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Unser Körper braucht Insulin, damit der Zucker aus dem Blut in unsere Zellen gelangen und uns neue Energie geben kann. Aber nicht jeder Mensch, der Diabetes hat und dem Insulin fehlt, benötigt Insulin. Und nicht jeder, der Insulin benötigt, behandelt sich auch damit. Warum und für wen Insulin unverzichtbar ist, erklärt Dr. Gerhard-W. Schmeisl.
Hannelore U. (72 Jahre) – seit 16 Jahren Typ-2-Diabetikerin und mit Tabletten bisher „gut eingestellt“ (HbA1c-Wert: 8,2 %) – hatte einen Harnwegsinfekt mit Brennen beim Wasserlassen. Sehr unangenehm! Noch nie erlebt hatte sie aber, dass ihr Blutzucker „plötzlich sponn“ und bei 250 mg/dl (13,9 mmol/l) lag!
Ihr Hausarzt riet ihr, vorübergehend Insulin zu spritzen. „Auf keinen Fall!“, dachte sie zunächst. Als die Blutzuckerwerte noch weiter stiegen und sie sich schlechter fühlte, stimmte sie schließlich zu. Einmal täglich spritzte sie zur Nacht nun eine kleine Dosis Basalinsulin. Innerhalb weniger Tage waren die Blutzuckerwerte normal und Hannelore U. fühlte sich viel besser!
Etwa 7 bis 8 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Typ-2-Diabetes. Das heißt: Bei vererbter Anlage, Übergewicht und mangelnder Bewegung manifestiert sich der Typ-2-Diabetes durch eine ungenügende Reaktion der Körperzellen auf Insulin (Insulinresistenz) und mit der Zeit auch durch einen Mangel an Insulin – und das Überwiegen des Insulin-Gegenspielers Glukagon, was zu hohen Nüchtern-Blutzuckerwerten führt. Typ-1-Diabetes ist dagegen die Folge einer Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen durch das eigene Immunsystem (Autoimmunerkrankung).
Neue Tabletten für Typ-2-Diabetiker wie die SGLT-2-Hemmer (z. B. Forxiga, Jardiance; Forxiga ist auch für Typ-1-Diabetiker zugelassen) und die zu spritzenden GLP-1-Rezeptoragonisten (Inkretine, z. B. Victoza, Trulicity) senken das Risiko für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Schäden und auch das Risiko für Klinikeinweisungen wegen einer Herzschwäche. SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten sind in der Initialtherapie bei Typ-2-Diabetikern mit Herz-Kreislauf-Erkrankung oder hohem Risiko dafür empfohlen.
Um die Antwort vorwegzunehmen: NEIN! Denn es gibt eine Art Blutzuckergedächtnis (Metabolic Memory) – je früher die Blutzuckerwerte in einem guten Bereich sind, desto geringer ist das Risiko für Schäden an den kleinen Blutgefäßen (gilt etwas weniger stark ausgeprägt auch für die großen Arterien). Frühzeitig gute Blutzuckerwerte sind also sehr wichtig.
Ist dies mit Tabletten oder GLP-1-Rezeptoragonisten nicht erreichbar, sollte bei Typ-2-Diabetes rasch mit einer Insulintherapie – evtl. zusätzlich zur bisherigen Therapie – begonnen werden. Wenige Studien zeigen auch, dass dadurch die Betazellen „geschützt“ werden – und auch später weniger Insulin nötig ist, um gute Blutzuckerwerte zu erreichen.
Das Hormon Insulin besteht aus zwei Eiweißketten aus Aminosäuren, die miteinander verbunden sind. Die Vorstufe des Insulins (Proinsulin) wird in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse gebildet, von der ein Verbindungsstück (C-Peptid) abgespalten wird, so dass Insulin entsteht. Insulin und C-Peptid werden dann aus den Betazellen ins Blut abgegeben.
Die Konzentration des C-Peptids kann man im Blut messen und so feststellen, wie viel Insulin ein Mensch noch herstellt – das ist z. B. wichtig, wenn es um die Frage geht, ob ein schlanker Typ-2-Diabetiker Insulin benötigt.
Unterschiede zwischen | ||
humanes Normalinsulin | analoges Kurzzeitinsulin | |
Wirkungseintritt | nach etwa 30 – 60 Minuten | nach etwa 20 Minuten |
Wirkungshöhepunkt | nach etwa 3 Stunden | nach etwa 1 – 3 Stunden |
Wirkungsdauer | etwa 8 Stunden (größere Insulinmengen wirken länger) | netwa 4 – 5 Stunden (weitgehend unabhängig von der Insulinmenge) |
In den Betazellen werden nur wenige Einheiten Insulin gespeichert; erst bei der Nahrungsaufnahme wird zusätzlich benötigtes Insulin produziert. Wenn der Blutzuckerspiegel über etwa 72 mg/dl (4,0 mmol/l) steigt, wird Insulin alle paar Minuten abgegeben. Insulin ist erforderlich, um Glukose (Zucker) in Leber-, Muskel- und Fettzellen aufzunehmen und so Energiespeicher aufzubauen.
Außerdem ist Insulin ein Wachstumshormon, das die Entwicklung und Reifung der Zellen in den verschiedenen Organen fördert. Insulin ist somit ein „aufbauendes“ (anaboles) Hormon. Sein Gegenspieler, das Hormon Glukagon (aus den Alpha-Zellen der Bauchspeicheldrüse), fördert dagegen den Abbau der Energiespeicher wie Glykogen und Fett.
Beide Hormone zusammen sorgen beim Menschen dafür, dass der Blutzucker sowohl nüchtern als auch unter stärkster körperlicher Belastung (die Energie verbraucht) und auch nach einem üppigen Essen (das Energie liefert) stabil bleibt.
Derzeit bei uns verfügbare Insuline | |
Mahlzeiteninsuline (kurzwirksam) | |
humane kurzwirksame Insuline (Normalinsuline) |
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analoge kurzwirksame Insuline |
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Basalinsuline (langwirksam) | |
humane langwirksame Insuline |
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analoge langwirksame Insuline |
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Mischinsuline (Mischungen aus kurz- und langwirksamem Insulin) | |
humane Mischinsuline |
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analoge Mischinsuline |
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Eine auch für Typ-2-Diabetiker sinnvolle Therapieoption ist z. B. das langwirksame Insulinanalogon Insulin degludec (Handelsname: Tresiba), das ein sehr flaches Wirkprofil hat und so hilft, das Risiko besonders für nächtliche Unterzuckerungen zu reduzieren. Es wird langsam abgebaut und hat eine Wirkdauer von mehr als 42 Stunden.
Die täglich einmalige Gabe macht es gerade für Typ-2-Diabetiker sehr nützlich. Es kann zu jeder Tageszeit an den üblichen Injektionsstellen subkutan gespritzt werden – möglichst immer zur selben Zeit. Tresiba ist zugelassen für Kinder ab einem Jahr, Jugendliche und Erwachsene mit Diabetes, unabhängig vom Diabetestyp.
Der Insulinbedarf hängt von vielen Faktoren ab und kann durch die gleichzeitige Einnahme von blutzuckersenkenden Tabletten niedriger sein – deshalb beim Beginn der Insulintherapie Vorsicht vor Unterzuckerungen!
Seit 2015 ist Insulin glargin (bis dahin unter dem Handelsnamen Lantus nur in der Konzentration U 100 erhältlich) in einer höheren Konzentration mit 300 Einheiten Insulin pro Milliliter (U 300) als Toujeo im Handel. Es birgt – besonders in der Nacht – ebenfalls ein niedriges Risiko für Unterzuckerungen, wird einmal täglich gespritzt und führt zu einem gleichmäßigen Glukoseverlauf.
Für Diabetiker, die hohe Insulindosen benötigen (z. B. aufgrund von Fettleibigkeit und ausgeprägter Insulinresistenz), gibt es auch ein höherkonzentriertes kurzwirksames Insulinanalogon mit dem Wirkstoff Insulin lispro: Humalog 200 Einheiten/ml KwikPen bzw. Liprolog 200 Einheiten/ml KwikPen. In diesen Insulinen sind in 1 ml nicht wie bisher 100 E Insulin, sondern 200 E. Dadurch halbiert sich das zu spritzende Volumen – aber nicht die Zahl der Einheiten! –, was oft dazu führt, dass das Insulin besser vom Gewebe aufgenommen wird.
Abasaglar war das erste Biosimilar-Insulin auf dem deutschen Markt. Es handelt sich dabei ein biologisch hergestelltes Insulin, das dem Insulin glargin (Lantus) vergleichbare Eigenschaften hat. Seit Kurzem gibt es auch das erste kurzwirksame Biosimilar-Insulin auf dem deutschen Markt: Insulin lispro Sanofi, das Humalog bzw. Liprolog entspricht.
Die meistverwendeten Mischinsuline bestehen aus 25 – 30 % kurzwirksamem Insulin und 70 – 75 % langwirksamem Insulin. Sie sind insbesondere für Menschen mit einem sehr geregelten Tagesablauf und mit geregelten Mahlzeiten empfehlenswert.
Mischinsuline sind Mischungen aus einem NPH-Insulin (Basalinsulin, langwirksames Humaninsulin) und Normalinsulin (kurzwirksames Humaninsulin), z. B. Huminsulin Profil III, Actraphane 30. Zudem gibt es heute Mischungen eines NPH-Insulins mit einem kurzwirksamen Insulinanalogon (z. B. Humalog Mix25, NovoMix 30). Mischinsuline werden – abhängig von den Essgewohnheiten des Verwenders – zwei- bis dreimal täglich gespritzt.
Typ-1-Diabetiker sind zwingend auf Insulin angewiesen, um zu überleben. Für Typ-2-Diabetiker ist es ebenfalls zwingend notwendig, wenn die Blutzuckerwerte so stark nach oben steigen, dass sie schnell gesenkt werden müssen, z. B. bei einer nötigen Krankenhausbehandlung.
Für die langfristige Behandlung von Typ-2-Diabetikern mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind SGLT-2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten nach vorne gerückt, da sich mit diesen Medikamenten in großen Studien schwerwiegende Schäden vor allem am Herz-Kreislauf-System reduzieren ließen.
Metformin bleibt weiterhin auch eine mögliche Starttherapie. Eine zusätzliche und rechtzeitige Einstellung auf Insulin kann aber helfen, vor allem Schäden an den kleinen Blutgefäßen von Augen, Nerven und Nieren zu reduzieren. Typ-2-Diabetiker sollten also keine Angst vor Insulin haben.
Die Insulinforschung verspricht in naher Zukunft noch „bessere“ Insuline. Insulin zum Schlucken in einer Kapsel z. B. hat sich bei Schweinen bereits bewährt.
Autor:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (10) Seite 34-38
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