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Harninkontinenz beschreibt die Unfähigkeit, den Urin halten zu können. Mehrere Millionen Menschen in Deutschland sind mehr oder weniger stark harninkontinent; Frauen sind häufiger betroffen. Die Harninkontinenz-Rate nimmt mit dem Alter zu; Bewohner von Alters- und Pflegeheimen sind zu 50 bis 80 Prozent betroffen. Und: Auch bei Diabetikern ist die Quote deutlich erhöht.
Neurologische Erkrankungen wie die Parkinson-Erkrankung und auch der Diabetes sind Risikofaktor für das Auftreten von Harnblasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz. Für die Betroffenen bedeutet dies oft eine enorme Alltagsbelastung und Einschränkung der Lebensqualität – und es ist ein Tabuthema: Viele Betroffene trauen sich nicht, mit Angehörigen oder mit Ärzten darüber zu sprechen. Dies ist umso bedauerlicher, da Harninkontinenz in den meisten Fällen geheilt oder zumindest erheblich gelindert werden kann.
Es gibt nicht die Harninkontinenz, sondern unterschiedliche Formen der Harninkontinenz – für die Behandlung natürlich ganz entscheidend! Bei der Belastungsharninkontinenz schließt der Harnröhrenschließmuskel nur unzureichend. Beim Husten, Pressen oder bei körperlicher Aktivität kommt es dann zu ungewolltem Urinabgang. Bei starker Ausprägung kann es zu einem regelrechten kontinuierlichen Auslaufen der Blase kommen.
Bei der Dranginkontinenz liegt eine Überaktivität der Blasenwand vor. Es kommt zu plötzlich auftretendem, oft ununterdrückbarem Harndranggefühl und eventuell auch Urinabgang. Der eigentliche Blasen- bzw. Harnröhrenschließmuskel kann hierbei völlig intakt sein.
Während bei Frauen im mittleren Lebensalter meist nach mehreren vorausgegangenen Geburten die Belastungsharninkontinenz am häufigsten ist, ist bei alten Patienten eine Dranginkontinenz oder eine Kombination aus beiden beschriebenen Inkontinenzformen am häufigsten.
Angesichts des häufigen Vorkommens der Harninkontinenz und auch des Diabetes in der Bevölkerung ist rein statistisch zu erwarten, dass bei vielen Personen beide Störungen gleichzeitig vorliegen. Der Diabetes selbst kann jedoch maßgeblich an der Entstehung einer Blasenfunktionsstörung oder Harninkontinenz beteiligt sein:
So ist bei schlechter Diabeteseinstellung eine vermehrte Zuckerausscheidung über den Urin möglich – was wiederum zu stark vermehrter Harnausscheidung mit Drangsymptomatik und Dranginkontinenz führen kann. Harnwegsinfekte treten bei Diabetes gehäuft auf und können ihrerseits zu einer Harninkontinenzsymptomatik führen. Wegen des sehr schnell einsetzenden, quälenden Harndrangs bleibt oft nicht genug Zeit, um schnell eine Toilette zu erreichen: Es kommt zur Harninkontinenz.
Andererseits kann es vor allem bei länger bestehendem Diabetes auch zu einer Verschlechterung der Blasenentleerungsfunktion kommen – durch Beeinträchtigung der Harnblasen-Muskelkraft. Erhöhte Restharnmengen nach dem Wasserlassen sind die Folge. Oft liegt hierbei nicht nur eine Störung der feinen Nerven zur Blasenmuskulatur vor, sondern auch eine Beeinträchtigung der Harnblasensensibilität (kein normales Harndranggefühl mehr).
Durch die herabgesetzte Blasenempfindung kann unbemerkt eine chronische Überfüllung der Blase zur weiteren Verschlechterung der Situation führen; es kann dann zur Überlaufblase kommen – mit unkontrolliertem Urinverlust bei ständig stark gefüllter Blase.
Der erste Schritt liegt beim Betroffenen selbst: Suchen Sie Hilfe und sprechen Sie den Arzt Ihres Vertrauens auf die Problematik an! Angesichts der unterschiedlichen Formen und Ursachen der Inkontinenz stehen genaue Befragungen und Untersuchungen zur Klärung der Befundsituation an erster Stelle. Mit einem Miktionstagebuch können Blasenentleerungszeitpunkte, Miktionsmengen, Trinkmengen sowie Phasen einer Harninkontinenz dokumentiert werden.
Liegt ein Harnwegsinfekt vor – der ja auch Inkontinenzbeschwerden hervorrufen kann –, sollte frühzeitig eine testentsprechende Behandlung mit Antibiotika erfolgen.
Bei komplexen Funktionsstörungen der Blase und Inkontinenz wird häufig eine weitere urologische Diagnostik mit Harnblasen-Druckmessung und Harnblasen-Spiegelung erforderlich. Nur so kann die Ursache weiter eingegrenzt und können andere Ursachen bis hin zum Harnblasentumor ausgeschlossen werden.
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Grundsätzlich sollten Sie regelmäßig und ausreichend trinken. Eine zu geringe Trinkmenge verstärkt die Neigung zu Harnwegsinfekten und kann die Nierenfunktion und die Harninkontinenz verschlechtern.
Da bei gestörtem Blasengefühl ein eigentliches Harndranggefühl oft verspätet oder gar nicht auftritt, ist ein regelmäßiges Wasserlassen etwa alle 3 bis 4 Stunden sinnvoll. Das Wasserlassen selbst sollte ohne Zeitdruck und unter bewusstem Entspannen des Beckenbodens erfolgen.
Dickleibigkeit ist ein wichtiger Risikofaktor für Harninkontinenz. Daher muss stärker übergewichtigen Personen mit Harninkontinenz eine kontrollierte Gewichtsreduktion nahegelegt werden.
Aktives Training der Beckenbodenmuskulatur mit Anspannungs- und Entspannungsübungen (s. Abb. 2) kann eine Besserung der Inkontinenz und eine Beherrschung der Drangsymptomatik bewirken – unter Einbeziehung eines Verhaltenstrainings.
Bei weiblicher Belastungsharninkontinenz ist mit gezieltem Beckenbodentraining bei vielen eine deutliche Minderung des ungewollten Urinverlusts möglich bis hin zur kompletten Kontinenz. Bei männlicher Harninkontinenz nach radikaler Prostataentfernung kann mit Beckenbodentraining eine schnellere Wiederherstellung der Harnkontinenz nach der Operation erreicht werden.
Grundsätzlich sollte zunächst überprüft werden, ob eine medikamentöse Behandlung von Begleiterkrankungen wie Herzinsuffizienz, Bluthochdruck oder Diabetes optimiert werden muss – denn diese Erkrankungen und deren Behandlung können eine Inkontinenz deutlich verschlechtern. Bei vermehrter Drangsymptomatik oder Dranginkontinenz ist eine medikamentöse Behandlung mit Anticholinergika möglich.
Diese Medikamente beeinflussen die Wirkung von nervenvermittelten Botenstoffen an der Blasenwand; mit einer Hemmung dieser Botenstoffaktivität kommt es zu einer verminderten Kraftentwicklung und Empfindlichkeit der Harnblasenmuskulatur. Hierdurch kann meist eine deutliche Linderung oder Heilung der Drangsymptomatik/-inkontinenz erreicht werden sowie eine Verringerung der Häufigkeit der Toilettengänge.
Allerdings kann es durch die Schwächung der Harnblasenmuskulatur zur unvollständigen Entleerung der Harnblase mit Erhöhung der Restharnmengen kommen. Daher sollten unter Einnahme dieser Medikamente regelmäßig mit Ultraschall die Restharnmengen kontrolliert werden.
Diese Medikamente wirken meist gut auf das Blasenproblem, und sie haben eher milde Nebenwirkungen: Mundtrockenheit, Darmträgheit mit Verstopfungsneigung, Hitzegefühl im Gesicht sowie leichte Sehstörungen. Teils treten auch eine vermehrte Müdigkeit und Verschlechterung des Gedächtnisses auf sowie Herz-Kreislauf-Veränderungen.
Bei erhöhtem Augeninnendruck und vorausgegangenem Glaukom (grünem Star) dürfen die Medikamente nicht eingesetzt werden – der Augeninnendruck könnte sich weiter erhöhen.
Ist die Wirkung dieser Medikamente unzureichend oder treten störende Nebenwirkungen auf, besteht die Möglichkeit einer Behandlung der Blasenstörung mit direkter Injektion von Botulinum-Toxin in die Blasenwand; diese Behandlung sollte nur an speziellen Zentren erfolgen, da das Medikament für die Anwendung in der Urologie bislang nur für die Überaktivität der Blase bei neurologischen Erkrankungen zugelassen ist.
Bei diesem operativen Eingriff wird über eine Blasenspiegelung das Medikament mit einer langen Kanüle unter Sicht an mehreren Stellen in die Blasenwand gespritzt. Das Medikament führt zu einer je nach Dosis mehr oder weniger ausgeprägten Lähmung der Blasenwand und somit zu einem Rückgang der Dranginkontinenz. Nach 6 bis 9 Monaten kommt es meist wieder zu einer Abnahme der Wirkung, so dass weitere Injektionsbehandlungen erforderlich werden können.
Für die medikamentöse Behandlung der weiblichen Belastungsinkontinenz (unzureichender Verschluss des Kontinenzapparats) ist das Medikament Duloxetin zugelassen; die Nerven, die den Schließmuskel versorgen, werden hier vermehrt stimuliert – Inkontinenzepisoden werden weniger.
Jedoch trat in Studien bei 25 Prozent der Patientinnen eine vermehrte Übelkeit auf. Und beim abrupten Absetzen der Substanz wurden depressive Phasen beobachtet – dies führte dazu, dass das Medikament nur noch selten für eine längerfristige Therapie eingesetzt wird.
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Hilft eine Operation? Das hängt sehr von der individuellen Befundkonstellation ab. Bei großem Leidensdruck und nach Ausreizung der nichtoperativen Maßnahmen sollten Sie mit Ihrem Arzt überlegen, ob eine operative Behandlung sinnvoll ist.
Idealfall: In vertrauensvollen Arzt-Patienten-Gesprächen werden Sie umfassend über mögliche Operationsmethoden informiert – und Sie bekommen eine Einschätzung der Chance auf einen Behandlungserfolg sowie gegenübergestellt die Risiken.
Für Diabetiker besteht für alle operativen Eingriffe ein leicht erhöhtes Risiko für Infektionen oder Wundheilungsstörungen – trotzdem muss eine operative Therapie in der Regel nicht vorenthalten werden. Eine stabil eingestellte Stoffwechsellage vor der Operation ist hier wichtige Voraussetzung.
Bei weiblicher Belastungsharninkontinenz und unzureichendem Erfolg mit Beckenbodentraining kann geprüft werden, ob eine überbewegliche Harnröhre als Ursache für die Inkontinenz vorliegt. Hier kann die Harnröhre mit einem kleinen vaginalen Eingriff und spannungsfreier Einlage eines schmalen Kunststoffnetzbandes stabilisiert werden.
Mit diesen heute häufig durchgeführten Operationsverfahren wurden Kontinenzraten von über 80 Prozent noch nach 5 Jahren erzielt. An Risiken sind vor allem zu nennen eine eventuelle Überkorrektur mit Verschlechterung des Wasserlassens sowie eine neu auftretende Drangsymptomatik bei 5 bis 10 Prozent der Patientinnen.
Ist das Narkoserisiko altersbedingt oder aufgrund von Begleiterkrankungen zu hoch oder sind mehrere Voroperationen ohne großen Behandlungserfolg vorausgegangen, bietet sich bei manchen Patientinnen ein noch kleinerer Eingriff unter örtlicher Betäubung an: die Harnröhrenunterspritzungsbehandlung.
Über ein Harnröhrenspiegelungs-Instrument spritzt man hier mit einer langen Injektionsnadel mehrere Depots einer unterpolsternden Substanz unter die Harnröhrenschleimhaut, um so eine Einengung der Harnröhre mit Verbesserung der Kontinenz zu erreichen.
Hauptnachteil dieser eigentlich einfachen Methode ist, dass der anfängliche Behandlungseffekt durch Abflachung oder biologischen Abbau der gängigen Polstersubstanzen nach wenigen Monaten wieder nachlässt, so dass schon bald Wiederholungseingriffe erforderlich werden. Eine dauerhafte Heilung der Inkontinenz allein mit dieser Maßnahme ist also leider bislang nicht möglich.
Häufigste Ursache der Belastungsharninkontinenz des Mannes ist eine vorausgegangene Operation der Prostata – z. B. die radikale Entfernung der Prostata bei Prostatakrebs.
Bei Männern mit Diabetes mellitus erholt sich die Kontinenz nach einer solchen Operation schlechter als bei Nichtdiabetikern: Bleibt trotz konservativer Maßnahmen mit Beckenbodentraining eine wesentliche Besserungstendenz aus, sollten Sie – wenn weiterhin ein Leidensdruck wegen Inkontinenz besteht – spätestens ein Jahr nach der Operation umfassend urologisch über die weiteren Behandlungsmöglichkeiten beraten werden. Als Alternative zu absorbierenden Vorlagen kommt dann prinzipiell nur ein operatives Vorgehen in Frage.
Bleibt es bei der stärkeren Harninkontinenz nach radikaler Prostataentfernung, so besteht die Möglichkeit der Implantation eines künstlichen Schließmuskels (s. Abb. 3): Bei dem über Jahrzehnte etablierten und optimierten Verfahren wird operativ eine mit Flüssigkeit befüllbare Verschlussmanschette um die hintere Harnröhre eingebracht. Ein in das Becken oder die Bauchhöhle implantierter Druckballon bewirkt über ein Schlauchsystem einen permanenten Verschluss der Harnröhrenmanschette.
Nur zum Wasserlassen muss man eine im Bereich des Hodensacks tastbare Pumpe betätigen, was eine Öffnung der Verschlussmanschette bewirkt. Der erneute Verschluss der Harnröhrenmanschette nach dem Wasserlassen erfolgt automatisch.
Die Operation dauert rund eine Stunde und kann mit unterschiedlichen modernen Implantationstechniken durchgeführt werden. Die Eingriffe sollten nur an speziellen urologischen Zentren mit viel Erfahrung auf dem Gebiet erfolgen. Die Langzeitergebnisse zeigen sehr gute Kontinenzraten von 80 bis 85 Prozent noch nach 5 Jahren; die Patientenzufriedenheit liegt bei 90 Prozent.
Im Gegensatz zum künstlichen Schließmuskel, bei dem eine aktive Öffnung des Systems zum Wasserlassen möglich ist, wird mit der Implantation einer Schlinge aus synthetischem Material unter der Harnröhre eine permanente Veränderung der Harnröhrenverhältnisse bewirkt. Die Methode verbreitet sich stark innerhalb der letzten 5 Jahre: Bei leichter bis mittlerer Harninkontinenz kann hierdurch bei vielen Patienten eine Heilung oder Besserung erzielt werden.
Der operative Aufwand ist etwas geringer als bei der Einbringung eines künstlichen Schließmuskels. Die Patienten müssen sich bis zur vollständigen Einheilung der Schlinge für ca. 6 Wochen nach dem Eingriff körperlich schonen. Bei Überkorrektur kann es zur Verschlechterung des Wasserlassens kommen. Bei unzureichendem Erfolg nach Schlingenimplantation kann bei Bedarf später noch ein künstlicher Schließmuskel implantiert werden.
Harninkontinenz ist ein häufiges und oft stark beeinträchtigendes Problem. Komplizierende Faktoren wie der Diabetes können das Risiko für Blasenfunktionsstörungen und Harninkontinenz erhöhen. Es gibt unterschiedliche Störungsformen und Ursachen der Harninkontinenz, so dass zuerst eine exakte Diagnostik sein muss, bevor dann die Einleitung einer individuellen Behandlung erfolgt.
Die medikamentöse Behandlung hat vor allem bei Harnblasen-Hyperaktivität Erfolg. Führen konservative Behandlungsmethoden der Belastungsinkontinenz nicht zum Erfolg, sollten Sie mit Ihrem Arzt bei entsprechender Befundlage auch die Option einer operativen Therapie besprechen. Heute gibt es effektive Operationsmethoden zur Behandlung der Harninkontinenz. Spezielle Kontinenzzentren bieten moderne Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie die fachurologische Betreuung nach operativen Behandlungen an. Wichtigstes Ziel der Behandlung ist die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten.
Kontakt:
Leiter des Kontinenzzentrums am Universitätsklinikum Freiburg, Urologische Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik, Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (3) Seite 26-31
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