7 Minuten
Lutz (56) ist einer von mehr als 5 Millionen Typ-2-Diabetikern in Deutschland. Lange Zeit befand er sich in einem Blindflug – so bezeichnet er die Phase, in der er als Diabetiker kein Insulin spritzen musste, aber auch keine Messmöglichkeiten bekam. Als sich dies änderte und er Schulungen für die Insulintherapie erhielt, wurde ihm bewusst, dass er als Typ-2-Diabetiker mit Messstreifen und Informationen unterversorgt war. Um seinen Diabetes bestmöglich zu versorgen, kam der Wunsch nach einer Insulinpumpe, und Lutz kämpfte dafür, sogar vor Gericht!
Mein Hausarzt hat eines Tages mal gesagt, dass meine Werte nicht so gut seien und dass wir im nächsten Quartal nochmal nachschauen sollten. Es war also eher ein gleitender Übergang und kein konkreter Moment, in dem die Diagnose gestellt wurde. Mein Arzt hatte die Werte und das HbA1c immer im Blick. Es fing mit 6,5% oder 6,8% ganz moderat an, ging dann lang in den 7er-Bereich hoch und die Standardtherapie mit Tabletten wurde begonnen.
Das brachte aber langfristig nicht viel und der Hausarzt überwies mich 2011 zum Diabetologen. Dort bekam ich die erste Schulung. Die war jedoch rein auf die Ernährung bezogen, ohne dass Grundlagen vermittelt wurden oder es eine Messmöglichkeit gab. Man ist die ganze Zeit im Blindflug und weiß gar nicht, wie man auf die Ernährungstipps und Medikamente reagiert. Man muss einfach raten und schätzen.
Als einzige Option gab es Urinteststreifen. Zunächst half das auch ein wenig und ich wurde am Ende der Schulung mit den Worten entlassen: „Sie haben es geschafft, Sie müssen kein Insulin spritzen.“ Das war gut gemeint, aber es baut doch nur Angst vor einer anderen Therapieform auf.
Ich bin zunächst in diesem Zustand geblieben, weil ich gar nicht wusste, was ich machen sollte. Mir hat niemand großartig etwas erzählt oder erklärt. Ich wusste nicht einmal, wie so ein Blutzuckerwert hätte aussehen müssen, selbst wenn ich hätte messen können.
Da Diabetes aber erst einmal nicht weh tut, sieht man auch keinen akuten Handlungsbedarf als Typ-2-Diabetiker. Der Hausarzt hat einmal im Quartal zwar gesagt, dass das HbA1c nicht so gut sei, und hatte einen besorgten Gesichtsausdruck, aber wirkliche Konsequenzen gab es ja nicht. Das motiviert einen dann auch nicht, die Sache selber in die Hand zu nehmen.
Das war bei mir ein ganz großer Fehler, deswegen versuche ich heute, Menschen mit der Diagnose Typ-2-Diabetes zu sensibilisieren, schnell an Informationen und Messmöglichkeiten zu kommen. Ich selber habe mich erst ab November 2012 wirklich über Diabetes informiert, als ich begonnen habe, Insulin zu spritzen.
Im Nachhinein, als ich angefangen habe, Insulin zu spritzen, ist mir bewusst geworden, dass ich einige Symptome hatte. Müdigkeit, Kraftlosigkeit, ich habe die Füße gar nicht mehr richtig hochbekommen und meine Freundin sagte immer, dass ich durch die Gegend schlürfe.
Als ich dann das erste Mal Insulin bekam und es auch in einer Schulung lernte zu dosieren, war das ehrlich gesagt wie eine Droge für mich. Es war wie ein Aufputschmittel und plötzlich kam meine Kraft zurück. Generell war die Situation aber wieder sehr seltsam. Ich war bei meinem Diabetologen, und da die Erfolge ausblieben, dachte ich, man würde mit mir über andere Tabletten sprechen. Stattdessen bekam ich ohne Vorwarnung Messgerät und Pen in die Hand gedrückt. Ich war nicht vorbereitet. Meine Diabetologin wusste, dass sie mich so sofort am Haken hatte. Zum Glück habe ich vor Spritzen keine Angst und ich konnte das sehr schnell für mich annehmen. Ich fühlte mich ja auch sehr schnell viel besser.
Das Problem liegt ja schon darin, dass ich erst 2011 die erste Schulung hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich schon vier Jahre von meinem Hausarzt behandelt, ohne dass mich mal jemand aufklärte. Da wurde blind behandelt und das scheint üblich zu sein. Deswegen mache ich ihm auch keine Vorwürfe. Ihm ist zumindest aufgefallen, dass ich Typ-2-Diabetes habe – das ist auch nicht selbstverständlich.
Wie gesagt war die erste Schulung sehr auf die Ernährung fokussiert. Schlimmer fand ich jedoch, dass vermittelt wurde: Wenn Du Insulin spritzen musst, dann hast Du versagt! Jetzt denke ich eher, dass man mir zu spät Insulin gegeben hat. So, wie ich auf die Medikamente reagiert bzw. nicht reagiert habe, hätte ich viel früher den Wechsel vollziehen müssen. Da hätte man früher die Bremse ziehen müssen.
Nachdem ich dann die Schulung zur Insulintherapie hatte, ging es mir nicht nur körperlich besser und ich überwand den ersten Schock, ich verstand auch zum ersten Mal, was ich da eigentlich habe und dass mein Leben nicht vorbei ist. Das war jedoch auch ein Schulungskonzept, was auf Typ-1-Diabetiker ausgelegt war.
Das war Anfang 2014. Zusätzlich zum Diabetes habe ich leider auch noch Schuppenflechte, die sich vorwiegend genau da ausbreitet, wo auch die Spritzstellen sind. Ich suchte nach Alternativen. Dass das über andere Spritzstellen hinausgehen muss, war auch schnell klar.
Meine Ärztin war sofort auf meiner Seite und sicherte mir Unterstützung zu. Sie hielt es ebenfalls für sinnvoll. Wir probierten es einfach, obwohl die formale Einstellung ja eigentlich besagt, dass Typ-2-Diabetiker so etwas nicht brauchen. Von der Kasse wurde dementsprechend auch sofort alles geblockt.
Leider wurden zum Beispiel alle Nebenerkrankungen, zu denen auch meine Schuppenflechte gehört, von denen ausgeblendet. Für meine Krankenkasse spielte meine Haut keine Rolle. Für mich jedoch schon, da es einen Unterschied macht, ob man sich sechsmal am Tag mit dem Pen spritzt oder alle drei Tage einen Katheter setzt. Ich hatte einen Mangel an Spritzstellen und das ist schon eine Indikation.
Direkt nach der ersten Ablehnung. In der Begründung ist man seitens der Krankenkasse nicht auf meine Argumente eingegangen. Es wurde abgelehnt, weil ich Typ-2-Diabetiker war, und die Formulierungen waren sogar so, dass ich mir das selber angefuttert hätte. Es war wie eine Schuldzuweisung. Meinen kleinen Bauch kann man nicht übersehen, aber ich bin weit davon entfernt, einen sogenannten „angefressenen Diabetes“ zu haben. Da gibt es auch bei Typ-2-Diabetes mehrere Faktoren. Ich bekam sogar den Vorschlag, das Insulin abzusetzen und eine Gewichtsreduktion anzustreben zusammen mit Kraftsport. Folgt man der Logik, müsste nun die Behandlung von Sportverletzungen von der Krankenkasse abgelehnt werden, weil der Patient sich die ja auch selbst zugefügt hat, indem er Sport gemacht hat.
Ich habe natürlich Widerspruch eingelegt und das wurde von der Krankenkasse verschleppt. Da kam ich auch zu dem Entschluss, mir einen Anwalt zu nehmen und für die Pumpe zu kämpfen. Da dauerte das Verfahren bereits einige Monate und es gab drei Gutachten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Nur ein Gutachten sprach sich übrigens gegen die Pumpe aus. Die anderen beiden sagten, dass keine eindeutige Empfehlung gegeben werden könne.
Die habe ich mir selber gesucht. Ich habe einen Port gefunden und über diesen konnte ich dann längere Zeit eine Spritzstelle nutzen. Diese Ports funktionieren ähnlich wie ein Katheter, nur dass man eben nicht den Pumpenschlauch anschließt, sondern bei Bedarf den Pen dort ansetzt. Das hat die Krankenkasse erstaunlicherweise ohne weiteres sofort bewilligt, obwohl die Kosten bei über 200 Euro lagen. Die Kosten für das Pumpenmaterial hätten mit 182 Euro zu Buche geschlagen. Da ist nur nicht der einmalige Anschaffungspreis der Pumpe enthalten. Die Logik habe ich nicht ganz nachvollziehen können.
Anfang 2015 habe ich einen Anwalt beauftragt und alle Unterlagen zusammengesucht. Man muss sich im Klaren sein, dass das ein langer Prozess wird. Das liegt nicht nur an den Krankenkassen und der ganzen Hin-und-her-Schreiberei, sondern auch an den überlasteten Gerichten. Erst Ende 2017 gab es ein Zwischenergebnis: In einem Vergleich bekam ich die Pumpe zur Probe für sechs Monate bewilligt. Also geht es bald weiter, weil die Krankenkasse schon andeutete, dass danach keine Bewilligung zu erwarten ist.
Eigentlich jedes Schreiben von Gericht oder Krankenkasse, weil es mich immer in ein Loch stürzte. Ganz besonders schlimm fand ich die Schreiben und die Anrufe von der Service-Hotline, die nichts von dem Gerichtsverfahren wussten, aber den Auftrag hatten, mir das Zusatzangebot meiner Krankenkasse vorzustellen und was sie mir alles bieten könnten, um meinen Diabetes zu verbessern. Die Vorschläge fühlten sich wie ein schlechter Scherz an. Ich fühlte mich im Stich gelassen und verhöhnt.
Ich bin seitdem wesentlich leistungsfähiger. Vorher konnte ich vormittags nicht arbeiten, weil ich zu fertig war, zu müde und gegen hohe Werte ankämpfen musste. Jetzt lege ich direkt los. Generell hat sich meine Lebensqualität erheblich gesteigert. Auch medizinisch ist nur Gutes zu berichten: Mein Insulinbedarf ist um 30% gesunken, ich habe stabile Werte und mein HbA1c ist von 8,5% auf 6,6% gesunken. Das war das Ergebnis nach nur einem Quartal.
Ja! Ich muss kämpfen! Es hat mir so viel Lebensqualität gegeben und es betrifft auch nicht nur mich. Auch die Lebensqualität meiner Freundin hat sich verbessert, weil es mir besser geht und ich auch psychisch wesentlich ausgeglichener bin. Aber je näher die Deadline rückt, um so nervöser werde ich. Natürlich hat man Angst und die Ungewissheit belastet einen auch, denn ich könnte die Pumpe wieder verlieren. Ich hoffe dann zumindest auf schnelle Entscheidungen, damit es sich nicht so lange hinzieht.
Anwaltskosten und jede Menge Nerven. Für das gesamte Verfahren habe ich bereits 1.500,00 Euro ausgegeben. Fast die Hälfte des Anschaffungspreises einer Pumpe. Ich trage auch mögliche weitere Kosten, wenn ich eine Ablehnung erhalte.
Wobei ich mich frage, mit welchen Argumenten abgelehnt werden könnte. Die medizinischen Fakten sind eindeutig. Wenn die Krankenkasse sich auch davon nicht überzeugen lässt, ist es meiner Meinung nach eine sehr klare Aussage: Typ-2-Diabetiker müssen mit den schlechten Werten und der schlechteren Therapie, aber dafür mit allen Folgeerkrankungen leben. Dadurch wird auf bedenkliche Weise zwischen Typ 1 und Typ 2 unterschieden. Nimmt man nur alleine das Problem mit dem Messen der Blutzuckerwerte, so sind Typ-2-Diabetiker in Deutschland tatsächlich unterversorgt.
Dass ich meine Pumpe behalten darf. Das war jetzt klar, oder? Natürlich wünsche ich mir auch, dass ich alles weiter so gut im Griff habe und keine weiteren Folgeschäden auftauchen.
Diabetes hält Dich nicht auf? Auch Du hast eine bewegende Geschichte, die Du mit anderen Diabetikern teilen möchtest? Dann schreibe eine Mail an: contact@diapolitan.com
Insulinpumpen und CGM-Systeme auch für Typ-2-Diabetiker? Ja! Antje hat hier Studienergebnisse und Expertenmeinungen zusammengetragen.
“Mein Diabetes, meine Geschichte” – hier sind die weiteren Interviews aus dieser Reihe:
– Interview mit Sophie (21 Jahre) und ihrer Mutter über die Anfangszeit mit Typ-1-Diabetes
Interview mit Mila (30 Jahre) über den Kampf gegen ihre Depressionen
4 Minuten
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen