Mein Diabetes, meine Geschichte – Sascha (36) erblindete durch Diabetes

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Mein Diabetes, meine Geschichte – Sascha (36) erblindete durch Diabetes

Sascha verliert mit Anfang 30 fast vollständig sein Augenlicht. Grund ist eine diabetische Retinopathie – Einblutungen im Auge, die Anzeichen für eine durch Diabetes angegriffene Netzhaut sind und das Auge weiter schädigen. Mitverursacher sind langandauernde sehr schlechte Blutzuckerwerte. Nach einer jahrelang andauernden Akzeptanzstörung seines Typ-1-Diabetes ist die Erblindung der Weckruf für Sascha. Er ändert sein Leben und seine Einstellung zum Diabetes komplett. Mittlerweile unterstützt ihn Blindenführhund Kenty im Alltag. Mittlerweile ist Sascha ein sehr zufriedener und gut eingestellter Diabetiker, der seine Geschichte teilen möchte. Dabei hat er zwei wichtige Botschaften: Er möchte zum einen ein Beispiel dafür sein, wohin ein nicht eingestellter Diabetes führen kann. Zum anderen möchte er aber auch zeigen, dass das Leben mit Folgeerkrankungen weiterhin wundervoll ist und man sich nicht aufgeben soll.

Wie hast Du erfahren, dass Du Diabetes Typ 1 hast?

Der Diagnose ging eine dreimonatige Ärzte-Odyssee voraus. Es wusste keiner, was ich habe. Mir ging es gar nicht gut, aber erst, als mein Hausarzt einen Blutzuckertest machte, fand man den Grund heraus. Der Wert war nicht mehr messbar und es ging sofort ins Krankenhaus. Ich lag acht Wochen in der Kinderklinik, leider wurde ich dort von nicht sonderlich kompetenten Ärzten betreut. Obwohl es zu der Zeit schon Pens gegeben hätte, wurde ich noch mit Aufziehspritzen und nach festem Ess-Spritz-Plan eingestellt. Genau, man schaffte es gar nicht, mich einzustellen, es gab nur Verbote, aber keine richtigen Informationen. Eine Schulung bekam ich auch nicht. Erst, als ich sechs Monate später das Krankenhaus wechselte, bekam ich die erste Schulung.

Wie hast Du Dich bei der Diagnose gefühlt?

Scheiße, auch wenn ich mit meinen elf Jahren noch gar nicht reflektiert habe, was da eigentlich passierte. Ich realisierte nur, dass ich irgendwie krank war, dass ich sterben könnte, und sowas ist immer doof. Und ich wusste, dass ich von nun an Insulin spritzen musste. Zum Glück hatte ich aber keine Angst vor den Nadeln. Aber durch die fehlende Schulung war die Situation generell nicht gut. Nach 6 Monaten habe ich das Krankenhaus und damit auch den Arzt gewechselt. Dort wurde ich umgehend geschult und auch endlich auf eine normale ICT eingestellt.

Das hat aber nicht verhindern können, dass Du eine Akzeptanzstörung entwickelt hast. Wann traten hier die ersten Probleme auf?

Zunächst lief es eigentlich sehr gut. Jedoch merkte ich, dass ich in meinem Umfeld der einzige Diabetiker war. In der Schule und in meinem Freundeskreis war ich alleine, was dazu führte, dass ich mich stark ausgegrenzt gefühlt habe. Wenn man aber auf die Pubertät zugeht, dann möchte man einfach dazugehören. Also habe ich alles getan, damit der Diabetes nicht mehr präsent ist. Das bedeutete vor allem, dass ich nicht mehr richtig gespritzt habe. Nur noch das Basalinsulin blieb eine regelmäßige Konstante, da ich das ja ungesehen zu Hause injizieren konnte. Ich wollte nicht mehr wahrhaben, dass ich diese Erkrankung habe. Ich habe irgendwann nur noch Insulin gespritzt, wenn ich merkte, dass es mir sehr schlecht ging. Gleichzeitig habe ich den Diabetes aber auch genutzt, um den Unterricht in der Schule zu verlassen. Da war er dann eine willkommene Ausrede.

Welche Symptome musstest Du haben, um Dich so schlecht zu fühlen, dass Du doch zum Insulin gegriffen hast?

Das bedeutet schon, dass ich erst Krampfanfälle durch starke Überzuckerungen haben musste, bevor ich reagiert habe. Manchmal hatte ich auch unglaubliche Schmerzen, da sich die Muskeln verhärtet haben. Heute weiß ich, dass das deutliche Anzeichen einer Übersäuerung des Körpers sind. Damals war es für mich nur ein Zeichen dafür, dass ich mal wieder Insulin spritzen sollte. Bei Unterzuckerungen habe ich schnell etwas gegessen. Aber ansonsten habe ich wie ein Nicht-Diabetiker gelebt und auf nichts geachtet. Alle 6 Monate bin ich mal zum Arzt gegangen, um mir auch mein Basalinsulin zu holen. Daher habe ich aus dieser Zeit einige HbA1c-Werte, wenn ich mal einen hab’ machen lassen. Die lagen gerne mal bei 15-17%.

Wann hast Du die ersten Symptome der Folgeerkrankungen bemerkt?

Das war 2002 oder 2003. Also 10 Jahre nach der Diagnose. Ich merkte, dass meine Temperaturempfindlichkeit in den Beinen abgenommen hatte. Ich konnte in heißes oder kaltes Wasser steigen – ich fühlte keinen Unterschied. Da habe ich auch begonnen, mich wieder um meinen Diabetes zu kümmern, da dies für mich ein Weckruf war. Leider viel zu spät. Aber ich habe mir wieder eine Pumpe verschreiben lassen und mich schulen lassen.

Wann hast Du die ersten Veränderungen an den Augen wahrgenommen?

Schon 1998 habe ich eine Verschlechterung der Augen bemerkt. Die ersten Flecken im Sichtfeld tauchten aber erst 2004 auf. Es war, als hätte ich Dreck im Auge, den ich aber nicht rauswischen konnte, und mein Blick war immer etwas milchig, wie ein leichter grauer Schleier. Es war sehr heimtückisch, dass diese schwarzen Punkte zwar nervig waren, aber es tat überhaupt nicht weh. Seitdem ging es mit den Augen stetig bergab. Die Flecken, die in meinem Auge herumschwammen, waren Blut. Das kam von einer Retinopathie in beiden Augen. Schnell folgten die ersten Laseroperationen, die diese Einblutungen stoppen sollten. Leider war es nicht so einfach, dort den passenden Arzt zu finden. Leider hat mir das Lasern unglaubliche Schmerzen bereitet und nicht jeder Arzt führt diese Operation mit Betäubung durch. Irgendwann hatte ich panische Angst vor den Laseroperationen, weil ich die Schmerzen so fürchtete. Erst der Wechsel in ein anderes Krankenhaus half. Dort wurde das Auge vor der Behandlung durch eine Spritze in die Augenhöhle betäubt. Man spürt zwar immer noch etwas, aber es war kein Vergleich zu vorher. Ich habe mich 26 Mal pro Auge dieser Prozedur unterziehen müssen.

Leider halfen Dir die Laser-Operationen nicht wie gewünscht. Welche Maßnahmen wurden dann unternommen?

Mein HbA1c-Wert lag da schon 2 Jahre im 6er-Bereich. Leider war es vermutlich dennoch für meine Augen zu spät, es gab nur etwa ein Jahr lang einen Stillstand, und danach mussten Operationen durchgeführt werden, die etwas umfangreicher sind. Die Standardmethode ist ein Eingriff unter Vollnarkose, bei dem das Auge vollkommen ausgeräumt wird. Das bedeutet, dass auch das ganze Blut, was im Glaskörper schwimmt, entfernt wird. Es wird gereinigt und auch wieder gelasert. Dann werden Gas oder Öl in das Auge gegeben, was der Körper in 3-4 Wochen selber wieder abbaut und durch die eigene Glaskörperflüssigkeit wieder ersetzt. In dieser Zeit nach der OP hatte ich immer einen starken Druck auf dem Auge, ich durfte nur mit hochliegendem Kopf schlafen und hatte starke Kopfschmerzen. Bei den meisten wird das Sehvermögen wieder besser, wenn Öl oder Gas abgebaut werden. Bei mir blieb die Besserung aus, weil es einfach zu spät war.

Wann bist Du dann erblindet?

Ich habe jetzt einige Jahre zusammengefasst, da zwischen den OPs auch immer Zeit vergehen muss und man immer nur ein Auge machen kann. Offiziell blind bin ich erst seit 2016. Das hat aber einen langen bürokratischen Vorlauf, bis man da alles zusammen hat und ich auch die Rente beantragen konnte. Der Zustand ist jedoch schon seit 2013 so. Ich habe je nach Tagesform auf dem einen Auge noch 10-15% Sehkraft. Das bedeutet, dass ich an schlechten Tagen bis ca. einen Meter und an guten Tagen bis zu 3 Metern Entfernung etwas sehen kann. Das kann ich aber mit Anstrengung auch scharf sehen. In dem anderen Auge habe ich eine sehr starke Einschränkung des Sehfeldes. Ich sehe praktisch nur noch einen kleinen Punkt in der Größe einer Stecknadel.

Wie hat Dich die Erblindung beeinflusst?

Ich bin viel langsamer und vorsichtiger in meinem Alltag geworden – gezwungenermaßen. Es hat zudem meinen Bewegungsradius massiv eingeschränkt. Ich kam nicht mehr aus meinem Stadtteil heraus, da ich mich nur noch in einer Umgebung aufhalten konnte, die ich sehr gut kannte. Ich musste sehr viele Aufgaben abgeben und Hilfe annehmen. Schon alleine die Arztbesuche wurden zur Herausforderung. Da bin ich sehr dankbar für meine wunderbare Freundin, die wirklich in guten wie in schlechten Zeiten zu mir gehalten hat. Auch meine Eltern und Freunde haben mich in den letzten Jahren sehr unterstützt. Aber nun ist Kenty seit zwei Monaten bei mir und hat mir so viel Lebensqualität zurückgegeben und ermöglicht mir viele Dinge. Ich kann endlich wieder alleine einkaufen gehen. Das klingt für viele banal, aber einfach, ohne auf jemanden warten zu müssen, in den Supermarkt gehen, das kann ein Stückchen Unabhängigkeit sein. Ich bin viel mehr draußen, unternehme viel mehr, kann wieder am Leben teilnehmen.

Es hat sehr lange gedauert, bis Kenty bei Dir einziehen durfte. Warum?

Ich habe bereits 2014 die Verordnung für einen Blindenführhund bekommen. Wie bei einer Pumpe musste das erst von der Krankenkasse und vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung genehmigt werden. Natürlich folgte ein kleiner Kampf, der aber mit einer Genehmigung endete. Ich hatte dann eine Hundetrainerin, die jedoch in den folgenden zwei Jahren keinen Hund für mich finden konnte. Deswegen wechselte ich zu einer anderen Hundetrainerin. Das bedeutete jedoch auch, dass ich eine neue Verordnung und eine neue Genehmigung der Krankenkasse brauchte. Erst danach konnte mir die neue Trainerin eine Hündin vorstellen. Da passte es aber nicht, die war bei mir einfach stur liegen geblieben und dann wird einem der Hund logischerweise nicht überlassen. Die zweite Hündin lief dann direkt bei der Vorstellung weg. Erst dann kam mein Kenty, mein Kotelett, wie ich ihn liebevoll nenne. Da hat es einfach sofort gepasst. Wir sind seitdem ein Dreamteam.

Was macht Kenty im Alltag für Dich?

Er zeigt mir alles an. Treppen, Bordsteine, Ampeln. Früher musste ich mir das in unbekannten Umgebungen mühsam und sehr vorsichtig erschließen. Nun führt Kenty mich. Nicht alle Bahnstationen sind behindertengerecht. Kenty kann mich sowohl zu einer Bahntür führen oder mir mit dem Kommando „such Lift“ den Aufzug suchen. Auch Höhen kann Kenty mir anzeigen und ich renne nirgends mehr gegen. Durch das Führgeschirr sind wir eng miteinander verbunden. Wenn er stoppt, stoppe ich auch. Ich werde auch von meiner Umwelt anders wahrgenommen durch den Blindenführhund. Ich rempele nicht mehr aus Versehen jemanden an und wenn doch, dann sehen die durch Kenty viel schneller, was los ist. Zu Hause brauche ich ihn aber nicht, dort hat er dann immer Freizeit und liegt wie jeder andere Hund im Weg rum.

Was würdest Du Diabetikern sagen, die Angst vor Folgeerkrankungen haben?

Einfach keine Angst haben, denn es geht immer weiter. Manchmal kann man Folgeerkrankungen nicht verhindern. Einige kümmern sich nie um ihren Diabetes und bekommen nichts. Andere sind wesentlich besser eingestellt, bleiben aber dennoch nicht verschont. Da stecken wir nicht drin. Ich habe richtig Mist gebaut und dementsprechend die volle Breitseite mit der Erblindung abbekommen. Mir fehlte in der Pubertät das warnende Beispiel. Das möchte ich nun für andere sein. Und ich möchte auch zeigen, dass das Leben mit Diabetes und Folgeerkrankungen toll und lebenswert ist. Man hat seine Wehwehchen oder auch Schlimmeres. Aber wenn man sich das einrichtet, kann man das Leben immer noch genießen.

Was wünscht Du Dir für Deine Zukunft mit Diabetes?

Ein langes Leben und keine weitere Verschlechterung. Denn es gibt noch so viel, was ich machen und erleben möchte. Kenty ermöglicht mir das nun und dem wünsche ich natürlich auch ein langes Leben.

 

Wie funktioniert das Auge eigentlich? Was ist eine diabetische Retinopathie?

Kathy hat bereits zwei anschauliche Artikel zu diesem Thema verfasst:

Das Auge im Blick  (Teil 1): Kontrolluntersuchungen sind das A und O

Das Auge im Blick – (Teil 2): Retinopathie und Lasertherapie

 

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