Lieferengpässe und Verunreinigungen: Reale Risiken und unnötige Sorgen

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Lieferengpässe und Verunreinigungen: Reale Risiken und unnötige Sorgen

Was vor Jahren noch die Ausnahme war, gehört heute zum Alltag in den Apotheken: Ein vom Arzt verordnetes Medikament ist nicht verfügbar, weil der Hersteller aus verschiedenen Gründen nicht liefern kann. Diese für alle ärgerliche Situation erleben Sie heute immer wieder beim Apothekenbesuch – und fragen sich vielleicht, wie so etwas in unserer „Überflussgesellschaft“ eigentlich möglich ist.

Sollten Hersteller von Medikamenten nicht ein ureigenes Interesse haben, ihre Produkte zu verkaufen? Die Regale der Supermärkte sind doch auch meist gefüllt, warum gibt es Engpässe ausgerechnet bei der Versorgung mit den mitunter lebenswichtigen Arzneimitteln? Und muss der Patient jetzt vielleicht Angst haben, seine Tabletten eines Tages gar nicht mehr zu bekommen?

Schwierige Finanzsituation

Die Struktur unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt, die Bevölkerungspyramide steht im wahrsten Sinne des Wortes Kopf: Wir werden immer älter und können dank einer guten Versorgung mit Gesundheitsleistungen deutlich länger mit unseren Krankheiten leben als unsere Vorfahren. Die Krankenkassen müssen ökonomisch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen und haben deshalb das Recht, bestimmte Leistungen zu begrenzen. Dazu gehören auch die Arzneimittel.

Seit dem Jahr 2007 schließen die gesetzlichen Krankenkassen mit Pharma­unter­nehmen Rabattverträge für die Versorgung ihrer Versicherten mit Arzneimitteln. Hersteller können sich an Ausschreibungen beteiligen, um Exklusiv­lieferant für die entsprechende Krankenkasse zu werden. Dann sind sie vertraglich verpflichtet, den Krankenkassen Rabatte einzuräumen. Diejenigen Unternehmen, die bei den Ausschreibungen leer ausgehen, ziehen sich vom deutschen Markt weitgehend zurück und konzentrieren sich auf ihre Auslandsgeschäfte, die ihnen deutlich höhere Gewinne versprechen.

Die Gewinner der Rabattverträge jedoch stehen unter einem hohen Preisdruck und versuchen, durch Einsparung von Kosten, ihre Gewinnspannen aufzubessern. So verlagern sie nicht selten ihre Produktion in Billiglohnländer und kaufen ihre Rohstoffe extrem kostenbewusst ein. Das macht wiederum ihre Produktion störanfälliger, denn in den Schwellenländern gelten meist sehr niedrige Umwelt- und Sicherheitsstandards.

Der jahrzehntelange Kostendruck hat dazu geführt, dass es weltweit nur noch eine Handvoll, manchmal sogar nur einen einzigen Hersteller für einen Wirkstoff gibt. Kommt es dann in solch einem Werk zu einem Zwischenfall, kommt weltweit die gesamte Folgeproduktion für ein oder mehrere bestimmte Arzneimittel ins Stocken. Das spüren wir momentan in den Apotheken, wenn wir die Auskunft bekommen: „Ihr Medikament ist nicht verfügbar.“

Qualität hat ihren Preis

Im Jahr 2018 hat ein Arzneimittelskandal die Patienten verunsichert, die den Blutdrucksenker Valsartan eingenommen haben. In den Medikamentenmustern, die ein Unternehmen aufbewahren muss, um bei Bedarf Nachuntersuchungen durchführen lassen zu können (Rückstellmustern), eines chinesischen Herstellers fanden sich Verunreinigungen mit Nitrosaminen, die aus dem Herstellungsprozess stammten. Nitrosamine sind potenziell krebs­erre­gende Stickstoffverbindungen, die auch in Lebensmitteln, beispielsweise Chips oder Keksen, vorkommen können.

In Deutschland kommt ein Arzneimittel erst auf den Markt, wenn es ausreichend getestet wurde. Die Hersteller sind verpflichtet, jeden Ausgangsstoff einer Prüfung zu unterziehen. Sie müssen jede Charge ihrer Medikamente labortechnisch untersuchen und dürfen sie erst freigeben, wenn diese Tests keine Beanstandungen ergeben haben. Im Fall der Sartane war in China offensichtlich das Produktionsverfahren geändert worden, was zum Auftreten der Verunreinigungen geführt hat.

Weitere Tests auf Nitrosamine in anderen Arzneimitteln entlarvten noch Verunreinigungen anderer Medikamente, darunter im dort produzierten Dia­betes-Medikament Metformin. Letzteres kam in der EU jedoch nicht auf den Markt, die weltweiten Chargen-Sperrungen führen aber auch hierzulande zu Lieferengpässen.

Eigentlich funktioniert das System der Qualitätskontrolle in Deutschland gut. Die Hersteller sind verpflichtet, nach Auslieferung bekannt gewordene Mängel (das kann beispielsweise auch ein fehlerhaft gedruckter Beipackzettel sein) unverzüglich zu melden. Täglich erhalten Großhändler und Apotheker diese Meldungen und ziehen die beanstandete Ware sofort aus dem Verkehr. Darüber hinaus wird auch in allen Apotheken selbst täglich mindestens ein Medikament optisch geprüft und Vorkommnisse werden unmittelbar an die zuständige Behörde gemeldet. Auf diese Weise werden pro Jahr rund 6 Mio. Packungen überprüft.

Auch die Großhändler kontrollieren jede Lieferung der Pharmaunternehmen, bevor sie die Ware an die Apotheken weitergeben. Die Patienten können damit sicher sein, dass ihre Medikamente den vorgegebenen Richtlinien entsprechen. Fehler im System sind immer möglich, müssen aber so schnell, wie es irgend geht, korrigiert werden. Das ist auf unserem Markt der Fall, die Sicherheit der Kunden hat einen hohen Stellenwert – auch um den Preis von Versorgungslücken.

Politische Schadensbegrenzung

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fordert nun von den Herstellern und Großhändlern, die Höhe ihrer Warenbestände ausgewählter Arzneimittel an die Behörden zu melden. Die Behörden erhoffen sich so einen besseren Überblick und könnten bei regionalen Engpässen regulierend eingreifen. Zudem sollen sie Mindestmengen an besonders kritischen Medikamenten wie Antibiotika oder Zytostatika (das Zellwachstum hemmende Medikamente) lagern.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt dazu eine Liste der wichtigsten Arzneimittel und aktualisiert sie ständig. In einem regelmäßigen „Jour Fixe“ beobachten und bewerten Experten die Versorgungslage.

Apotheken wollen bei der Auswahl des Arzneimittels für ihre Kundinnen und Kunden nicht mehr mit Regressen durch die Krankenkassen bestraft werden, wenn sie nicht in der Lage sind, rabattierte oder preisgünstige Arzneimittel zu beschaffen. Die ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) fordert, dass außerdem die „Aufzahlungen“ oder Mehrkosten für preisintensive Medikamente entfallen, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen. Patientinnen und Patienten müssten so künftig nicht befürchten, deutlich mehr als bisher für ihre Arzneien bezahlen zu müssen.

Fazit

Für die gegenwärtigen Lieferprobleme schieben sich die Politiker, Krankenkassen und die Hersteller gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Eine Lösung ist erst in Sicht, wenn alle Beteiligten miteinander statt übereinander reden und einen guten Konsens suchen.

Der darf auch unbequem sein: Die Hersteller müssen sich von dem Gedanken der Gewinnmaximierung um jeden Preis wohl verabschieden, die Politiker dürfen nicht nur an Wählerstimmen denken, sondern werden nicht umhinkönnen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Die Krankenkassen müssen den extremen Preisdruck beenden. Und die Patienten werden akzeptieren müssen, dass eine gute Versorgung nur mit Sparsamkeit möglich ist. Aber nur so ist unser Gesundheitssystem noch zu retten – und mit ihm eine sichere Arzneimittelversorgung.

Schwerpunkt „Arzneimittel-Versorgung gesichert?“

von Edith Schettler
Apothekerin, 08294 Lößnitz
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
Kontakt über: nuber@­kirchheim-verlag.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (6) Seite 20-22

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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