Mit dem Diabetes durch die Pubertät

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Mit dem Diabetes durch die Pubertät

Man kann es einfach nicht beschönigen: Die Pubertät war für mich und auch für meinen Diabetes eine schwere Zeit. Selbst meine Mama sagt heute: „Das war die schwerste Zeit in meinem Leben.“ Ja, ich war wirklich nicht einfach. Heute, mit zunehmendem Alter, etwas mehr Weitsicht und mehr und mehr Zeit, die vergeht, kann ich mir das offen und ehrlich eingestehen. Im Prinzip könnte man fast über meine pubertären Eskapaden lachen, wenn einige nicht sogar fast lebensgefährlich gewesen wären.

Diabetes? Halb so wild!

Aber mal von Anfang an. Als ich die Diagnose Typ-1-Diabetes bekam, war ich 10 Jahre alt, noch ein Kind. Da mein großer Bruder ebenfalls Typ-1-Diabetes hat, wusste ich ungefähr, was auf mich zukommt. Zumindest war der Diabetes in keiner Weise angsteinflößend. Ich sah all das eher als Abenteuer. Schließlich war mein Bruder in meinen Augen ein ganz normaler, gesunder junger Mensch, der mitten im Leben stand. 

Mit Trotz und Hormonchaos durch die Pubertät

Quelle: Lisa Schütte

Das an der ganzen Diabetes-Sache doch etwas mehr dran ist als Spritzenaufziehen und sich in den Finger zu piksen, wurde mir erst in der Pubertät bewusst. Als die Hormone anfingen, ihre Arbeit zu leisten, wurde mein Diabetes schwer einstellbar. Es folgten eine Reihe Arztbesuche, Insulinwechsel, Versuche mit neuen Therapiemöglichkeiten und Krankenhausbesuche zur Neueinstellung.

Fand ich es vorher noch ziemlich cool, wie ein Arzt meine Spritzen aufzuziehen und andere mit meinen Blutstropfen zu beeindrucken, so wollte ich in der Pubertät nur noch eins sein: normal!

Na gut, ich wollte schon irgendwie auffallen, aber nicht, weil ich krank oder vielleicht sogar eingeschränkt sein könnte. So tauschte ich Blutzuckermessgerät und meinen Pen gegen knallbunte Haare und Springerstiefel. Ja, richtig gehört. Irgendwann blieb mein Blutzuckermessgerät einfach zu Hause. Ich testete meinen Blutzucker in der Schule kaum noch. Und auch das Spritzen wurde in der Öffentlichkeit immer weniger. Mit der Zeit verlor ich immer mehr das Interesse an meinem Diabetes. Ich hatte auf den Diabetes genauso wenig Lust wie auf die Schule. Wie meine Klassenkameraden wollte ich unbeschwert auf Partys und Konzerte gehen. Keine Lust, über so ernste Themen wie Diabetes nachzudenken. Dass das gefährlich werden kann, brauche ich euch wohl nicht zu verraten.

„Ihr versteht mich nicht!“

Quelle: Lisa Schütte

Auch meine Eltern und Ärzte merkten immer mehr, dass ich abdriftete. Ständig versuchten meine Eltern, wieder einen Zugang zu finden – etwas mehr Kontrolle über ihr Kind zu bekommen. „Wie sind deine Werte?“, war wohl die häufigste Frage meiner Eltern und die, die mich so richtig aggressiv werden ließ. Patzig antwortete ich stets: „Die sind gut…“, und verließ schnell den Raum. „Aber du riechst nach Aceton!“ „Das kann gar nicht sein!“ Und schon wieder war ich weg. Meine Eltern fühlten sich hilflos. So hilflos, dass sie mich jede Oster- und Herbstferien auf Diabetesfreizeiten oder zur Neueinstellung ins Krankenhaus schickten. Doch da fanden die Ärzte genauso wenig einen Zugang zu mir. Natürlich machte ich die zwei Wochen genau das, was erwartet wurde, nur, um zu Hause sofort wieder in alte Muster zurückzufallen, auf den Kopf war ich schließlich nicht gefallen. Ich wollte eben nur meine Ruhe.

Dass auch meine Blutzuckertagebücher gefälscht waren, war meinen Ärzten und Eltern ebenfalls bewusst. „Die Werte stimmen überhaupt nicht mit deinem HbA1c-Wert überein“, der Ärger beim Diabetologen war wirklich groß. Trotzdem fälschte ich weiter meine Werte und ließ mir weder von Eltern noch von Ärzten etwas sagen. „Lebt ihr erstmal mit dieser * Krankheit! Da könnt ihr noch so viel studiert und gelesen haben… ihr wisst nicht, wie es ist, damit zu leben!“

Ich sage ja, ich war damals sehr melodramatisch, aber im Prinzip war es genau das, was ich fühlte: unverstanden und weniger wichtig, denn immer ging es nur um den Diabetes und meine Werte, aber nie um mich oder meine Gefühlswelt. Ich hatte auf gut Deutsch damals die Schnauze einfach voll.

Meine Ablehnung ging so weit, dass ich mit 18 Jahren, als ich endlich alleine zum Arzt fahren konnte, nicht mehr hinfuhr. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ich endlich einsehen konnte, dass mein Verhalten für lange Zeit sehr selbstzerstörerisch war. Um wirklich gut und so normal wie möglich leben zu können, darf ich meinen Diabetes nicht ignorieren. Nein, ich muss ihn therapieren und in meinen Alltag integrieren. All das musste ich von Neuem lernen, auch musste ich lernen, meinen Diabetes wieder als einen Teil von mir zu akzeptieren – und ich brauchte dringend einen neuen Arzt.

„Du bist nicht alleine!“

Quelle: Lisa Schütte

All das habe ich in die Hand genommen und bin heute nicht nur mit mir selbst, sondern auch mit meinem Diabetes im Reinen. Ich denke, solche Trotzphasen können jedem passieren. Besonders in der Pubertät. Die ist auch ohne Diabetes schon oft eine schwere Zeit, mit einer chronischen Krankheit wird es nun mal nicht leichter. Aber es wird leichter, wenn man seinen Diabetes akzeptiert und auf ihn und den eigenen Körper achtgibt. Aber das Allerwichtigste, das ich gelernt habe: Ich bin nicht alleine. So wie mir geht es ganz vielen da draußen. Da gibt es Menschen, die mich verstehen, die sich mit mir austauschen und dir mir zeigen: Du bist ganz normal. Auch die schlechten Phasen sind ganz normal. Hier ist niemand schwach, weil er mal eine Pause vom Diabetes benötigt. Hier ist niemand verrückt, weil er manchmal genervt vom Diabetes-Alltag ist.


Diabetes in der Pubertät (Podcast) – Über das Thema Pubertät hat Lisa auch schon einmal im Podcast mit Ramona gesprochen!

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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