwirkungen verbunden ist.
Julius R. hat seinem Arzt vertraut und mit Insulin zur Nacht begonnen. Die ersten Insulininjektionen waren ihm nicht ganz geheuer, aber dann fiel es ihm doch leicht, die Therapie umzusetzen. Drei Monate später lag der HbA1c-Wert mit 7,2 Prozent im idealen Bereich, ohne dass Julius R. eine Unterzuckung erleben musste und ohne dass er groß an Gewicht zugenommen hat.
von Prof. Dr. Thomas Haak
Diabetes-Journal-Chefredaktion,
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (06131) 9 60 70 0, Fax: (06131) 9 60 70 90,
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (9) Seite 30-31
5 Minuten
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