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Menschen mit Diabetes wissen, dass Sie besonders auf die Gesundheit ihrer Blutgefäße achten sollten. Sonst besteht u. a. das Risiko, dass sich die Herzkranzgefäße zunehmend verschließen – was letzten Endes zum Herzinfarkt führen kann. Dr. Gehard-W. Schmeisl erklärt im Diabetes-Kurs, worauf zu achten ist.
Marianne P. (58 Jahre) hat schon seit Wochen besonders beim Treppensteigen (sie wohnt im 3. Stock eines Mehrfamilienhauses) ein Druckgefühl in der Brust – manchmal wie Brennen, sie dachte schon an Sodbrennen – aber es kommt nur bei Belastung.
In den letzten Tagen ist sie auch etwas kurzatmig – selbst bei geringer Steigung der Straße auf ihrem Weg zur Bushaltestelle. Ihrem Hausarzt, der sie schon Jahre wegen Typ-2-Diabetes, Bluthochdrucks und einer Fettstoffwechselstörung behandelt, kommt dies komisch vor und er macht einen Termin beim Kardiologen.
Herz-Ultraschall und EKG zeigen keinen auffälligen Befund. Erst im Belastungs-EKG sieht der Kardiologe Veränderungen, die auf eine Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße hindeuten.
Nach dem Herzkatheter in der Klinik spricht man von einer 2-Gefäß-Erkrankung. Die Ärzte erweitern zwei Engstellen und setzen mehrere Stents ein. Dringend geraten hat man ihr, nicht mehr zu rauchen.
In den letzten Jahren ist die Sterblichkeit bei einem Herzinfarkt auch bei Menschen mit Diabetes deutlich zurückgegangen. Trotzdem ist der Herzinfarkt mit über 60 Prozent noch immer die häufigste Todesursache bei Diabetikern. Sie sind auch länger im Krankenhaus und sterben dort häufiger als Menschen ohne Diabetes, weil oft noch andere Erkrankungen vorliegen. Die häufigsten Diagnosen neben dem Typ-2-Diabetes sind Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern. Aber auch z. B. eine Niereninsuffizienz kann vorliegen.
Für eine gute Betreuung ist die Zusammenarbeit der Ärzte verschiedener Fachrichtungen erforderlich, z. B. Herzspezialisten mit Nierenspezialisten, Neurologen oder Gefäßspezialisten. Das funktioniert nicht immer gut. Diagnosen werden so oft verschleppt, Erkrankungen weiterer Gefäße, z. B. im Gehirn oder den Beinen, werden nicht rechtzeitig erkannt. Der „herzkranke Diabetiker“ sei laut Professor Diethelm Tschöpe von der Stifung „Der herzkranke Diabetiker“ ein Beispiel für eine Unterversorgung in Zeiten der allgemeinen Überversorgung!
Eine koronare Herzkrankheit (KHK) entsteht durch Ablagerungen (Arteriosklerose) in den Herzkranzgefäßen (Koronarien). Millionen Menschen haben über viele Jahre keinerlei Beschwerden. Nehmen die Ablagerungen aber zu, wird der Gefäßinnenraum (Lumen) immer enger. Erst wenn das Gefäß schon zu etwa 70 Prozent verschlossen ist und akut plötzlich mehr Sauerstoff benötigt wird, z. B. beim Treppensteigen oder wenn man einem Bus hinterherrennt, treten Symptome auf. Dies bedeutet: Etwa 70 bis 75 Prozent der Engstellen in den Gefäßen (Stenosen) machen in Ruhe weder am Herzen noch an den Beinen oder am Gehirn Probleme, wenn nicht akut etwas geschieht!
Dieses „akute Ereignis“ entsteht meist durch eine Plaque-Ruptur. Hierbei reißen arteriosklerotische Wandverkalkungen aus Fettablagerungen und Kalk plötzlich ein, sodass im Gefäßinneren eine raue Oberfläche entsteht. Hieran kann sich ein Blutgerinnsel bilden, das sich wieder auflöst oder das nach kurzer Zeit fortgeschwemmt wird – und einen Gefäßverschluss (Embolie) an einer anderen Stelle auslösen kann. Im schlechtesten Fall verschließt dieses Gerinnsel das gesamte Lumen akut. Dies entspricht einem Herzinfarkt aus „heiterem Himmel“, also ganz ohne Vorboten! Denn dieser Einriss kündigt sich nicht an.
Neben diesem plötzlichen Einreißen einer Verkalkung gibt es aber noch einen anderen Mechanismus für Komplikationen bei einer KHK. In diesem Fall werden die arteriosklerotischen Veränderungen an den Gefäßinnenwänden immer dicker, das Gefäßlumen wird immer enger, und so kommt es schließlich bei einem Mehrbedarf an Blut bzw. Sauerstoff zu Beschwerden (siehe folgenden Kasten).
Treten die genannten Beschwerden regelmäßig bei Belastung auf, spricht man von einer „stabilen Angina pectoris“. Frauen klagen auch häufig über Übelkeit, Brechreiz und Nacken- und Kieferschmerzen! Da die Beschwerden und Symptome der KHK nicht immer eindeutig sind und auch ein „normales“ EKG einen Infarkt nicht ausschließt, gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die die Wahrscheinlichkeit einer KHK erhärtet oder ausschließt.
Insbesondere bei Diabetikern mit einer bereits bekannten Polyneuropathie (Nervenerkrankung) können Symptome einer KHK völlig fehlen, weil auch die Nerven des Herzens keine Schmerzen mehr wahrnehmen, wenn gleichzeitig eine autonome Neuropathie des Herzens vorliegt. Dies muss bei fehlenden Beschwerden bei Diabetikern mit bekannt hohem Risiko unbedingt berücksichtigt werden.
Ein Ruhe-EKG ist durchaus sinnvoll, besonders im Hinblick auf bereits abgelaufene Herzinfarkte, die sich darin meist zeigen. Ein unauffälliges Ruhe-EKG schließt aber eine KHK nicht aus. Auch mit Herz-Ultraschall (Echokardiographie/Farbdoppler-Echokardiographie) können die Herzkranzarterien nicht direkt betrachtet werden. Es können also hochgradige Engstellen vorliegen und die Echokardiographie ist unauffällig! Es können allerdings eine Herzschwäche (Herzinsuffizienz) mit erweiterten Herzkammern, eine gestörte Funktion oder eine Wasseransammlung im Herz- oder Lungenbeutel (Perikard- oder Pleuraerguss) erkannt werden – alles mögliche Folgen eines Herzinfarkts.
Da in Ruhe meist alle Befunde bei einer KHK normal sind, werden verschiedene Belastungs-Tests wie ein Stress-EKG oder eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt: Alle Verfahren haben ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen. Welche Verfahren im Einzelnen eingesetzt werden, hängt von vielen Faktoren ab, z. B. auch vom Gewicht des Betroffenen, der Belastbarkeit und der Herzfrequenz. Nicht vergessen sollte man auch die Untersuchung der anderen großen Gefäße im Körper, z. B. der Halsschlagadern (Karotiden) und der Becken-Bein-Arterien, denn die Arteriosklerose findet sich oft überall!
Die KHK ist eine chronische Krankheit, die die Tendenz hat, fortzuschreiten. Eine Heilung im eigentlichen Sinn ist nicht möglich, trotz moderner Medikamente, Stents und Bypass-Chirurgie. Menschen mit KHK können jedoch bei richtiger Behandlung meist ein fast so normales, gutes und auch langes Leben führen wie Menschen ohne KHK. Voraussetzung ist in der Regel die Umstellung auf einen aktiveren Lebensstil unter Ausschalten möglichst vieler Risikofaktoren wie Rauchen, träger Lebensstil mit viel Sitzen/kein Sport, Fettstoffwechselstörungen.
Rund 50 Prozent aller Patienten, die wegen Herzschmerzen und damit des Verdachts auf KHK eine Herzkatheter-Untersuchung erhalten, haben nach Information der Deutschen Herzstiftung keine bedeutsamen Verengungen der Herzkranzgefäße. Oft löst eine Fehlfunktion der kleinen Blutgefäße im Herzmuskel (mikrovaskuläre Dysfunktion) die Beschwerden und EKG-Veränderungen aus. Dies ist eine Funktionsstörung der sehr kleinen Blutgefäße am Herzen, die vor den großen Koronarien abgehen und den Herzmuskel mit Blut versorgen.
Diese ganz kleinen Gefäße können bei einer Herzkatheter-Untersuchung nicht dargestellt werden, sodass keine Diagnose erfolgen kann. Es gibt aber andere Verfahren wie ein Koronar-CT oder eine Stress-Echokardiographie, um dies zu untersuchen. Ursache sind auch hier die bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck (Hypertonie), Rauchen, hohes LDL-Cholesterin („schlechtes“ Cholesterin), Diabetes mellitus Typ 2, Übergewicht (Adipositas), Vererbung und Stress.
Solange trotz „schwerer koronarer Herzkrankheit“ Patienten mit ihren Medikamenten einigermaßen gut zurechtkommen, ist keine Behandlung durch einen Katheter-Eingriff oder eine Bypass-Operation erforderlich oder sinnvoll. Kommt es allerdings unter Belastung immer häufiger zu Beschwerden, sollte eine Gefäßaufdehnung über einen Herzkatheter (Ballondilatation) und ggf. eine Stent-Einlage bzw. bei Verengungen mehrerer Gefäße auch ein Bypass erwogen werden.
Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrem Risiko für das Auftreten einer KHK. Grundsätzlich bestehen zwar die gleichen Risikofaktoren wie bei Männern, aber Frauen sind meist bis zur Menopause vor einer KHK geschützt. Da der Blutdruck nach der Menopause schnell steigt, erfordert er dann besondere Aufmerksamkeit. Nehmen Frauen die Pille und rauchen, haben sie ein vierfach erhöhtes Herzinfarkt-Risiko. Ein Diabetes erhöht bei Frauen das Risiko für einen Herzinfarkt um das Sechsfache, bei Männern um das Vierfache.
Ein immer häufiger bewegungsarmer Lebensstil, das Beibehalten einer hochkalorischen, unserer Tätigkeit oft nicht angepassten Ernährung, der übermäßige „Genuss“ von Alkohol und das Rauchen sind bei genetischer Veranlagung mit die Hauptursachen für eine KHK – Gefäßveränderungen starten oft schon sehr früh bei entsprechendem Risikoverhalten. Nur bei Änderung dieser Gewohnheiten ist die zusätzliche medikamentöse Therapie langfristig sinnvoll. Neuere Therapieverfahren und eine moderne Bypass-Chirurgie können unterstützen, besonders im Akutfall. Ob dies auch langfristig die Prognose verbessert, lässt sich derzeit noch nicht sagen.
gesunder Lebensstil | Maßnahmen |
regelmäßige Ausdauerbewegung | empfohlen werden 5 x pro Woche 30 Minuten Ausdauerbewegung (flottes Gehen, Laufen, Radfahren etc.) und eine insgesamt aktive Lebensweise (Treppensteigen, Spazierengehen, Wandern, Gartenarbeit) |
Mittelmeerküche |
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Normalisieren des Gewichts | |
nicht (mehr) rauchen | |
kluger Umgang mit Stress |
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nach: „Herz in Gefahr“, Deutsche Herzstiftung 2019 |
Die Sterblichkeit durch einen Herzinfarkt ist in den letzten Jahren auch bei Menschen mit Diabetes deutlich zurückgegangen – vor allem durch die besseren und schnelleren Möglichkeiten in der Akut-Versorgung. Eine rechtzeitige Diagnose von Veränderungen an den Herzkranzgefäßen, aber auch an anderen Blutgefäßen, wie den Halsschlagadern und den Beinarterien, ist jedoch im Hinblick auf das Verhindern von schwerwiegenden Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Amputationen notwendig. Dies erfordert eine bessere Zusammenarbeit von Ärzten verschiedener Fachdisziplinen – besonders im Krankenhaus.
Ein rechtzeitiges Erkennen z. B. einer familiären Fettstoffwechselstörung gehört ebenfalls dazu. Allgemeinmaßnahmen wie Sport- und Ernährungsumstellung etc. sind zwar sinnvoll, ersetzen aber nicht eine gezieltere medikamentöse Therapie, auch z. B. des Diabetes selbst mit SGLT-2-Hemmern und GLP-1-Rezeptoragonisten.
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (9) Seite 30-33
5 Minuten
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