„Ich habe ‚Corona‘ und Typ-1-Diabetes“

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„Ich habe ‚Corona‘ und Typ-1-Diabetes“

Anja R. war weltweit einer der ersten beschriebenen Fälle einer Typ-1-Diabetes-Patientin, die an COVID-19 erkrankte. Im Interview berichtet sie über ihre persönlichen Erfahrungen, die sie während der Infektionserkrankung gemacht hat. Denn bislang gibt es noch immer nur wenige Erfahrungsberichte von Menschen mit Diabetes und einer Infektion mit Covid-19.

Anjas Geschichte aber macht Hoffnung. Klar ist: Der Verlauf der Erkrankung ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Ich durfte Anja einige Fragen stellen.

Lena: Anja, magst du dich kurz vorstellen?
Anja:
Ich heiße Anja, ich bin frisch 25 Jahre geworden. Seit Sommer 2009 habe ich Typ-1-Diabetes, inzwischen ist das auch schon gut 10 Jahre her. Im Alltag erleichtern mir meine Insulinpumpe und mein FreeStyle Libre 2 so einiges. So habe ich meine Zuckerwerte gut im Überblick und kann schnell reagieren.
Dies ist in meinem Beruf als Erzieherin eine große Erleichterung. Denn auch dort ist es nicht einfach, immer einen kühlen Kopf zu bewahren. In meiner Freizeit lasse ich mich auch nicht von meinem Diabetes ausbremsen. Wenn „Corona“ nicht gerade alles verändert, gehe ich 2-mal die Woche ins Kickboxen. Da kann dann alles abgelassen werden.

Lena: Wie kam es zur Diagnose? War es klar, dass du einen Abstrich machen musst?
Anja:
An einem Mittwochmittag, an dem ich noch viel Zeit mit meiner 4 Jahre alten Nichte verbracht hatte, kam die erste verändernde Nachricht von unserer Teamleitung meiner Kita. Diese Nachricht beinhaltete, dass wir alle in Quarantäne müssen, eine Kollegin von uns hat das Coronavirus.
Nach dieser Nachricht kamen schon viele Gedanken. Da wir bis zu diesem Zeitpunkt in der Kita einen nicht zu ändernden engen Kontakt zu Kindern und zueinander hatten, war klar, dass wir alle Kontaktpersonen der Kategorie I (mindestens 15 Minuten Gespräche mit maximal 2 Meter Abstand) sind. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir schon Gedanken gemacht. Schließlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon Schnupfen und einen nervigen Geschmacks- und Geruchsverlust. Aber wer hätte gedacht, dass das schon Corona-Symptome sein könnten?


„Ich musste in den Corona-Drive-in!“


Am nächsten Tag setzte ich mich so wie jeder andere in unserem Team ans Telefon. Wir versuchten, ein Gesundheitsamt zu erreichen, um klare Anweisungen zu erhalten. Leider waren die nicht wirklich erreichbar. Aus lauter Verzweiflung habe ich dann beschlossen, eine Ärztin anzurufen. Leider war meine Hausärztin zu diesem Zeitpunkt im Urlaub und ich musste eine Vertretungsärztin anrufen.
Diese hat sich meine Symptome angehört und dann schnell entschieden, dass ich zum Abstrich fahren sollte. Fahren? Ja, richtig, ich musste in den Corona-Drive-in. Somit habe ich von der Ärztin einen Code bekommen, mit diesem musste ich zu einer extra für Corona-Abstriche eingerichteten Abstrichstelle fahren. Dort wurde dann der Code abgefragt und anschließend der Abstrich gemacht. Alles aus meinem eigenen Auto heraus. Um das Ergebnis zu bekommen, musste ich meine Handynummer hinterlassen. Das Ergebnis würde mir dann über SMS oder Anruf mitgeteilt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt ging alles wie automatisch.

Natürlich habe ich probiert, positiv zu denken und dass es bestimmt ein negativer Abstrich würde, schließlich sind die Symptome alle nur leicht gewesen und Geschmacksverlust, Geruchsverlust und Schnupfen gehören ja nicht zu den bekanntesten Corona-Symptomen. Einen Tag später kam zum Schnupfen, Geschmacksverlust und Geruchsverlust noch der Durchfall. Am Samstagmittag kam dann der Anruf vom Gesundheitsamt mit meinem Ergebnis. Ich bin positiv. Erst einmal ist für mich eine Welt zusammengebrochen, mir ging so viel durch den Kopf. Dann habe ich direkt meine Familie und Kollegen informiert. Von da an war ich dann einer der vielen Infizierten, die jeden Tag gezählt werden.

Lena: Warst du sofort in Quarantäne?
Anja:
In Quarantäne war ich schon früher, seitdem wir wussten, dass unsere Kollegin infiziert ist. Somit schon, bevor ich getestet war.

Lena: Wie lange hast du schon die Diagnose?
Anja:
Seit Samstag, 21. März.


„Zuerst hatte ich nur Schnupfen“


Lena: Welche Symptome hattest du bei der Diagnose und wie haben sie sich bis heute entwickelt?
Anja: Wie bereits berichtet, habe ich mit sehr milden Symptomen angefangen. Zuerst hatte ich nur Schnupfen. Kurz danach kam dann das für mich Schlimmste, der Verlust von Geschmack und Geruch. Zu guter Letzt habe ich dann auch noch leichten Durchfall bekommen. Noch zähle ich ja nicht zu den Genesenen, somit weiß ich nicht, was noch kommt, aber ich schaue positiv in die Zukunft. Momentan merke ich, wie es jeden Tag leicht besser wird, langsam rieche und schmecke ich wieder ein wenig, von Tag zu Tag wird es langsam mehr. Auch mein Schnupfen ist nahezu weg. Ich bin sehr dankbar, dass es nur so milde Symptome sind.

Lena: Man liest ja überall, „gut“ eingestellte Diabetiker sind nicht mehr gefährdet als die restliche Bevölkerung. Wie waren deine Glukosewerte vor der Diagnose?
Anja:
Ich werde nie die Worte meiner alten Diabetologin vergessen, die mich immer Vorzeige-Diabetiker genannt hat. So ist es nicht immer. Ich bin aber ein gut eingestellter Diabetiker, mein letzter HbA1c-Wert war 6,2%, sprich, auch der passt. Natürlich habe auch ich mal schlechte Tage, aber die meiste Zeit sind mein Diabetes und ich uns einig.

Lena: Wie wirkt sich die Infektion und die Quarantäne auf deine Zuckerwerte aus?
Anja: 
Meine lieben Zuckerwerte haben sich entschieden, das Virus mit einem nächtlichen Unterzucker zu bekämpfen. Auch tagsüber muss ich viel dafür tun, damit sie oben bleiben. Da ich dies aber ab dem 3. Tag gemerkt habe, konnte ich einfach meine Insulinzufuhr über Nacht reduzieren. So läuft meine Insulinpumpe jetzt über Nacht nur auf 90%. Tagsüber berechne ich nur 50% der tatsächlich gegessenen Menge. Seitdem ich das mache, passt das recht gut.

 Lena: Hattest du Kontakt zu einem Diabetologen? 
Anja: Nein, solange meine Werte stimmen, denke ich, ist das auch nicht nötig.

Lena: Was bedeutet die Diagnose für dich persönlich?
Anja: 
Die Diagnose, Corona- oder auch Covid-19-positiv zu sein, hat erst einmal alles in mir zusammenstürzen lassen. Ich muss dazu sagen, dass ich in einer Wohnung ohne Balkon alleine wohne. Somit hat die Diagnose für mich bedeutet, mindestens 14 Tage keinen anderen Menschen zu sehen. Auch eine Umarmung von Familienmitgliedern ist für die Zeit undenkbar. Somit war klar: Die Zeit in Quarantäne, in der ich positiv bin, bin ich alleine. Wobei ich sagen muss, ich war und bin NIE ganz alleine. Ich habe 2 wundervolle Katzen, die mich auch in der Zeit nicht alleine lassen und von denen ich auch keinen Abstand halten muss.


„Tägliche Telefonate, Videoanrufe und Nachrichten haben mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin“


Sehr schnell haben wir uns als Familie zusammen abgesprochen. Tägliche Telefonate, Videoanrufe und Nachrichten haben mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin. Zu sehen, wie meine Neffen mit dem neuen Roller durch die Wohnung flitzen, hat mich schnell aufgebaut. Darüber hinaus haben auf einmal viele Freunde und Kollegen mich angeschrieben und sich von fern mit netten Sprüchen und netten Worten um mich gekümmert.

Die Diagnose hat aber auch Angst mit sich gebracht. Wen könnte ich schon angesteckt haben? Die Sorge, meine Familienangehörigen oder Kollegen angesteckt zu haben, war sehr groß. Schließlich verlaufen nicht alle Infektionen so milde. Doch die Angst war bis jetzt überflüssig. Meine Mama hat mit Symptomen einen glücklichen negativen Bescheid, das hat mich zum Feiern in Quarantäne bewegt.

Lena: Wurdest du diskriminiert?
Anja: 
Tatsächlich war das im Vorhinein meine Angst, ich meine, ich bin der Auslöser, dass andere in Quarantäne müssen. Dies war aber gar nicht der Fall. Es hat mich gefreut, dass niemand in diese Richtung etwas geäußert hat. Ganz im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, dass sich viele um mich sorgen. Menschen, die ich lange nicht gesehen oder gehört habe, haben mir auf einmal angeboten, für mich einkaufen zu gehen.

Lena: Wie beschäftigst du dich in der Quarantäne?
Anja:
In meiner Zeit in Quarantäne telefoniere ich ganz viel mit allen möglichen Freunden und Familienmitgliedern. Der Kontakt zu den anderen darf ja nicht vernachlässigt werden. In dieser Zeit sammle ich Energie für die Zeit, in der ich alleine bin.

Wenn ich gerade nicht am Telefonieren bin, lasse ich gerne meiner kreativen Ader freien Lauf. Ich habe angefangen, Oster-Säckchen zu nähen. So kann ich kleine Freuden verteilen, wenn ich dann endlich wieder raus darf. Aber auch das Lesen kommt nicht zu kurz. Auch der Fernseher ist viel am Laufen, doch die Nachrichten meide ich ein wenig. Momentan will ich gar nicht wissen, wie viele Leute infiziert sind. Ich verfolge lieber die Zahlen der Genesenen, denn zu denen werde ich hoffentlich auch bald dazugehören.

Lena: Vielen Dank für das nette Gespräch. Wir wünschen dir weiterhin gute Besserung.


In zwei Wochen spreche ich nochmal mit Anja, um zu hören, wie es ihr geht und wie sich ihr Leben nun nach der Quarantäne verändert hat. Wenn ihr weitere Fragen an Anja habt, meldet euch gerne bei mir und ich werde sie ihr stellen.

Das Update findet ihr hier: Endlich symptomfrei – 15 Tage „Corona“


Du brauchst mehr Informationen zum Coronavirus?

Hier die Links zu den Corona-Artikeln auf diabetes-online.de:



Interview: Lena Schmidt

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