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Anfang Februar vergangenen Jahres erklärte das Robert Koch-Institut Diabetiker*innen zur Risikogruppe. Einen Monat später dann die „Entwarnung“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft: Bei jungen Diabetiker*innen gäbe es, nach Ansicht der DDG, kein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei einer Infektion mit COVID-19, vorausgesetzt sie haben stabile Blutzuckerwerte und keine Folge- bzw. Begleiterkrankungen. Nun werden seit Dezember die ersten Impfungen gegen das Virus verteilt. Doch viele chronisch Kranke, darunter auch junge Diabetiker*innen, fühlen sich bei der Impfstrategie vergessen. Dies sorgt nicht nur für zunehmende Unsicherheit, sondern auch für Verärgerung – und das zu Recht, finde ich.
Wirft man einen Blick auf die bei der Corona-Impfung priorisierten Gruppen, fällt einem sofort auf: Chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen stehen hintenan, auch wenn sich das bis zur Veröffentlichung der Impfstrategie der Bundesregierung noch anders angehört hat. Alte und kranke Menschen sollten eigentlich zuerst kommen. Fakt ist aber nun, dass Menschen mit Diabetes und andere chronisch Kranke nur eine erhöhte Priorität (Abstufung: höchste, hohe, erhöhte) haben, vorausgesetzt, sie sind nicht über 70 Jahre alt. Das bedeutet, dass sie erst in dritter Linie geimpft werden, was, wie ich vermute, frühestens im Sommer/Herbst sein wird. Das führte bereits im Dezember dazu, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG Selbsthilfe) eine höhere Priorisierung und Überarbeitung der Impfstrategie forderte, jedoch ohne Erfolg. Stattdessen wird der Schutz dieser Risikogruppe in den Bereich der Eigenverantwortung verlagert.
Corona-Risikogruppen, so der Apell auf der Informationsseite der Bunderegierung, sollen sich besonders streng an Hygieneregeln halten und vor allem stärker ihre sozialen Kontakte einschränken und zu Hause bleiben. In der Praxis ist das aber kaum möglich, da viele nicht die Möglichkeit haben, ins Home-Office zu gehen, da es selbst für Risikogruppen keinen gesetzlichen Anspruch gibt, zu Hause zu bleiben, egal wie hoch das Infektionsrisiko ist.
Wie schwer umsetzbar es ist, Kontakte als Diabetiker*in zu reduzieren, weiß ich selbst. Zwar bin ich momentan zu Hause, mein Freund aber nicht. Er muss jeden Tag ins Büro. Dort sitzt er teilweise mit Kolleg*innen zusammen, die Corona verharmlosen. Viel tun kann er dagegen nicht, außer sich so gut wie möglich an Abstands- und Hygieneregeln zu halten. Eine potenzielle Gefahr ist es trotzdem.
Laut Robert Koch-Institut werden Diabetiker zu den Personengruppen gezählt, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Doch schon zu Beginn der Pandemie hieß es von der DDG: nicht alle Diabetiker. In einer Pressemitteilung von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe Anfang März 2020 heißt es: „Kein erhöhtes Infektionsrisiko haben ‚gesunde‘ Diabetespatienten Typ 1 und Typ 2 mit einer stabilen Glukoseeinstellung.“
Doch selbst, wenn man diese Einschätzung als richtig annimmt, zeichnen solche Aussagen, meiner Meinung nach, ein falsches Bild von dem Umgang mit Diabetes. Oft hört man, auch außerhalb der Corona-Risikogruppen-Debatte, dass Menschen mit Diabetes, in der heutigen Zeit, so gut leben könnten, dass es für sie kaum bis keine Einschränkungen mehr gäbe. Das stimmt in meinen Augen aber nur bedingt. Natürlich haben Forschung und technische Neuerungen die Lebensqualität von Diabetiker*innen verbessert und den Alltag sowie den Umgang damit erleichtert. Dennoch, was oftmals nicht zur Sprache kommt, ist der Fakt, dass Diabetiker*innen, vor allem „Typ-1er“ und auch die insulinpflichtigen „Typ-2er“, tagtäglich die Aufgabe eines lebenswichtigen Organs übernehmen.
Diabetes ist eine zusätzliche Belastung und eine Erkrankung, die 24/7 Aufmerksamkeit erfordert. Davon gibt es keine Auszeit, keine Pausen und kein „heute habe ich keine Lust“. Wir sind auf eine kontinuierliche Überwachung unserer Blutzuckerwerte angewiesen, nicht nur, um Langzeitfolgen auszuschließen, sondern auch, um lebensgefährliche Situationen wie starke Unterzuckerungen zu verhindern.
Selbst wenn das Risiko für einen schweren Verlauf für junge, „gesunde“ Diabetiker*innen nicht höher ist, kann man einen solchen nicht ausschließen. Und was dann? Was passiert mit den Diabetiker*innen, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen? Die weder eigenständig ihren Blutzucker kontrollieren noch Insulin spritzen können? Aus meiner Sicht ist es an dieser Stelle mehr als naiv zu glauben, dass sich das bereits jetzt schon überlastete Krankenhauspersonal in einer Ausnahmesituation, wie der gerade stattfindenden Pandemie, um ein ununterbrochenes Monitoring der Blutzuckerwerte der Betroffenen Patient*innen kümmern kann.
Hat man sich einmal diese Frage gestellt, ist also kein Wunder, warum sich viele nicht ausreichend gestützt und bei der Impfstrategie ausgeschlossen fühlen. Hinzu kommt, dass seit Beginn der Pandemie, nicht nur Patient*innen, sondern auch Ärzt*innen die niedrige Priorisierung sowie die Einschätzung der DDG in Frage stellen. In einem Report des Deutschen Ärzteblattes heißt es: „So zeigen Daten aus den von COVID-19 am stärksten betroffenen Gebieten, dass das Mortalitätsrisiko für Diabetiker um fast 50 % erhöht ist.“
Dabei habe, laut den Daten, die Blutzuckereinstellung der Patient*innen weniger Einfluss auf den Krankheitsverlauf von COVID-19. „Die HbA1c-Werte (…) hatten ebenfalls keinen erkennbaren Einfluss auf das Risiko.“ Selbst bei einem gut eingestellten Diabetes, ohne Begleit- oder Folgeerkrankungen, ist das Infektions- und Sterberisiko erhöht, da Diabetiker*innen, unabhängig von Alter und Gewicht, ein geschwächtes Immunsystem haben können.
Junge Diabetiker*innen aus der Risikogruppe auszuschließen, ist, meiner Meinung nach, eine Fehleinschätzung, genauso wie die Einordnung in die dritte Impfgruppe mit gerade einmal erhöhter Priorität. Auch wenn die Expertenmeinungen bei der Corona-Diabetes-Debatte auseinandergehen und noch nicht genug Studien und Daten vorliegen, kann ich als Betroffene sagen, dass ich nicht bis zum Sommer oder Herbst mehr warten kann und auch nicht will. Den Schutz von chronisch Kranken allein in den Bereich der Eigenverantwortung zu verlagern, ist die falsche Strategie, gibt falsche Signale und verharmlost Diabetes sowie die damit verbundene Last.
Die meisten von uns kämpfen nicht nur mit den körperlichen Belastungen von Diabetes, sondern auch mit den psychischen. Bei Diabetiker*innen ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, 2- bis 3-mal höher als bei Menschen ohne Diabetes. Wobei gerade einmal 25 % bis 50 % diagnostiziert werden. Auch Angst- und Panikstörungen gehören oft zu den psychischen Begleiterkrankungen. Negative Gedanken, Angstgefühle und Stress beeinflussen unseren Körper. Das kann schnell zu einem Teufelskreis werden – psychische Probleme führen oft zu schlechteren Blutzuckerwerten und der dadurch verursachte Druck verschlimmert wiederum Depression und Ängste. Kommen nun der emotionale Stress und die Unsicherheit infolge der Corona-Pandemie hinzu, können besonders depressive Phasen dazu führen, dass es manchmal unmöglich scheint, sich an seinen Behandlungsplan zu halten. Aus eigenen Erfahrungen kann ich sagen: je schlimmer mein mentaler Zustand, umso weniger kontrollierbar sind meine Blutzuckerwerte.
Doch die psychische Belastung durch Diabetes bleibt auch in der Debatte um die Risikogruppen unbeachtet. Eine stabile Glukoseeinstellung unter gegebenen Bedingungen kann ich gerade nicht sicherstellen, allen Anstrengungen zum Trotz. Sind Angst und Depression zu präsent, sind die Werte nicht selten ein Desaster.
Und wie lange soll man diesen Zustand noch aushalten? Bis zur Impfung im Sommer/Herbst? Ist das vertretbar?
Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass es mich wütend macht und ich mich vergessen fühle. Mehr noch als sonst. Und ich weiß, dass es mir nicht allein so geht, dass es nicht nur Diabetiker*innen betrifft, sondern auch andere chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen.
Die Impfstrategie und die dadurch ausgelöste Debatte hat mir einmal mehr ganz deutlich gezeigt: Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen werden in unserer Gesellschaft übersehen.
Quellen:
Coronaschutzimpfung – sachsen.de
Informationen für Corona-Risikogruppen (bundesregierung.de)
COVID-19: Impfstrategie soll chronisch Kranke stärker berücksichtigen (aerzteblatt.de)
Erhöhtes Sterberisiko: COVID-19 und Diabetes – eine unheilige Allianz (aerzteblatt.de)
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