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Schmerzen in oder an den Beinen sind einer der häufigsten Gründe, warum Menschen einen Arzt aufsuchen – oft, nachdem sie Monate oder sogar Jahre „Selbstversuche“ mit „Rheuma-Mitteln“ (Antirheumatika) oder der lokalen Anwendung von Wärme oder Kälte durchgeführt haben.
Schmerzen in den Beinen beginnen nicht unbedingt dort, sondern kommen meist aus dem Bereich der Lendenwirbel und Hüfte und strahlen dann in die Beine aus. Wenn Menschen mit Diabetes Schmerzen in den Beinen haben, wird oft reflexartig eine Polyneuropathie, also eine Schädigung der Nerven durch erhöhte Zuckerwerte, angenommen, bei Menschen, die rauchen, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), also eine Durchblutungsstörung der Beine.
Bei sehr übergewichtigen Menschen wird dagegen häufig eher von einem Schaden an der Wirbelsäule, besonders der Lendenwirbelsäule (LWS-Syndrom) oder von Schmerzen durch den Ischias-Nerv ausgegangen und durch Schäden an den Bandscheiben. Auch eine Enge des Kanals, durch den das Rückenmark läuft (Spinalkanal), steht als Diagnose oft im Raum.
Olga N., 52 Jahre, 74 kg, Typ-2-Diabetes seit sechs Jahren, klagt ihrem Mann gegenüber seit einigen Wochen über Schmerzen im rechten Bein, ausstrahlend in Hüftbereich und Oberschenkel bzw. rechtes Gesäß, besonders beim Treppensteigen. Zunächst gehen sie, und auch der Hausarzt, von einem Hüftschaden bzw. von einer Reizung des Ischias-Nervs aus. Der Hausarzt verschreibt Schmerzmittel und sechsmal Physiotherapie. Es wird aber nur etwas besser, die Schmerzen strahlen immer wieder von der Hüftregion in Oberschenkel und Gesäß aus.
Olga ist Krankenschwester in einem Krankenhaus. Als sie die Beschwerden dem Stationsarzt schildert und nachdem eine Röntgen-Untersuchung einen unauffälligen Befund ergeben hatte, führt dieser eine Ultraschall-Untersuchung der Gefäße der Leistenregion durch – und stellt eine hochgradige Enge der tiefen Oberschenkel-Arterie fest. Nach Aufdehnen dieser Arterie und Einlage eines Stents in der Gefäß-Abteilung (Angiologie) des Krankenhauses ist Olga wieder beschwerdefrei.
In der Praxis gibt es aber oft auch Überschneidungen der verschiedenen Krankheitsbilder. Deshalb sollten bei derartigen Schmerzen, insbesondere bei Menschen mit Diabetes, immer Ärzte verschiedener Fachrichtungen befragt werden, z. B. Diabetologe, Orthopäde, Angiologe und Hausarzt.
Denn eine jahrelange Therapie ohne Diagnose kann gefährlich sein. So kann eine vermeintlich harmlose Durchblutungsstörung einer Bein-Arterie einen Hinweis auf schwerwiegende Veränderungen der Gefäße des Herzens oder des Gehirns geben. Menschen mit Diabetes und einer Polyneuropathie sind dadurch besonders gefährdet: Bei ihnen können schwere Durchblutungsstörungen durch einen „fehlenden Schmerz“ übersehen oder falsch eingeordnet werden.
Im Folgenden werden deshalb häufig in der Praxis vorkommende Ursachen von Beinschmerzen erklärt, besonders bei Menschen mit Diabetes.
Diese entwickelt sich bei Menschen mit Diabetes oft unbemerkt, nur etwa jeder fünfte Betroffene klagt über die typischen Beschwerden wie Schmerzen in den betroffenen Beinabschnitten. Bei einer Engstelle in der Oberschenkel-Arterie zum Beispiel sind das Wadenschmerzen, die zu häufigem Stehenbleiben führen, auch als Schaufenster-Krankheit bezeichnet.
Diese Engstellen steigern das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen um das Drei- bis Vierfache, auch wenn überhaupt keine Symptome bestehen. Etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen mit Diabetes und einer pAVK versterben innerhalb von fünf Jahren. Liegt eine kritische Durchblutungsstörung eines Beins vor, stirbt jeder Zehnte bereits im ersten Jahr nach Diagnose, jeder Vierte verliert in demselben Zeitraum sein Bein.
Das bedeutet, dass eine frühere Diagnostik und konsequentere Behandlung bestehender Risikofaktoren erfolgen sollte. Das betrifft z. B. Störungen des Fettstoffwechsels, Nierenerkrankungen und Bluthochdruck und natürlich den Diabetes, aber auch den Abbau von Risikofaktoren wie Übergewicht und Rauchen. Das Fortschreiten der pAVK verläuft umso schneller, je stärker die ursprüngliche Symptomatik ausgeprägt ist.
Der zunehmende Schmerz bei Belastung ist zwar ein wichtiges Warnsymptom der pAVK, erstaunlich viele Patienten haben diesen, wie oben beschrieben, aber nicht. Die in Tabelle 1 beschriebenen Fontaine-Stadien geben daher nur einen klinischen Hinweis auf eine Durchblutungsstörung, wenn entsprechende Beschwerden vorhanden sind. Bei entsprechenden Risiken, aber fehlenden Beschwerden muss man daher nach Hinweisen suchen.
Die Hälfte der Betroffenen hat trotz hochgradiger Engstellen oder sogar Verschlüssen überhaupt keine Beschwerden. Ursache kann bei Menschen mit längerer Diabetesdauer eine gleichzeitig vorhandene periphere Polyneuropathie in den Füßen und Beinen sein. So wird die Diagnose einer pAVK bei vielen Menschen mit Diabetes oft zu spät – nämlich erst im Stadium IV nach Fontaine mit meist nicht mehr „reparierbaren Schäden“ – gestellt. Eine Therapie, z. B. eine Erweiterung der Engstelle mit Ballon (Ballon-Dilatation) mit oder ohne Gefäßprothese (Stent), ein Entfernen eines verkalkten Stücks der Arterie (Thrombendarteriektomie) oder ein Bypass, kommt so häufig nicht mehr in Frage.
Von den jährlich etwa 65 000 Amputationen in Deutschland werden etwa 40 000 bei Menschen mit Diabetes vorgenommen, davon 16 000 am Ober- und Unterschenkel. Nur ein Teil davon ist rein durch Durchblutungsstörungen bedingt – Mischformen aus pAVK und Neuropathie kommen zusätzlich vor. Rein neuropathisch entstandene Wunden (Geschwüre) am Fuß lassen sich meist bei konsequenter Therapie gut zur Abheilung bringen. Aber: Wenn keine Durchblutung mehr da ist, wird es schwierig.
Eine der häufigsten Ursachen der Polyneuropathie ist der Diabetes. Etwa 30 bis 40 Prozent aller Menschen mit Diabetes entwickeln sie im Lauf ihrer Erkrankung, etwa 30 Prozent aller bekannten Menschen mit Diabetes sind bereits davon betroffen. Durch die manchmal quälenden Beschwerden, auch in Form von Schmerzen (besonders nachts) ist häufig die Lebensqualität der Betroffenen extrem eingeschränkt.
Typische Beschwerden bei Polyneuropathie sind:
Muskelkrämpfe und Überanstrengung, zu viel oder ungewohnte Bewegung können Zerrungen, Mikrorisse in den Muskelfasern und Krämpfe verursachen. Aber auch andere Ursachen können der Grund für Schmerzen in den Beinen sein:
Erkrankung | Symptome |
---|---|
unruhige Beine, Restless-Legs-Syndrom (RLS) | Brennen, Stechen, Jucken, Kribbeln in den Beinen, Müdigkeit, Schlafprobleme, Bewegungsdrang |
Borreliose | erst Schmerzen an der Stelle des Bisses der Zecke, später ausstrahlende Schmerzen im Bein oder auch generalisiert, auch Nervenschmerzen und -ausfälle |
gereizter Ischias-Nerv (Ischialgie) | Schmerzen zwischen Lenden- und Kreuzbeinwirbeln mit Ausstrahlung in Becken (Gesäß), Knie und Fuß |
Bandscheiben-Vorfall | ausstrahlender Schmerz in Gesäß oder Bein (ähnlich wie bei einer Ischialgie), bei Belastung/Bewegung zunehmend Niesen und Husten verstärken die Schmerzen Kribbeln und Taubheitsgefühl im Bein bis hin zu Lähmungen/Ausfällen |
Verengung des Rückenmark-Kanals (Spinalkanal-Stenose) | Nerven werden eingeklemmt und verursachen Schmerzen, meist im unteren Rückenbereich (Lendenwirbelsäule) |
Knieschmerzen (Gonarthrose) | Schmerzen im Knie bzw. in der Kniekehle mit Ausstrahlen in die Wade Druckgefühl oder Schmerzen, besonders bei starkem Strecken bzw. Abknicken des Kniegelenks kann wechselhaft auftreten |
Schmerzen an der Achillessehne (stärkste Sehne des menschlichen Körpers) | verkürzte Wadenmuskulatur durch sitzende Tätigkeit, z. B. Büroarbeit, verursacht Schmerzen |
Um die Ursache von Beinschmerzen herauszufinden, gibt es verschiedene Untersuchungs-Methoden, die je nach Beschwerden eingesetzt werden. Diese sind:
Schmerzen in den Beinen sind ein häufiges Phänomen. Eine rechtzeitige Diagnose kann oft schlimme Verläufe einer Erkrankung verhindern. Bei Menschen mit Diabetes sollten neben der Polyneuropathie immer auch andere Erkrankungen ausgeschlossen werden – erst recht mit zunehmendem Alter oder bei Menschen mit starkem Übergewicht. Ärzte verschiedener Fachrichtungen sollten zum Finden der Diagnose einbezogen werden. Wichtig: Vor der Therapie steht immer die Diagnose!
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (11) Seite 38-41
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