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Bislang habe ich meinen Diabetes immer allein gut managen können, nicht einmal unmittelbar nach meiner Diagnose habe ich auch nur eine Nacht im Krankenhaus verbracht. Darüber bin ich auch ganz froh, denn nach allem, was ich so höre und lerne, müssen Diabetiker im Krankenhaus mit dem Schlimmsten rechnen.
Diabetes ist eine Volkskrankheit. Also stelle ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn gern vor, dass Ärzte deshalb unabhängig von ihrer Fachrichtung zumindest ganz grob darüber Bescheid wissen. Zum Beispiel darüber, was der Unterschied zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes ist. Oder – nur so ganz grob – dass bei einer Hypoglykämie Zucker gegeben werden muss und bei einer Hyperglykämie Insulin. Und nicht etwa umgekehrt. Nach allem, was ich so höre und lese, ist das allerdings ein Trugschluss. Vor allem, wenn ein Diabetiker ins Krankenhaus muss, scheint häufig eine ganze Menge schiefzugehen.
So konnte ich vor einer Weile in einer Facebook-Gruppe die Geschichte einer Typ-1-Diabetikerin lesen, die schwanger war und zur Entbindung ins Krankenhaus ging. Sie hatte vorab mit den Zuständigen im Krankenhaus genau abgesprochen, dass ihr Ehemann im Kreißsaal ihren Blutzucker managen würde, sofern sie es selbst nicht mehr tun könnte. Alle einverstanden, alles dokumentiert, niemand wollte bei ihrem Diabetesmanagement dazwischenfunken. Als es dann während der Geburt nicht so recht voranging, bekam sie ein Wehenmittel über ihren intravenösen Zugang. Das Wehenmittel enthielt Glukose, ihr Blutzucker entgleiste, das Kind musste per Kaiserschnitt geholt werden. Es war zwar letztlich alles glimpflich ausgegangen, Mutter und Kind waren wohlauf – doch mal ehrlich, so ein Mist muss doch nun wirklich nicht sein?
Was ist drin im Tropf? Und was macht das mit meinem Zucker? Berechtigte Fragen, wenn man mit Diabetes ins Krankenhaus muss (Foto: Pixabay)
Die Kommentare auf diese Geschichte, in denen andere Gruppenmitglieder von ihren Erfahrungen im Krankenhaus berichteten, machten mir leider wenig Hoffnung, dass dies ein besonders tragischer Einzelfall war: Da hatten Pflegekräfte gemutmaßt, dass man bei einer Unterzuckerung schnell Insulin spritzen sollte. Oder es hatten Chefärzte herrisch darauf bestanden, dass die Insulinpumpe abgenommen werden und der Blutzucker vom Pflegepersonal gemanagt werden muss – obwohl dieses Personal für diese Aufgabe offenbar überhaupt nicht qualifiziert war. Von undefinierbarem Krankenhausessen, dessen Kohlenhydratgehalt sich kaum abschätzen lässt, einmal ganz zu schweigen.
Ihr merkt es schon, ich regte mich ziemlich auf, als ich diese Geschichte und die Kommentare dazu las. Und beschloss, dass mir so etwas nie, nie, nie passieren soll, sollte ich einmal wegen irgendeiner unvermeidlichen Sache im Krankenhaus landen. Ich sprach mit meinem Mann Christoph, der sich bis dato aus meinem ganzen Gemesse und Gespritze ziemlich herausgehalten hatte. Er hatte ab und zu schon einmal meinen Blutzucker gemessen und auch gelegentlich spaßeshalber mit mir Kohlenhydrate geschätzt und mitgerechnet – beim Rechnen macht ihm als Ingenieur auch so schnell keiner etwas vor. Aber er hatte mir noch nie Insulin gespritzt oder Messwerte in mein mySugr-Tagebuch eingetragen.
Nun musste er mit mir also üben. Ich fand es erstaunlich, wie viel Scheu er noch hatte, mir die Penkanüle in den Bauch zu stechen, obwohl er es doch nun unendlich viele Male gesehen hatte und wusste, dass es nicht wirklich weh tut. Doch nach ein paar Mal klappte es gut. Außerdem musste er mir hochheilig versprechen, dass er im Falle eines Krankenhausaufenthaltes, wenn ich nicht mehr selbst dazu in der Lage sein sollte, ganz genau aufpassen würde, was das Krankenhauspersonal mit mir anstellt und wie sich das auf meinen Blutzucker auswirkt. Ich rechne zwar nicht damit, dass ich mich eines Tages noch einmal als Hauptperson im Kreißsaal wiederfinde, aber es sind ja auch andere Dinge denkbar, wegen derer ich z. B. auf einem OP-Tisch landen könnte. Situationen, in denen Ärzte schnell mal entscheiden, mir dies oder jenes intravenös durch den Katheter zu jagen, damit ich den Tag besser überstehe. Christoph hat den Auftrag, bei jedem Medikament nachzubohren, ob man darüber nachgedacht hat, was es möglicherweise mit meinem Zucker macht. Nachdem er mir dieses Versprechen gegeben hatte, war mir ein bisschen wohler.
Christoph soll genau nachfragen, was da hindurch in meine Vene fließen soll. Sicher ist sicher… (Foto: Pixabay)
Inzwischen hat sich auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) des Themas angenommen. Sie vergibt neuerdings das Zertifikat „diabetesgerechtes Krankenhaus“ an Kliniken, die in Sachen Diabetesmanagement über alle Fachabteilungen hinweg bestimmte Mindeststandards einhalten. Allerdings steht die DDG mit ihren Bemühungen noch ziemlich am Anfang, wie ich beim letzten DDG-Kongress in Berlin lernen durfte. Auf der Internetseite der DDG findet man bundesweit erst 42 entsprechend zertifizierte Kliniken. Es gibt zwar noch ein paar weitere Zertifikate, die von der DDG an Kliniken erteilt werden, die eine bestimmte Mindestanzahl von Diabetikern behandeln und auch entsprechend qualifiziertes Personal dafür vorhalten. Aber insgesamt haben offenbar (Stand 2015) über 1.600 von knapp 2.000 Krankenhäusern in Deutschland kein klares Konzept, was ihren Umgang mit Diabetikern angeht – und das, wo mittlerweile etwa 30 Prozent aller Krankenhauspatienten einen Diabetes haben.
Interessant für Menschen mit Diabetes, die ins Krankenhaus müssen, sind auch die Kliniken, die dem BVKD (Bundesverband Klinischer Diabetes-Einrichtungen) angehören. Die Mitgliedskliniken verpflichten sich, bestimmte Qualitätskriterien einzuhalten – beispielsweise bei geplanten Operationen den Blutzucker genau im Blick zu behalten und bei Bedarf einen Diabetologen dazu zu schalten.
Der Diabetologe Dr. Philipp Hoffmann hat in seinem Krankenhaus, dem Sankt Gertruden Krankenhaus Berlin, viel geduldige Überzeugungsarbeit in allen Abteilungen leisten müssen, bis die Klinik im Februar 2016 das DDG-Zertifikat im Empfang nehmen konnte. „Anfangs wurden diabetesrelevante Laborwerte nicht routinemäßig erhoben, zum Teil wurde ihre Sinnhaftigkeit sogar in Frage gestellt“, erinnerte er sich an den Beginn seiner Mission. „Insulin wurde nicht für alle sichtbar gelagert, der Diabetes war als mögliche Begleiterkrankung einfach nicht präsent.“ Entsprechend unsicher seien seine Kollegen aus den anderen Abteilungen bei Hypo- oder Hyperglykämien meist gewesen.
Mittlerweile hat Dr. Hoffmann im gesamten Haus Insuline ausgemistet und sortiert, einen neuen großen Kühlschrank nur für Insulin gut sichtbar im Flur aufgestellt, Schulungen für die Pflegedienstleitungen eingeführt und durchgesetzt, dass jede Station über ein Hypo-Notfallset verfügt. Patienten dürfen ihre Insulinpumpen auch bei operativen Eingriffen behalten und selbst managen, im Intranet des Krankenhauses sind automatische Tabellen mit Korrekturschemata hinterlegt. Außerdem können die Kollegen der anderen Stationen jederzeit einen Diabetologen um Rat fragen – und nutzen diese Möglichkeit mittlerweile wohl sogar: „Inzwischen akzeptieren auch die Chirurgen, dass es ab einem bestimmten HbA1c-Wert sinnvoller ist, nicht zu operieren oder erst einmal mit einem Diabetologen zu beratschlagen“, erzählte der junge Oberarzt.
Mir war Dr. Hoffmann sehr sympathisch. Er erzählte ganz ruhig und immer wieder mal mit einem Augenzwinkern von der schwierigen Mission, sein Krankenhaus diabetesgerecht zu machen. Und wenn es Menschen wie ihn in vielen Krankenhäusern gibt, dann besteht vielleicht Hoffnung, dass in Zukunft tragische Geschichten wie die bei Facebook geschilderte nicht wieder vorkommen. Dann könnte Christoph mich auch beruhigt dem Krankenhauspersonal anvertrauen, sollte ich einmal aus irgendeinem Grund in die Klinik müssen.
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