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Diabetes-Komplikationen an den Augen sind sehr gefürchtet – schließlich kann bei ungünstigem Verlauf sogar Blindheit drohen. Doch es hat sich viel getan in der letzten Zeit – sowohl in Sachen Prävention als auch bei den Therapieoptionen.
Zuerst die erfreuliche Nachricht: Die Erblindungsraten bei Menschen mit Typ-1-Diabetes scheinen abzunehmen. Blutzuckerkontrollen, die konsequente Anwendung leitliniengerechter augenärztlicher Behandlung und die Vielfalt der Diabetestherapien zeigen Wirkung.
Auch insgesamt rangiert die diabetesbedingte Erblindung in Deutschland nicht (mehr) auf Platz eins: Hier spielen die altersabhängige Makuladegeneration und der grüne Star (Glaukom) die größere Rolle. Entwarnung kann aber nicht gegeben werden, dafür sind die stark steigenden Zahlen von Neuerkrankten mit Diabetes zu hoch.
Die weltweite Häufigkeit der diabetischen Retinopathie beträgt 35 Prozent der Diabetiker, davon haben 7 Prozent eine proliferative diabetische Retinopathie, 6,8 Prozent ein diabetisches Makulaödem und 10,2 Prozent eine das Sehen bedrohende Retinopathie.
Die vergleichbaren Daten aus Deutschland zeigen allerdings, dass ein Makulaödem, das die Sehkraft bedroht, nur bei 0,8 Prozent aller Patienten vorliegt, also relativ selten ist. Diese Diskrepanz wird einerseits über die unterschiedliche Diagnostik erklärt, andererseits sind zum Beispiel Blutzuckereinstellung und Blutdruck im weltweiten Vergleich in Deutschland relativ günstig.
Die Angst vor Erblindung führt bei vielen Diabetikern zu einer nachhaltigen Änderung im Lebensstil. Allerdings spielen gerade zu Erkrankungsbeginn, insbesondere bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, Verdrängung und Leugnung der möglichen Komplikationen eine große Rolle.
Aber Vorsicht: Bis zu einem Drittel aller Typ-2-Diabetiker haben, wenn der Diabetes diagnostiziert wird, bereits eine milde Retinopathie. Die Informations- und Beratungsangebote durch Ärzte, Diabetesberaterinnen, Betroffenenverbände und Gesundheitsorganisationen sollten daher unbedingt wahrgenommen werden – sie sind umfassend und lassen keine wichtige Frage unbeantwortet.
Das Sehen wird bei Menschen mit Diabetes im Wesentlichen durch zwei Mechanismen bedroht:
Die gemeinsame Grundlage von proliferativer Retinopathie und diabetischem Makulaödem ist der Sauerstoffmangel, der am Augenhintergrund durch den Verschluss von Blutgefäßen und damit durch Durchblutungsstörungen bedingt ist.
Am Anfang von Diagnostik und Therapie ist wichtig, dass sich alle behandelnden Ärzte – Hausarzt, Diabetologe und Augenarzt – austauschen. Dabei geht es vor allem um die Güte der Diabeteseinstellung, das gleichzeitige Vorliegen einer diabetischen Nierenerkrankung, weitere Begleiterkrankungen sowie die derzeitige Therapie und was möglich ist, sie zu optimieren, ohne z. B. durch Hypoglykämien zu gefährden.
Die Frühformen der diabetischen Retinopathie verursachen keine Beeinträchtigung des Sehens. Neben Durchblutungsstörungen können während der sehr frühen Phasen einer Diabeteserkrankung auch Veränderungen der Nervenzellfunktion im Auge vorliegen. Auch diese machen sich beim Sehen nicht bemerkbar; sie können nur mit aufwendigen, in der Routinediagnostik nicht angewendeten Tests gemessen werden. Ihre Wertigkeit für die Vorhersage des Verlaufs einer Retinopathie muss auch erst in Studien untersucht werden.
Also ist ein regelmäßiges Screening erforderlich, bei dem rechtzeitig behandlungsbedürftige Netzhautveränderungen entdeckt und bei Bedarf geeignete Behandlungen begonnen werden können. Wenn Sehstörungen eingetreten sind, müssen weit fortgeschrittene Schäden der Netzhaut angenommen werden.
Jeder Mensch mit Diabetes sollte daher regelmäßig eine Netzhautuntersuchung bei weitgetropften Pupillen erhalten: Liegt keine Retinopathie vor, empfiehlt sich eine jährliche Kontrolle der Netzhaut. Sollten Netzhautveränderungen bereits eingetreten sein, sind sorgfältige Wiederholungsuntersuchungen nach 6-, bei höheren Graden der Netzhautschädigung auch nach 3-monatigen Intervallen sinnvoll.
Es wird diskutiert, ob die Untersuchungsintervalle bei Patienten ohne Retinopathie und mit guter Stoffwechsel- und Blutdruckkontrolle sowie bei Fehlen einer Nierenerkrankung auch auf längere Intervalle ausgedehnt werden können, da es vor allem in Bundesländern mit unzureichender Zahl von Spezialisten keine Kapazitäten gibt, flächendeckend die rechtzeitige Diagnose einer (sehkraftbedrohenden) Retinopathie zu stellen und Maßnahmen zu ergreifen.
In einem Land mit hoher Zahl von Augenärzten scheint die Intervallverlängerung aus Kapazitätsgründen nicht zwingend erforderlich. Man kann aber in Einzelfällen entscheiden, das Kontrollintervall zu verlängern, wobei ein Restrisiko bleibt, dass sich in der Zwischenzeit eine Retinopathie entwickelt.
Entsprechend den Leitlinien erfolgt die Diagnostik der diabetischen Retinopathie durch Funduskopie, also das Ansehen des Augenhintergrunds. Das erfolgt mit Hilfe der Biomikroskopie in Kombination mit einer Spaltlampe. Mit der Spaltlampe kann man mit einem Lichtspalt einen optischen Schnitt durch die transparenten Abschnitte des Auges wie Hornhaut, Vorderkammer, Linse und Glaskörper legen und so deren Zustand beurteilen.
Hält der Augenarzt eine Lupe davor, ist es möglich, den kompletten Augenhintergrund zu beurteilen. Die Funduskopie erlaubt eine sichere Diagnose aller Retinopathiestadien einschließlich der diabetischen Makulopathie.
Das gleichzeitige Vorliegen einer diabetischen Nierernerkrankung beeinflusst den Verlauf der Retinopathie ungünstig. Dabei handelt es sich sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes um eine besondere Untergruppe von Patienten, die einen ungünstigen Krankheitsverlauf nehmen. Wenn sich also eine Nierenerkrankung entwickelt, ist eine sorgfältige Überwachung der Retinopathie in kürzeren Abständen als den jährlichen Kontrollintervallen erforderlich.
Vor Einleitung einer Nierenersatztherapie, einer Dialyse, ist wegen der damit verbundenen Medikamentengabe zur Hemmung der Blutgerinnung eine augenärztliche Kontrolle auch außerhalb der Intervalluntersuchungen angeraten.
Im Regelfall aber wird man eine diabetische Retinopathie feststellen, bevor eine diabetische Nephropathie entdeckt wird. Wenn bei Patienten mit einer Diabetesdauer von über 10 Jahren eine Nierenerkrankung entdeckt wird, ohne dass bereits eine diabetische Retinopathie bekannt ist, sollte man die Netzhaut besonders sorgfältig untersuchen – denn es könnte auch eine diabetesunabhängige Nierenerkrankung vorliegen. Hier ist die Abstimmung zwischen Diabetologen, Augen- und Nierenarzt sehr bedeutsam.
Ein dauerhaft erhöhter Blutzucker ist der wichtigste Faktor für das Entstehen einer Retinopathie. Die möglichst normnahe Blutzuckereinstellung ist die beste verfügbare Vorsorge. Jedoch ist dieser Schutz nicht 100-prozentig, er wurde in der Vergangenheit überschätzt.
Beim Typ-1- wie beim Typ-2-Diabetes mehren sich die Hinweise, dass die normnahe Blutzuckereinstellung in einem fortgeschrittenen Stadium der Retinopathie das Fortschreiten nicht mehr verhindert und besonders bei Menschen, die zu schweren Hypoglykämien neigen, die Diabetestherapie überdacht werden muss.
Grundsätzlich ist eine dauerhafte normnahe Einstellung des Blutzuckers auf einen HbA1c-Wert unter 7 Prozent eine geeignete Maßnahme, um Entstehen und Fortschreiten einer diabetischen Retinopathie und Makulopathie zu verhindern. Vorsicht ist aber geboten, dieses Therapieziel zu unterschreiten, z. B. durch ein Absenken des HbA1c auf wesentlich tiefere Werte, denn damit steigt das Hypoglykämierisiko.
Liegt neben einer Retinopathie und einer Nephropathie auch ein Bluthochdruck, eine arterielle Hypertonie, vor, sind andere Behandlungsaspekte sehr bedeutsam, vor allem die der Blutdruckeinstellung. Hier unterscheiden sich Typ-1- und Typ-2-Diabetiker sehr: Wenn gleichzeitig eine diabetische Nierenerkrankung besteht, schreitet vor allem bei Menschen mit Typ-1-Diabetes die Retinopathie schneller fort bis zu Stadien, die das Sehen bedrohen.
Menschen mit Typ-1-Diabetes entwickeln in ca. 30 Prozent eine Retinopathie und eine Nierenerkrankung. Hier gewinnt die Bedeutung der Blutdruckeinstellung für die Begrenzung des Nierenschadens und auch des Netzhautschadens eine vorrangige Stellung. Der Augenarzt muss unbedingt wissen, dass gleichzeitig eine Nierenerkrankung vorliegt. Daher wurde der Dokumentationsbogen für die diabetische Retinopathie und Makulopathie vor längerer Zeit entsprechend modifiziert.
Beim Typ-2-Diabetes ist es nötig, einen bestehenden Bluthochdruck und eine Nierenschädigung bereits beim ersten Erkennen der Retinopathie bei der Therapie zu berücksichtigen. Das hat damit zu tun, dass Patienten mit Retinopathie ein erhöhtes Risiko haben, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erkranken. Außerdem reagiert ein mehr als 30 Jahre älteres Gefäßsystem auf eine gute Blutdruckeinstellung zusätzlich günstig.
Es gibt auch bei Typ-2-Diabetes keinen Grund, das HbA1c auf Werte weit unter 7 Prozent zu senken, da keine Studie einen zusätzlichen Nutzen ergeben hat. Die Blutdruckobergrenze, die es einzuhalten gilt, liegt nach neuester Leitlinie bei 140/80 mmHg.
Das einzig bisher etablierte Prinzip, um das Fortschreiten einer diabetischen Retinopathie zu verhindern bzw. zu verzögern, ist neben der Blutzuckeroptimierung die Gabe eines bestimmten Medikaments zur Therapie eines Bluthochdrucks: eines ACE-Hemmers. Zwar wird heute in aller Regel ein ACE-Hemmer bei Menschen mit Bluthochdruck und Diabetes eingesetzt. Im Einzelfall kann sich ein ACE-Hemmer aber auch dann günstig auf den Retinopathie-Verlauf auswirken, wenn kein Bluthochdruck vorliegt.
In jüngster Zeit wird die Gabe von Blutfettsenkern, den Fibraten, bei diabetischer Retinopathie favorisiert. Tatsächlich hat sich in zwei großen, unabhängig voneinander durchgeführten Studien bei Typ-2-Diabetikern gezeigt, dass die Fibrate das Fortschreiten einer Retinopathie moderat verhindern können. Dieser Effekt war aber unabhängig vom Effekt auf die Blutfette, so dass die Vermutung naheliegt, dass nicht die Fettsenkung an sich, sondern ein medikamentenspezifischer Effekt für das Ergebnis verantwortlich ist.
Von einer Verallgemeinerung dieses sehr speziellen Ergebnisses, das streng genommen nur für einen kleinen Teil von Menschen mit Typ-2-Diabetes zutrifft, wird aber abgeraten. Eine klare Empfehlung, welchem Patienten die zusätzliche Gabe eines Fettsenkers nützt, gibt es derzeit nicht.
Allerdings kann festgestellt werden, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes und bestehender diabetischer Nierenschädigung von einer intensivierten kombinierten Behandlung von Blutzucker, Blutdruck, Blutfetten und Blutgerinnungshemmung eindeutig und nachhaltig profitieren, zusätzlich zu einer Lebensstilintervention. Viele weitere Therapiekonzepte wurden in Studien untersucht und als unwirksam befunden. Dazu gehören Kalziumdobesilat, Aspirin in niedriger bis mittlerer Dosierung, Statine als Einzeltherapie, Antioxidantien, Vitaminpräparate und Mineralien.
Der Goldstandard bei einem fortgeschrittenen, das Sehen bedrohenden Stadium (proliferative diabetische Retinopathie) ist die panretinale Laserkoagulation. Dabei wird die gesamte Netzhaut (mit Ausnahme der Makula) mit einem Laser behandelt. Dieser sorgt dafür, dass die krankhaften Gefäße so stark erhitzt werden, dass sie veröden. Das Verfahren ist etabliert, an der Wirksamkeit gibt es keinen Zweifel. Das Verfahren hat allerdings Nebenwirkungen wie Nachtblindheit, Einschränkung des Gesichtsfeldes usw.
Wenn die diabetische Augenerkrankung weiter fortgeschritten ist und eine Netzhautablösung droht oder Sehstörungen durch Blutungen am Augenhintergrund vorliegen, ist die chirurgische Entfernung von Teilen des Glaskörpers die geeignete Therapie; die als Vitrektomie bezeichnete Therapie eignet sich auch bei bestimmten Formen des grünen Stars (Glaukom).
Bei bestimmten Formen des diabetischen Makulaödems bietet sich die Grid-Lasertherapie an, bei der die Makula gitterförmig gelasert wird. Allerdings ist der Erfolg hinsichtlich des Erhalts des Sehens geringer als der Effekt der panretinalen Laserkoagulation bei proliferativer diabetischer Retinopathie.
Seit 2011 ist für die Therapie des diabetischen Makulaödems, das mit einer Reduktion des Sehens einhergeht, das Präparat Ranibizumab (Lucentis) zur Injektion direkt in den Glaskörper des Auges zugelassen. Das Medikament ist jedoch teuer und muss oft injiziert werden. Wenn das Makulaödem bei Menschen mit Diabetes und Folge- und Begleiterkrankungen auftritt, ist eine besondere interdisziplinäre Kooperation zwischen Hausärzten, Diabetologen und Augenärzten gefragt, um unsinnige, nicht aussichtsreiche und ggf. auch unsachgemäße Therapien zu vermeiden.
Nur in Kenntnis aller erforderlicher Befunde von internistisch-diabetologischer als auch von augenärztlicher Seite kann eine sachgerechte Empfehlung erfolgen. Lücken in diesem Behandlungskonzept bestehen darin, dass nicht klar ist, inwieweit sich auch Patienten mit Nierenschäden für die Behandlung eignen, und ob sich ihr Sehvermögen bei dieser Therapie über längere Zeit nicht durch Eigenwirkung des Medikamentes reduziert.
Augenkomplikationen bei Menschen mit Diabetes sind nach wie vor nicht selten und betreffen die Netzhaut (Retina) und den Punkt des schärfsten Sehens (Makula). Das Bemühen um eine möglichst normnahe Blutzucker- und Blutdruckeinstellung steht diabetologisch im Vordergrund, wobei das Gefährdungspotential und der Nutzen bei fortgeschrittenen Stadien der Retinopathie individuell betrachtet werden müssen.
Weil eine Retinopathie lange das Sehen nicht beeinträchtigt, sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen notwendig: die Funduskopie bei weitgetropfter Pupille. Goldstandard der fortgeschrittenen Stadien der diabetischen Retinopathie ist die Laserkoagulation.
von Hans-Peter Hammes
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (10) Seite 20-26
5 Minuten
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