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Das hat noch nicht so gut funktioniert: Als ich die Begriffe "Künstliche Intelligenz" und "Diabetes" in einem durch künstliche Intelligenz gesteuerten Überschriften-Generator eingab, kamen einige Vorschläge, die noch nicht so richtig der Wahrheit entsprechen. "Diabetes ade: Mit künstlicher Intelligenz die Blutzuckerwerte im Griff – So einfach kann’s gehen!", "Warum ‚Killer-Roboter‘ der Diabetes-Bekämpfung den Kampf ansagen! 10 Gründe, warum die künstliche Intelligenz uns zum Sieg verhelfen kann!", "Künstliche Intelligenz kickt Diabetes: 5 Techno-Geheimnisse zum Zukunfts-Mega-Tool!" oder "Diabetes von Computerhirnen besiegt: So helfen künstliche Intelligenz und neue Hochleistungsalgorithmen!"
Der nächste Versuch mit dem Chatbot ChatGPT klappte schon besser. Nachdem er sich mit "Hallo Mensch, ich bin ein GPT-betriebener AI-Chatbot. Frag mich alles!" meldete, gab ich erneut die beiden Begriffe ein. Jetzt antwortete er schon beachtlich gut: "Künstliche Intelligenz (KI) kann in der Diabetesbehandlung und -verwaltung eine wichtige Rolle spielen. Durch den Einsatz von KI-Technologien können große Mengen an Daten analysiert werden, um Muster und Zusammenhänge zu erkennen, die für die Behandlung von Diabetes relevant sein können. KI kann beispielsweise bei der Vorhersage von Blutzuckerwerten helfen, indem sie verschiedene Faktoren wie Ernährung, körperliche Aktivität und Insulinverabreichung berücksichtigt. Darüber hinaus können KI-gesteuerte Systeme auch bei der Überwachung von Diabetespatienten unterstützen, indem sie kontinuierlich Daten sammeln und bei Bedarf Warnungen oder Empfehlungen geben. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass KI-Systeme in der Diabetesbehandlung als Hilfsmittel dienen und nicht den Rat und die Anleitung von medizinischem Fachpersonal ersetzen sollten." Das stimmt alles – und wenn ich diesen Artikel weiter mithilfe künstlicher Intelligenz geschrieben hätte, würde es eventuell keiner merken. Aber keine Sorge: Ab jetzt schreibe ich wieder als Mensch weiter.
Eine allgemeingültige Definition von künstlicher Intelligenz gibt es nicht, das Spektrum von Technologien und Perspektiven zu KI ist hierfür zu breit. Allgemein wird unter künstlicher Intelligenz die Simulation von Prozessen menschlicher Intelligenz durch Maschinen, insbesondere Computer-Systeme, verstanden. Hierzu gehören das intelligente Erkennen von Sprache, kreatives Verhalten, die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen und Schlussfolgerungen aus unvollständigen Informationen zu ziehen, oder auch Fähigkeiten wie Selbstwahrnehmung oder Einfühlungsvermögen.
Aktuell basieren die meisten KI-Anwendungen bei Diabetes auf "schwachen KI-Systemen", welche für eine spezielle Aufgabe entwickelt und trainiert wurden. Dazu gehört beispielsweise ein virtueller persönlicher Assistent zum Unterstützen von Therapie-Entscheidungen bei Diabetes. "Starke KI-Systeme" mit verallgemeinerten menschlichen geistigen Fähigkeiten, die bei unbekannten Aufgaben genügend künstliche Intelligenz besitzen, um selbstständig eine Lösung zu finden, gibt es bislang bei Diabetes nicht. Die meisten der bislang im Bereich des Diabetes eingesetzten KI-Lösungen basieren auf Teildisziplinen der KI, wie "Deep Learning" oder verschiedenen Methoden des "maschinellen Lernens".
Für die Entwicklung von KI-Modellen sind viele Daten notwendig. Da trifft es sich gut, dass bei Diabetes im Verlauf der Therapie große Mengen an Daten anfallen. Im Englischen wird Diabetes auch als "Data Driven Disease" (kurz "DDDD"), also als Daten-basierte Erkrankung, bezeichnet. Allein durch die Methode des kontinuierlichen Glukose-Monitorings (CGM) entstehen pro nutzender Person und Jahr mehr als 100 000 Glukosedaten.
Bei der Entwicklung von KI werden verschiedene Daten intelligent miteinander verknüpft. Ein Algorithmus erkennt darin Zusammenhänge. Diese Muster werden durch verschiedene Methoden der KI erkannt, gelernt und sind Grundlage für neue Entscheidungen in der Zukunft. Deep Learning ist beispielsweise eine KI-Methode, die auf der Analyse neuronaler Netze basiert. Künstliche neuronale Netze imitieren das Verhalten von Nervenzellen im Gehirn und sind eine Ansammlung von einzelnen Informations-Verarbeitungs-Einheiten (Neuronen), welche über zahlreiche Knoten untereinander verschaltet sind. Welches Gewicht jede der Verbindungen hat, wird durch Training nach und nach festgelegt und kann dann als Algorithmus zum Lösen von Aufgaben eingesetzt werden.
Zum Beispiel werden anhand eines großen Datensatzes von Bildern der Netzhaut ("Trainings-Daten") Algorithmen entwickelt, um eine diabetische Retinopathie, also die Erkrankung der Netzhaut des Auges, möglichst genau zu diagnostizieren. Mit der Zeit wird der Algorithmus immer besser, da er immer mehr Bilder verarbeitet und damit sogar sehr seltene Veränderungen der Netzhaut erkennt.
Diese Methode ist mittlerweile so gut, dass sie zunehmend eingesetzt wird. Dabei setzt sich ein Patient vor ein Aufnahme-Gerät, welches ein Bild der Netzhaut macht. In Sekundenschnelle wird das Bild an eine riesengroße Datenbank mit Millionen anderer Bilder geschickt. Ein Algorithmus vergleicht sie mit allen anderen Bildern und erkennt, ob eine Retinopathie vorliegt, welches Stadium besteht oder ob andere Veränderungen am Augenhintergrund bestehen. Das Ergebnis ist ebenso in Sekundenschnelle da. Studien haben ergeben, dass die Genauigkeit der Diagnose der einer erfahrenen Augenärztin oder eines Augenarzts entspricht. Der Vorteil für Menschen mit Diabetes besteht darin, dass weltweit – nicht nur in spezialisierten Kliniken – dieselbe hohe Qualität der Diagnose vorhanden ist. Außerdem entfällt die Anfahrt in die Praxis und die Pupillen müssen für die Untersuchung nicht weitgetropft werden.
Besonders fortgeschritten ist die KI-basierte Diagnostik bei der Analyse von Bildern aus Röntgen-Aufnahmen, Computer-Tomografien (CT) oder Magnetresonanz-Tomografien (MRT). In der Radiologie wird zunehmend KI eingesetzt, da diese ähnliche Analysen durchführt wie Ärztin oder Arzt. Durch das Verknüpfen mit medizinischem Wissen, wie Leitlinien, kann KI zunehmend nicht nur Bilder erkennen, sondern Vorschläge zur weiteren Therapie machen. Experten-Systeme können Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützen, die richtige Diagnose zu stellen und bei der Therapie wichtige Zusammenhänge nicht zu übersehen.
In einer sehr großen Studie, die in "Nature Medicine", einer der angesehensten medizinischen Zeitschriften, beschrieben wurde, entwickelten chinesische und amerikanische Forschende einen Algorithmus, der Diagnosen in der Kinderheilkunde mit einer Genauigkeit stellen konnte, die der von Expertinnen und Experten entsprach. Zuerst wurde eine Zusammenfassung von mehr als 1 Million Symptomen zu 55 verschiedenen Krankheiten erstellt. In einem zweiten Schritt wurde das KI-System in Anlehnung an wissenschaftliche Leitlinien und auf der Grundlage von mehr als 100 Millionen Datenpunkten aus Patientenakten der Kinder per Sprach-Eingabe trainiert. Der entwickelte selbstlernende Algorithmus konnte in 80 bis 98 Prozent der Fälle die korrekte Diagnose stellen und übertraf damit unerfahrene Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnose von Krankheiten bei Kindern deutlich.
Mittlerweile gibt es für alle Folge- und Begleiterkrankungen des Diabetes KI-Modelle, die zur Diagnose eingesetzt werden können. Zwar werden sie bislang überwiegend noch nicht in der klinischen Praxis eingesetzt, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Besonders wertvoll sind KI-Modelle für das Erstellen von persönlichen Risiken und Prognosen. Bislang basiert das Wissen von Ärztinnen und Ärzten auf klinischen Studien, die mit großen Patienten-Gruppen durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Studien sind dann die Basis von Therapie-Empfehlungen.
Besser wäre es natürlich, wenn die Prognose sehr genau auf den einzelnen Menschen zugeschnitten wäre. Dies ist zunehmend mit dem Verknüpfen vieler unterschiedlicher Daten über eine Person möglich. Kennt der Algorithmus beispielsweise Alter, Geschlecht, alle eingesetzten Medikamente, die wichtigsten Diagnosen, Befunde aus Untersuchungen oder andere wichtige biologische Daten, so kann er eine auf den einzelnen Menschen abgestimmte, persönliche Prognose ermitteln. Etwa: "Ihr Risiko, in den nächsten fünf Jahren eine Nieren-Erkrankung zu bekommen, ist 40 Prozent. Passen Sie auf, das ist sehr hoch und liegt weit über dem Risiko vergleichbarer Personen Ihres Alters. Wenn Sie die Maßnahmen xxx durchführen, sinkt Ihr Risiko auf 8 Prozent. Wenn sich Ihre aktuellen Gesundheitsdaten – vor allem Ihre Blutzucker- und Blutdrucksituation – nicht ändern, beträgt Ihr Risiko sogar 60 Prozent." In der Therapie von Krebs-Erkrankungen ist es heute schon möglich, aufgrund vieler persönlicher Variablen Medikamente zielgerichtet für eine Person zu entwickeln. Personalisierte Therapie heißt das Zauberwort für die Medizin der Zukunft, bei der KI eine wichtige Rolle spielen wird.
Die Steuerung der Glukosewerte ist komplex, da sehr viele beeinflussende Faktoren beachtet werden müssen. Auch hier arbeiten Forschende mit Hochdruck daran, mit KI-gestützten Algorithmen zum Beispiel Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID) zu verbessern, um z. B. die verzögerte Insulinwirkung ebenfalls durch Algorithmen auszugleichen und eine noch genauere Steuerung des Glukoseverlaufs zu entwickeln. Außerdem können persönliche Muster gelernt werden, sodass das Dosieren des Insulins noch individueller wird. KI-basierte Experten-Systeme werden als digitale Assistenten Ärztinnen und Ärzten wie auch Patientinnen und Patienten bei Therapie-Entscheidungen unterstützen.
Weltweit arbeiten Forschende auch an Möglichkeiten, mithilfe von KI den Gehalt von Mahlzeiten zu bestimmen. Systeme wie "snap-n-eat" oder "GoCARB" erfassen Nahrungsmittel mithilfe automatisierten Verarbeitens von Bildern und KI, mit denen auch der Gehalt an Kohlenhydraten bestimmt wird. Momentan sind diese Systeme jedoch noch nicht so alltagstauglich, dass auf Grundlage dieser Ergebnisse ein Insulinbolus abgegeben werden kann.
Weltweit gibt es bereits einige Krankenhäuser, die versuchen, möglichst viele Prozeduren und Abläufe mit KI zu steuern. Neben dem Bradford Royal Infirmary Hospital in Bradford in Großbritannien, dem Humber River Hospital in Toronto in Kanada und dem amerikanischen John Hopkins Hospital in Baltimore hat auch das Klinikum in Essen beschlossen, ganz auf KI im Krankenhaus zu setzen. Mit elektronischen Kranken-Akten soll in Zukunft automatisiert nach unentdecktem Diabetes gefahndet werden, auf Knopfdruck sind die Diabetes-Daten aller Patientinnen und Patienten aufzurufen. Experten-Systeme sollen regelhaft bei der Diagnostik und Therapie von Menschen mit Diabetes eingesetzt werden und damit Behandlungsfehler verhindern. Die Zukunft ist schon an manchen Orten die Gegenwart.
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