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Längst nicht ausgereizt sind die Einsatzmöglichkeiten von Metformin, dem „Arbeitspferd“ der medikamentösen Diabetes-Therapie. Hans Lauber spricht darüber mit dem Diabetologen Prof. Dr. med. Morten Schütt
Prof. Dr. med. Morten Schütt ist Bereichsleiter Diabetes & Stoffwechsel am Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Campus Lübeck. Der 48-jährige war wesentlich beteiligt an einem Bericht zum Stand der Diabetes-Erkrankungen und präventiven Maßnahmen zur Eindämmung der ausufernden Epidemie in Schleswig Holstein. Seit drei Jahren findet auf seine Initiative jeweils zum Weltdiabetestag in Lübeck eine hochkarätig besetzte Veranstaltung statt, die zum Ziel hat, Menschen mit und ohne Diabetes zu einem gesunden Lebensstil zu motivieren und Eigenverantwortung zu übernehmen.
Als „Arbeitspferd“ der Diabetologie gilt das zu den sogenannten Biguaniden zählende Medikament Metformin. Es setzt vor allem da an, wo es die Diabetiker am stärksten brauchen: Es lässt das Insulin wieder besser wirken, bekämpft also die Insulinresistenz. Außerdem hemmt Metformin die Neubildung von Glukose in der Leber und verzögert die Aufnahme von Kohlenhydraten im Darm. Mit Prof. Schütt spreche ich darüber, welche Einsatzmöglichkeiten dieses relativ preiswerte und nebenwirkungsarme Medikament hat – und welche Perspektiven sich für die Zukunft ergeben. Das Gespräch erscheint in meiner Reihe Lauber´s DiabDialog, wo ich wichtige Diabetes-Themen für einen kritischen Dialog aufbereite.
Prof. Schütt: Metformin ist das erste zugelassene orale Antidiabetikum, es besteht somit eine jahrzehntelange Erfahrung bezüglich von Wirkung und Nebenwirkung, vor allem auch bezüglich der Sicherheit. Zudem ist es relativ kostengünstig und zumeist etwas preiswerter als die häufig verordneten Sulfonylharnstoffe, die im Gegensatz zum Metformin ein hohes Risiko für gefährliche Unterzuckerungen haben und eine Gewichtszunahme begünstigen.
Mittlerweile gibt es eindeutige Daten für eine verminderte Sterblichkeit durch Herzinfarkte unter Metformin. Zudem wurde in diversen Beobachtungsstudien eine verlängerte Lebensdauer von Menschen mit Diabetes, die Metformin einnehmen, festgestellt. Hochinteressant sind aktuelle Daten, die Metformin mit einem reduzierten Krebsrisiko, das bei Menschen mit Typ 2 Diabetes erhöht ist, in Verbindung bringen. Metformin wird weltweit in sämtlichen Leitlinien als erstes Antidiabetikum zur medikamentösen Therapie des Typ 2 Diabetes aufgeführt.
Dass es ganz hervorragend die eigenen Anstrengungen der Patienten unterstützt! Eine zeitgemäße Diabetestherapie sollte eine Blutzuckersenkung ohne ein erhöhtes Risiko für Unterzuckerungen und eine Gewichtszunahme ermöglichen. Metformin weist dieses ideale Wirkprofil auf und ist somit der optimale Kombinationspartner für Lebensstilinterventionen, da sich die Effekte gegenseitig verstärken können.
Obwohl Metformin seit Jahrzehnten in der Diabetestherapie etabliert ist, lernen wir immer neue vorteilhafte Wirkmechanismen kennen. Metformin dämpft den Appetit und scheint auf das Darmmikrobiom, die Mikroorganismen und deren biologische Funktionen im Magen-Darm-Trakt, einen nachhaltig positiven Effekt zu haben. Weitere positive Effekte, wie beispielsweise auf das Wachstum von Tumorzellen, die Entstehung einer Demenz oder auf wichtige Hormone, die den Glukosestoffwechsel regulieren, werden aktuell untersucht.
Grundsätzlich ist Metformin für jeden Menschen mit Typ 2 Diabetes sinnvoll. Besonders profitieren Menschen mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, die Komplikation für Menschen mit Typ 2 Diabetes schlechthin. Bei guter Verträglichkeit, auch in niedriger Dosis, und bei Fehlen von Kontraindikationen (in erster Linie eine eingeschränkte Nierenfunktion), erscheint es fast schon fahrlässig, ein Medikament wie Metformin in der Diabetestherapie zu ignorieren. Es sollte also möglichst zeitnah nach Diagnosestellung, die ohnehin zumeist verspätet erfolgt, eingesetzt werden. Es gilt aber auch für Situationen, in denen die reine blutzuckersenkende Wirkung nicht ausreicht und die Diabetestherapie erweitert werden muss, ohne das Metformin abzusetzen.
Generell gilt, dass Metformin allein für die Therapie des Typ 2 Diabetes zugelassen ist. Und dennoch scheinen die Vorteile von Metformin vor allem hinter dem Vorhang Blutzuckersenkung versteckt zu sein. Die wesentlichen Effekte liegen weniger im Vermeiden der Erkrankungen kleiner Gefäße, wie Nieren, Netzhaut und Nerven, was eindeutig mit der Qualität der Blutzuckereinstellung korreliert. Metformin wirkt insbesondere positiv im Bereich der Erkrankungen großer auf das Herz und Hirn-zuführender Gefäße, die in Studien weniger gut von einer alleinigen optimalen Einstellung des Blutzuckers profitieren. Deshalb sollte Metformin auch bei einem scheinbaren Therapieversagen gemessen am HbA1c Wert nicht abgesetzt werden.
Zudem kann die Insulindosis im Rahmen einer Insulintherapie zumeist reduziert werden. Auch eine Gewichtszunahme durch andere Antidiabetika ist durch eine gleichzeitige Gabe von Metformin weniger stark ausgeprägt. Diese Vorteile erscheinen auch bei Menschen mit Typ 1 Diabetes möglich. Hier muss jedoch betont werden, dass Metformin nicht für die Behandlung des Typ 1 Diabetes zugelassen ist und eine Insulintherapie niemals ersetzt, aber Insulin möglicherweise eingespart werden kann.
Eine wichtige Frage: Denn beim sogenannten Double Diabetes könnte Metformin vor einer großen „Karriere“ stehen. Schließlich erzeugt der moderne Lebensstil auch bei immer mehr Typ-1-Diabetikern Anzeichen eines Typ-2-Diabetes, wie beispielsweise Übergewicht und eine eingeschränkte Insulinempfindlichkeit. Dies könnte zugleich auch das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle bei Menschen mit Typ 1 Diabetes erhöhen. Hier können sich die gewichtsreduzierenden und insulineinsparenden Eigenschaften von Metformin positiv bemerkbar machen. Genau so wie die gefäßschützenden Eigenschaften.
Es bestehen sehr gute Erfahrungen bezüglich der Risiken, die grundsätzlich unter Beachtung der Kontraindikationen sehr gering sind. Die wesentliche Kontraindikation ist eine eingeschränkte Nierenfunktion und damit einhergehend die Laktatazidose. Auch andere Erkrankungen, die zu einer Erhöhung der Laktatkonzentration führen können, sind zu beachten, wie etwa die höhergradige Herz- oder Lungenfunktionsschwäche.
Grundsätzlich ist eine regelmäßige Kontrolle der Nierenwerte wichtig. Dosisabhängig kann es vor allem am Anfang der Behandlung zu Blähungen, möglicherweise auch Durchfall kommen. Deshalb sollte initial immer die niedrigste Einstiegsdosis, möglichst unter häuslichen Bedingungen gewählt werden. Wird eine zu hohe Dosis reduziert, verschwinden die Symptome oft wieder und der Behandlungserfolg bleibt häufig gleichbleibend.
Ja, die gibt es ganz aktuell. Denn die Deutsche Diabetes Gesellschaft kommt auf Basis einer Änderung der Fachinformation des Metforminpräparates Glucophage® zu der Einschätzung, dass Metformin auch bei Menschen mit mäßiger Nierenfunktionsstörung (sogenannte glomeruläre Filtrationsrate im Bereich 45 bis 59 ml/min) eingesetzt werden kann. In einer solchen Situation sollte die Metformindosis auf maximal 1000 mg/Tag (zum Beispiel 2 mal 500 mg) reduziert werden. Zudem sollte die Nierenfunktion alle drei bis sechs Monate überprüft werden.
Im Sinne der Prävention eines manifesten Diabetes, aber auch zur Behandlung des metabolischen Syndroms, was per se mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle einhergeht, könnte in Zukunft Metformin auch bei Vorstufen des Typ 2 Diabetes, dem Prä-Diabetes, eingesetzt werden. Wichtig wäre es, dass im Vordergrund weiterhin eine Änderung des Lebensstils steht und Metformin den Erfolg unterstützt. Untersucht wird auch ein Zusammenhang des Effektes von Metformin auf den Erfolg von Chemotherapien. Auf jeden Fall zeigt sich, dass dieser Klassiker der Antidiabetika noch für viele positive Überraschungen gut sein kann.
Aus der Volksmedizin heraus entwickelt wurden die Biguanide. Denn sie sind chemisch verwandt mit dem Alkaloid Galegin, das sich in der Geißraute, der „Galega officinalis“, befindet. Die Pflanze wächst in unseren Breitengraden auch ohne menschliches Zutun hervorragend, und sie wurde über Jahrhunderte in der Volksmedizin bei „Zucker“ eingesetzt. Allerdings raten Experten heute davon ab, die Bestandteile der Galega direkt zu nutzen, da sie giftig sein können. Vor allem von dem Verzehr der Samen wird gewarnt, da sich darin besonders viel von dem Alkaloid befindet.
Eine wechselvolle Geschichte begleitet den Weg des Medikaments Metformin. Erstmals 1929 wurde die Blutzucker senkende Wirkung der Biguanide beschrieben und bei einer wissenschaftlichen Publikation von Prof. Dr. Erich Hesse und Dr. Gerd Taubmann vom Pharmakologischen Institut der Institut Breslau eingereicht. Aber erst nach einer Phase des Vergessens wurde das Präparat ab 1956 wieder klinisch eingesetzt. Es folgte dann wieder eine Zeit der Skepsis wegen der Laktazidosen – und erst ab 1990 gelang dann der Durchbruch zum heute weltweit am meisten verschriebenen Antibiotikum.
Wer mehr über die Geißraute und Metformin erfahren will, hat dazu Gelegenheit am 18. Juni 2015 ab 15 Uhr in „Lauber´s Diabetes Garten“ im Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt. Dort wird Hans Lauber zusammen mit Chefarzt Prof. Dr. med. Kristian Rett den Diabetes Garten eröffnen, in dem auch eine Galega wächst. Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, der Eingang befindet sich in der Schifferstraße 59.
Übrigens: Auch Professor Rett ist ein starker Befürworter von Metformin – und sieht in dem Medikament noch große Perspektiven. Seine Grundeinschätzung lautet kurz und bündig: „Metformin kann bedenkenlos verschrieben werden, aber nicht gedankenlos“.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
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