4 Minuten
Seitdem ich schwanger bin, dreht sich bei mir vieles um dieses Thema, klar. Als „Digital Native“ treibe ich mich zusätzlich viel in sozialen Netzen umher und schnappe viel auf. Dabei ist mir auch aufgefallen, wie häufig das Thema Schwangerschaftsdiabetes auftritt. Oft wollte ich den Menschen gerne mit meinem Diabeteswissen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Doch ich merkte schnell, dass ein Schwangerschaftsdiabetes nochmal eine ganz andere Liga ist und ich trotz meiner 20-jährigen Diabetesdauer keine oder nur wenig Ahnung hatte. Das ließ mir keine Ruhe. Also habe ich mich mit meinen Fragen an meine Diabetesberaterin gewandt und sie mit Fragen bombardiert. Martina Breßler ist Diabetesberaterin DDG und Diätassistentin in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis in Kassel und kennt sich dementsprechend mit Schwangerschaftsdiabetes aus.
Hallo Frau Breßler. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen. Ich fange einfach mal direkt an: Wie genau kommt es denn zu einem Schwangerschaftsdiabetes?
Hallo Lisa! Ein Schwangerschaftsdiabetes ist eine erstmals in der Schwangerschaft diagnostizierte Glukosetoleranzstörung. Es kann sich aber auch um einen bisher nicht erkannten Typ-2-Diabetes handeln. Die Diagnose schließt sogar eine erstmalige Typ-1-Manifestation nicht aus.
Hmm. Das habe ich nun auch schon ein paar Mal mitbekommen. Aber kann man Schwangerschaftsdiabetes dann vorbeugen?
Natürlich nicht in jedem Fall, aber ansonsten ja. Bei positiver Familienanamnese kann ein Vermeiden von Übergewicht, eine gesunde, normalkalorische Ernährung und ausreichend Bewegung helfen.
Das bedeutet dann auch, dass es „Risikopatienten“ bzw. „Risikofaktoren“ gibt? Also Frauen, die mehr gefährdet sind, einen Schwangerschaftsdiabetes zu entwickeln?
Ja, zum Beispiel Frauen, die älter als 25 Jahre sind, ein BMI von über 27 oder, wenn es Verwandte 1. Grades mit Diabetes mellitus gibt.
Wie wird ein Schwangerschaftsdiabetes in der Regel entdeckt?
Bei allen Schwangeren wird in der 24.–28. SSW ein Screening gemacht. Ohne Screening wird er meist nicht entdeckt. Der Test ist seit Mai 2012 auch Kassenleistung. Bei Risiko-Gruppen wird der Test auch schon im ersten Trimester gemacht. Wenn der Befund negativ ist, wird er in der 24. sowie evtl. ab der 32. Schwangerschaftswoche wiederholt.
Und ab wann spricht man von einem Schwangerschaftsdiabetes? Wie sollten die Zielwerte sein?
Zuerst noch: Die Blutentnahme muss venös erfolgen, also nicht mit einem herkömmlichen Hand-Blutzuckermessgerät. Dabei sollten die Werte dann so ausfallen:
nüchtern: <92 mg/dl bzw. 5,1 mmol/l
nach 1h: <180 mg/dl bzw. 10,0 mmol/l
nach 2h: <153 mg/dl bzw. 8,5 mmol/l
Ist mindestens ein erhöhter Wert im venösen Plasma, wird die Diagnose gestellt.
Welche Zielwerte müssen dann während der Schwangerschaft erreicht werden?
Das ist tatsächlich wie bei dir mit deinem Typ-1-Diabetes:
Blutzucker-Zielwerte (Plasma-kalibriertes Messgerät):
nüchtern/präprandial: 65-95 mg/dl bzw. 3,6–5,3 mmol/l
1h postprandial (nach Beginn der Mahlzeit): <140 mg/dl bzw. 7,8 mmol/l
2h postprandial (nach Beginn der Mahlzeit): <120 mg/dl bzw. 6,7 mmol/l
Auch der HbA1c-Wert sollte im Normbereich, also am besten unter 6,5% liegen. Die Verlaufskontrolle erfolgt monatlich.
Warum ist das Einhalten der Zielwerte so wichtig? Welche Risiken entstehen für Mutter und Kind?
Akute Folgen könnten z.B. sein: Harnwegsinfekt; zu großes Kind, aber noch nicht reif; Bluthochdruck bei der Mutter; wegen fehlender Lungenreife kann es zu Atemproblemen beim Kind kommen; außerdem kann es zu niedrigen Blutzuckerwerten nach der Geburt beim Baby kommen.
Auf lange Sicht gibt es ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und eine spätere Diabetes-Erkrankung beim Kind.
Ab wann muss bei einem Schwangerschaftsdiabetes denn mit Insulin begonnen werden?
Wenn nach 1 bis 2 Wochen beim 4-Punkt-Profil 50% der Werte erhöht sind und/oder beim 6-Punkt-Profil der mittlere Blutzucker über 110 mg/dl liegt. Es gibt aber auch noch andere Indikationen. Zum Beispiel bei Ketonurie, einem BMI über 30 sowie bei grenzwertig erhöhter Blutglukose. Dann wird nochmal besonders der Abdomen- und Kopfumfang des Kindes beachtet, wenn diese zu groß sind, könnte das auch ausschlaggebend sein.
Kann der Schwangerschaftsdiabetes im Verlauf der Schwangerschaft „besser/schlechter“ werden?
Ja, je nachdem, wie konsequent die Therapie durchgeführt wird, können sich die Werte auch stabilisieren. Im Verlauf kann es auch sein, dass mit Insulin begonnen werden muss, je nach Blutzuckerwerten und Kindsentwicklung.
Wie sieht es nach der Schwangerschaft aus: Bleibt der Diabetes? Gibt es ein erhöhtes Risiko, später an Diabetes zu erkranken?
Mit dem Tag der Entbindung ist der Schwangerschaftsdiabetes vorbei, es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, in den Folgejahren einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln.
Das heißt auch, dass es ein erhöhtes Risiko bei nachfolgenden Schwangerschaften gibt?
Ja.
Okay. Wie wird denn nun ein Schwangerschaftsdiabetes therapiert? Worauf muss geachtet werden? Ernährung, Sport etc.?
Nach der Diagnosestellung sollte sofort eine Überweisung in eine diabetologische Schwerpunktpraxis erfolgen. Bei uns bekommt die Schwangere dann eine regelmäßige Betreuung. Beginnend natürlich mit einem Informationsgespräch. Was ist Schwangerschaftsdiabetes? Welche Risiken und Komplikationen bestehen? Usw. Anschließend gibt es Schulungen, die möglichst flexibel und individuell sind. Eine Ernährungsschulung und Bewegungstherapie spielen dabei eine große Rolle.
Anschließend sollte die Betroffene sofort mit der Blutzucker-Selbstkontrolle beginnen können. Das bedeutet meistens 4-6 Blutzuckertests am Tag. Danach gibt es dann eine Blutzuckerbesprechung, ca. im 2-Wochen-Rhythmus, und der HbA1c-Wert wird alle vier Wochen kontrolliert.
Das ist ja das volle Programm. Dann muss es ja auch Anspruch auf bestimmte Hilfsmittel wie Blutzuckermessgeräte geben?
Ja, Blutzuckermessgeräte sowie die nötigen Teststreifen und Lanzetten werden von den Krankenkassen übernommen.
Wie ist das, wenn die Frau insulinpflichtig ist? Werden nur Pens zur Verfügung gestellt oder können Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes auch CGM- und Pumpensysteme bekommen?
In der Regel werden nur die Insulinpens und Kanülen notwendig. Eine Insulinpumpe kommt bei uns nie zum Einsatz.
Auch die Indikation für ein CGM-Gerät ist nicht gegeben, da ja meist gar kein Insulin nötig wird und wenn, nur ganz gezielt eingesetzt werden muss.
Liebe Frau Breßler, vielen Dank für das Gespräch. Ich habe eine Menge gelernt. Vor allem, dass sich Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes in manchen Fällen doch gar nicht so sehr von mir selbst unterscheiden. Ich finde es großartig, dass sie so eine gute Betreuung bekommen.
Mehr zu Lisas Schwangerschafts-Story mit Typ-1-Diabetes erfahrt ihr hier: Schwanger mit Typ-1-Diabetes: 10 Dinge, die ich im 1. Trimester gelernt habe. Teil 1
4 Minuten
4 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen