Extrem hoher Blutzucker bei Typ-2-Diabetes

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Extrem hoher Blutzucker bei Typ-2-Diabetes

Die Geschichte von Marion P. (Kasten unten) ist sinnbildlich: Immer wieder kommt es vor, dass Typ-2-Diabetiker, die kaum bis gar nicht ihren Blutzucker messen, langsam und unbemerkt auf absurd hohe Blutzuckerkonzentrationen zusteuern – bis hin zum “hyperosmolaren Koma”.

Marion P. trinkt Tee…
Marion P. (73) ist zweimal kurz hintereinander wegen einer Zuckerentgleisung im Krankenhaus aufgenommen worden: Blutzucker beim ersten Mal 650 mg/dl (36,1 mmol/l), beim zweiten Mal sogar 750 mg/dl (41,7 mmol/l).

Sie hatte zunächst über Brennen beim Wasserlassen geklagt – hatte dies mit “Blasen- und Nierentee” therapiert (und wollte den Hausarzt nicht “belästigen”). Nachdem sie aber bis zu 10-mal täglich Wasser lassen musste, gleichzeitig 5 Liter Tee trank, rief der Sohn gegen ihren Willen den Hausarzt.

Dieser testete bei der Untersuchung auch den Blutzucker – Frau P. ist seit 8 Jahren Diabetikerin; er stellte einen Wert von 600 mg/dl (33 mmol/l) fest. Es erfolgte die sofortige Einweisung ins Krankenhaus.

Der Blutzuckerentgleisung eines Typ-2-Diabetikers geht meist irgendeine Infektion voraus. Wenn wie im Fall von Marion P. nicht regelmäßig einige Male pro Woche (und vor allem bei Fieber, Krankheit, Operationen) der Blutzucker getestet wird, kann sich innerhalb weniger Tage die Blutzuckererhöhung hin zu einem diabetischen Koma entwickeln – in diesem Fall zu einem hyperosmolaren Koma, das auch als hyperglykämisches hyperosmolares Syndrom (HHS) bezeichnet wird.

Auch Ältere sollten den Blutzucker messen können

Das hyperosmolare Koma des Typ-2-Diabetikers ist nach wie vor gerade bei älteren Menschen mit einer hohen Sterblichkeit verbunden; dies liegt in der Entstehung dieser Komaform und den massiven Flüssigkeits- und Blutsalzverschiebungen.

Deshalb sollten auch ältere Typ-2-Diabetiker dahingehend geschult werden, in einer solchen Situation den Blutzucker entweder selbst zu messen oder ihn vom Hausarzt bzw. Pflegedienst messen zu lassen. Würde nämlich der Blutzuckeranstieg Richtung diabetisches Koma rechtzeitig entdeckt, könnte auch rechtzeitig behandelt werden – vielleicht auch noch ambulant.

Salzverschiebungen, aber keine Übersäuerung

Typ-2-Diabetiker haben einen relativen, nicht einen absoluten Insulinmangel (im Gegensatz zu Typ-1-Diabetikern); hier kommt es zu einer schlechteren Verwertung des Blutzuckers zum Beispiel in der Muskulatur, gleichzeitig wird vermehrt Zucker aus der Leber abgegeben. Bei Typ-2-Diabetikern werden je nach Krankheitsdauer noch geringe Restmengen an Insulin produziert. Das Insulin hemmt den Fettabbau im Fettgewebe, so dass die Entwicklung einer Übersäuerung des Blutes durch abgebautes Fett (Ketoazidose) verhindert wird.

Deshalb findet man üblicherweise keine Ketonkörper (z. B. Aceton) in Blut oder Urin, selbst bei Blutzuckerwerten von 800 mg/dl (44,4 mmol/l) oder 1 000 mg/dl (55,6 mmol/l)! Die minimale Insulin-Restsekretion bei Typ-2-Diabetikern reicht zwar gerade noch aus, um einen vermehrten Fettabbau zu hemmen – nicht aber, um eine vermehrte Produktion von Glukose in der Leber (Glukoneogenese) zu bremsen; so werden manchmal Blutzuckerkonzentrationen über 1 000 mg/dl (55,6 mmol/l) gemessen.

Flüssigkeitsverlust führt zu starker Austrocknung

Bei Patienten mit so starker Blutzuckerentgleisung, dass ein hyperosmolares Koma droht, geht bei Überschreiten der Nierenschwelle (diese liegt etwa bei einem Blutzucker von 180 mg/dl bzw. 10,0 mmol/l) immer mehr Zucker über den Urin verloren – damit auch Flüssigkeit und verschiedene Blutsalze. Der starke Flüssigkeitsverlust macht sich rasch mit einem starken Durstgefühl bemerkbar. Wird der Flüssigkeitsverlust nicht ausgeglichen, kommt es zu einem Austrocknen der Zellen des ganzen Körpers.

Ursachen des Blutzuckeranstiegs

Oft sind Infektionen (Harnwegsinfektionen, Magen-Darm-Erkrankungen) die Ursache. Aber auch Entwässerungsmedikamente (Diuretika) und das entzündungshemmende Medikament Kortison können einen solch starken Blutzuckeranstieg begünstigen.

Notfall diabetisches Koma

Wegen des großen Flüssigkeits- und Salzverlustes ist das diabetische Koma immer ein absoluter Notfall, der unbehandelt nicht selten zum Tod führt. Speziell die langsame, oft schleichende Entwicklung manchmal über mehrere Tage macht es so gefährlich, besonders, wenn in dieser Zeit kein Blutzucker gemessen wurde!

Typische Zeichen des hyperosmolaren Komas

  • Es entwickelt sich in der Regel langsam und betrifft meist ältere Typ-2-Diabetiker.
  • Der Blutzucker ist massiv erhöht.
  • Die Gewebe sind stark ausgetrocknet (die Haut ist oft in Falten abzuheben).
  • Das Gesicht ist häufig heiß und rot.
  • Die Patienten sind schläfrig und manchmal schon nicht mehr ansprechbar.
  • Die Patienten haben extremen Durst.
  • Die Urinmenge ist extrem groß.
  • Es besteht eine Kollapsneigung: hoher Puls, niedriger Blutdruck.

Die Therapie des hyperosmolaren Komas

Wenn ein hyperosmolares Koma mit Blutzuckerwerten über 1 000 mg/dl (55,6 mmol/l) vorliegt, wird man zuerst Flüssigkeit zuführen durch eine Infusion über die Vene – und man wird Insulin und Blutsalze geben; im Krankenhaus erfolgt die Gabe von Blutsalzen (vor allem Kalium), Flüssigkeit und Insulin über einen zentralen Katheter und unter regelmäßiger Analyse der Blutwerte (unter Kontrolle der Drucke über dem Herzen).

Tagelange Überwachung

Die im Rahmen des Komas ablaufenden Blutsalz- und Wasserverschiebungen in Gehirn und Rückenmark benötigen meist mehrere Tage bis zur völligen Normalisierung. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass der Betroffene intensiv ärztlich überwacht wird – meist im Krankenhaus.

Wird der Blutzucker zu schnell gesenkt, kann ein Hirnödem (Wasseransammlung im Gehirn) entstehen – mit erhöhtem Hirndruck und einer lebensgefährlichen Lähmung der Atmung. Deshalb gehört die Behandlung des hyperosmolaren Komas aufgrund seiner nach wie vor hohen Komplikationsrate immer auf die Intensivstation.

Blutzucker langsam senken!

Man gibt also Insulin in kleinen Dosen über eine Infusionspumpe – so wird der Blutzucker langsam gesenkt, oft über einige Tage. Da durch denÜbertritt des Zuckers aus dem Blut in die Zellen auch Kalium vom Blut in die Zellen übertritt, muss dieses gleichzeitig in relativ großen Mengen zugeführt werden.

Denn Kalium ist ein wichtiges Blutsalz besonders für die Nervenerregung bzw. Muskelerregung im Herzen – zu niedrige und zu hohe Kaliumkonzentrationen im Blut können schwerwiegende Herzrhythmusstörungen auslösen. Dies kommt auch vor bei häufigem Erbrechen, Durchfällen und bei der Behandlung mit Entwässerungsmedikamenten z. B. bei Herzschwäche.

Die Zusammenfassung

Die häufige Blutzuckerentgleisung im Rahmen eines Infektes wie bei Marion P. mit Entstehung eines hyperosmolaren Komas könnte oft vermieden werden, wenn alle Diabetiker mindestens mehrmals wöchentlich Blutzuckerkontrollen durchführten oder durchführen ließen durch Arzt, Schwester, Pflegedienste. Gerade bei fieberhaften Infekten oder Unwohlsein ist dies sinnvoll.

Dabei stellen Blutzuckerwerte um 200 bis 300 mg/dl (11,1 bis 16,7 mmol/l) nicht das Problem dar – die extrem hohen Blutzuckerkonzentrationen im Blut führen zu den gefürchteten Wasser- und Blutsalzverschiebungen im Körper! Gefürchtet sind sie, da sie speziell das Gehirn betreffen (Ödem).

Die Behandlung gehört in professionelle Hände – absolut im Vordergrund steht ein langsamer, an den aktuellen Blutwerten orientierter Ausgleich vor allem des Flüssigkeits- und Blutsalzverlustes bei gleichzeitiger Senkung des Blutzuckers. Eine rechtzeitige Diagnose kann den Verlauf entscheidend positiv beeinflussen.


Autor:
Dr. Gerhard-W. Schmeisl, Bad Kissingen

Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, Tel.: 09 71 / 8 21-0 und Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, Tel.: 09 71 /8 5-01, 97688 Bad Kissingen

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (10) Seite 38-40

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 3 Wochen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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