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Der Diabetes kann auch zu Erkrankungen an den Nerven führen. Geht es um das vegetative Nervensystem, sprechen wir von „autonomer Neuropathie“. Gefährdet sind vor allem Menschen mit langer Diabetesdauer und unbefriedigender Blutzuckereinstellung. Die Behandlung ist schwierig, deshalb wäre Vorbeugen das Beste. Denn die Folgen sind teils gefährlich.
Franz F., 64 Jahre alt und seit einem Jahr Pensionär, bereitet sich auf eine Bergtour in den Dolomiten vor. Seit mehr als 10 Jahren fährt er mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar regelmäßig zum Wandern nach Canazei. Seinem Übergewicht (125 kg) hat dies bisher immer gutgetan – auch seine Blutzuckerwerte (Typ-2-Diabetes seit 12 Jahren) waren danach immer deutlich besser.
Einen Tag vor der Abreise klagt er über zunehmende Luftnot nach einem längeren Spaziergang, er wird plötzlich kreideweiß und muss sich hinsetzen. Schmerzen in der Brust hat er nicht! Nachdem er sich nach mehreren Minuten trotzdem nicht gut fühlt und nicht stehen kann, ruft seine Frau trotz seines Protestes den Notarzt.
In der Klinik wird ein Herzinfarkt ausgeschlossen, aber man stellt im Herzkatheter fest, dass mehrere Herzkranzgefäße verengt sind und er mehrere Stents benötigt. Außerdem rät man ihm bei der Entlassung zu einer besseren Blutzuckereinstellung (HbA1c 9 %) und einer konsequenten Behandlung seines erhöhten Blutdrucks.
Die „diabetische Neuropathie“, also Nervenerkrankungen, die im Zusammenhang mit Diabetes auftreten können, teilt man in 2 Hauptgruppen ein:
Eine Nervenerkrankung aufgrund des Diabetes ist eine der Hauptfolgen neben Herz-Kreislauf-, Nieren- und Augenerkrankungen. Bei mehr als jedem dritten Diabetiker treten sie im Laufe seines Lebens auf. Beginnende Schäden des peripheren Nervensystems, also an Beinen und Armen, zeigen sich oft schon früh, z. B. als Kribbeln und Missempfindungen an den Füßen.
Dagegen werden Schäden des vegetativen Nervensystems, die ohne unseren Willen Organe steuern, oft zu spät entdeckt. Dies liegt daran, dass die Beschwerden oft nicht sehr spezifisch sind, z. B.:
Massive Beschwerden treten häufig erst nach langer Diabetesdauer und sehr unbefriedigender Blutzuckereinstellung auf. Diese Form der Nervenschädigung beginnt oft schleichend und die Beschwerden werden daher oft auch nicht richtig eingeordnet bzw. ernst genommen.
Im Ernstfall kann eine autonome Neuropathie z. B. auch dazu führen, dass ein Herzinfarkt wegen fehlender Schmerzen oder eine schwere Unterzuckerung nicht mehr bemerkt werden – Lebensgefahr droht. Gefahr droht z. B. auch während einer Narkose im Krankenhaus im Rahmen einer geplanten Operation: Es kann zu einem plötzlichen Blutdruckabfall kommen, bei Magenentleerungsstörungen zu Problemen beim Einleiten der Narkose.
Die Lebenserwartung von Menschen mit einer ausgeprägten autonomen Neuropathie ist daher im Vergleich zu einem gesunden Menschen deutlich reduziert. Deshalb ist auch das rechtzeitige Erkennen sehr wichtig – besser noch deren Vorbeugung bzw. Verhinderung!
Unbehandelt schreitet diese Form der Neuropathie langsam fort und erhöht somit das Risiko für z. T. erhebliche Beschwerden mit oft deutlicher Einschränkung der Lebensqualität. Außerdem steigt das Risiko für schwerwiegende Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen bis hin zum Tod.
Im Laufe der Erkrankung sind die Beschwerden des einzelnen Betroffenen sehr unterschiedlich und auch verschieden stark ausgeprägt, können ihn aber im Extremfall massiv in seinem Befinden beeinträchtigen.
Beim Mann findet man erste Symptome oft in Form von Erektionsstörungen, auch Pupillenstörungen in Form einer Mydriasis (weite Pupillen), was zu erhöhter Lichtempfindlichkeit führt, treten relativ früh auf. Hautveränderungen an den Füßen mit vermehrter Hornhaut infolge einer Störung der Schweißdrüsen können folgen, später treten dann oft Störungen im Herz-Kreislauf-System, dem Magen-Darm-Trakt sowie an der Blase und den ableitenden Harnwegen auf.
Neben den Erektionsstörungen beim Mann und einer trockenen Scheide bei der Frau finden sich häufig auch:
Hier können die typischen Beschwerden der Angina pectoris (Enge in der Brust) bei einem drohenden Herzinfarkt abgeschwächt sein oder gänzlich fehlen. Häufig findet man:
Typische Beschwerden, wie sie z. B. normalerweise bei schweren Unterzuckerungen auftreten, können ebenfalls fehlen und so gefährlich werden (Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung):
Ein weiteres typisches Problem, das durch die autonome Neuropathie bei Menschen mit Diabetes auftreten kann, ist die diabetische Magenentleerungsstörung durch Magenlähmung (Gastroparese). Sie kann die Blutzuckereinstellung durcheinanderbringen und birgt weitere Gefahren. Bei diesen Patienten findet man häufig, obwohl sie glaubhaft 10 – 20 Stunden nicht gegessen haben, noch Speisereste im Magen, die gelegentliche Ursache für Mundgeruch und häufiges Aufstoßen sein können.
Vor geplanten Operationen ist dies besonders zu beachten. Patienten mit einer autonomen Neuropathie am Magen sollten unbedingt vor einer geplanten Operation den Anästhesisten auf die Beschwerden hinweisen, denn ein Nichtbeachten könnte bei der Vorbereitung zur Narkose (Intubation zur Beatmung) gefährlich werden: Der Mageninhalt könnte in Luftröhre und Lunge gelangen.
Ein normal funktionierender Magen ist Voraussetzung für eine gute Diabeteseinstellung, denn wenn die „Magenbewegung“ nicht richtig funktioniert, wird der Speisebrei nicht durchmischt und so die Aufnahme von Zucker über die Schleimhaut ins Blut verzögert. Hohe Blutzuckerwerte über 200 – 250 mg/dl (11,1 – 13,9 mmol/l) beeinträchtigen die Funktion der glatten Muskulatur im Magen und verzögern so schon die Magenentleerung, der Magen wird träge.
Wird dies nicht beachtet, ist eine Unterzuckerung nach dem Frühstück relativ typisch – als Hinweis darauf, dass das Insulin zwar gewirkt hat, wegen der fehlenden Magenentleerung aber kein Zucker im Darm aufgenommen wurde, sodass er nicht ins Blut gelangen konnte.
Viele Patienten spritzen ihr Insulin erst nach Beginn der Mahlzeit, einige auch erst danach, wobei sich in diesen Fällen insbesondere die kurzwirksamen Insulinanaloga bewährt haben (Wirkstoffe: Insulin aspart, Insulin glulisin, Insulin lispro). Möglicherweise sind als Mahlzeiteninsuline wegen der langsameren Magenentleerung Humaninsuline mit nicht so rascher Wirkung besser geeignet bzw. sicherer.
Die autonome diabetische Neuropathie ist eine ernst zu nehmende, mit vielen Facetten erscheinende Folge des Diabetes, die unbehandelt oft rasch fortschreitet und im Extremfall einen Menschen mit Diabetes lebenslänglich in seiner Lebensqualität beeinträchtigen, sogar plötzlich tödlich enden kann.
Eine rechtzeitige Diagnose hilft, schwerwiegenden Folgen zu reduzieren bzw. zu verhindern.
Sie kommt oft schleichend und mit zunehmender Diabetesdauer. Eine optimierte Blutzuckereinstellung, um überhaupt eine Chance der Verbesserung zu haben, ist aber unbedingt erforderlich.
Zusätzliche Maßnahmen, wie nicht zu rauchen, Alkohol zu meiden etc., sind aber ebenso wichtig! Regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung sind dabei ebenso sinnvoll.
Da die autonome diabetische Neuropathie nicht selten gleichzeitig oder etwas später mit der peripheren sensomotorischen Neuropathie auftritt, sollten deren Symptome Anlass dazu geben, gezielt auch nach Symptomen der autonomen Neuropathie zu fragen – je früher sie entdeckt wird, desto besser sind die Behandlungsschancen.
Die Diagnose einer autonomen diabetischen Neuropathie erfordert im Einzelfall eine manchmal sehr umfangreiche Diagnostik, die meist Spezialisten erfordert: Der Kardiologe, der Gastroenterologe und der Urologe sind neben dem Diabetologen und dem Hausarzt die am häufigsten erforderlichen Fachärzte.
Eine Therapie der autonomen Neuropathie ist im Einzelfall manchmal noch schwieriger – daher ist vor allem eine möglichst gute Blutzuckereinstellung zur Prävention, also zum Vorbeugen, die erfolgversprechendste Maßnahme.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (7) Seite 36-39
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