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Heute ist Muttertag. Ich kann meine Mutter aber nicht besuchen, sie nicht anrufen, ihr keine SMS oder Mail schicken. Denn ich bin gerade in einem buddhistischen Kloster namens „Kopan“, nördlich von Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. In diesem rund 50 Jahre alten und auf etwa 1.500 Metern spektakulär gelegenen Kloster mit weitem Blick auf das Kathmandu-Tal leben knapp 400 Mönche. Und derzeit ein paar Interessierte aus aller Welt. Inklusive mir.
Für mein 10-tägiges Retreat, in dem ich den Buddhismus kennenlernen und „ausprobieren“ will, entsage ich vielem – so sehen es die Klosterregeln vor: Handy, Büchern (die sich nicht mit Buddhismus beschäftigen), iPod oder sonstiger Musik und über lange Phasen auch dem Reden. Meine Insulinpumpe und mein FreeStyle-Libre-Lesegerät habe ich behalten. Klar.
Da mein Smartphone kurz vor meiner Abfahrt in Richtung Kloster kaputtging (ein Zeichen?), hatte ich a) kein Problem damit, es abzugeben, und b) nutze ich daher zum ersten Mal die Alarm-Funktion des FreeStyle-Libre-Lesegeräts, die eigentlich ans Blutzuckermessen erinnern soll … als Wecker. Die morgendliche Glocke um 6 Uhr kann ich nämlich überhaupt nicht von den vielen ab 5 Uhr bimmelnden Glocken im Tal unterscheiden. Die regelmäßigen Essenszeiten und das (fantastische) oft ähnliche Essen gefallen meinem Zucker. Selten ist seine Kurve so stabil gewesen. Vielleicht gefällt ihm ja auch die Auszeit an sich.
Lehrmeister in Dankbarkeit und Demut
Rückblick: Vor einer Woche bin ich in Nepal gelandet. Das Ankommen dauerte etwas wegen der unzähligen Eindrücke, die sofort auf mich einprasselten und die so anders sind als die ruhige Welt hier oben in Kopan: viele, viele Menschen, Kühe, Taxis, Rikschas, Motorroller, Autos – alles auf engstem Raum in kleinen Gassen. Dazu exotische Gerüche, Sprachen und Geräusche – beeindruckend. Aber auch ein guter Lehrmeister in Dankbarkeit und Demut.
Mein zweiter Tag in Nepal war Buddhas 2.561ster Geburtstag – ein großer Feiertag. (In Nepal gibt es übrigens mehr Feier- als Tage im Jahr.) Mit einem Engländer, den ich am Tag zuvor zufällig kennengelernt hatte, besuchte ich an diesem Tag den Boudanath-Stupa, eine der bedeutendsten Stätten des Buddhismus im Land, Weltkulturerbe und pünktlich zu den bunten und lauten Feierlichkeiten nach dem Erdbeben vor zwei Jahren wieder restauriert. Auf dem Fußweg zurück entdeckte ich zufällig eine Apotheke. Gar nicht so einfach bei den zahlreichen Läden, Ständen, Schildern und tiefhängenden Stromkabelknäueln. Interessehalber habe ich dort nach Insulin gefragt. Die Antwort des Verkäufers – mit einem Lächeln, wie um mir klarzumachen, wie albern meine Frage ist: „Insulin? No, we don’t have!“ Das Leben als Diabetiker ist hier definitiv eine größere Herausforderung als in Europa. Wie groß diese tatsächlich ist, erfahrt ihr demnächst im Diabetes-Journal, wo mein Interview mit einer nepalesischen Endokrinologin erscheinen wird, die eine Diabetes-Praxis in Kathmandu betreibt.
Ich habe wie immer auf Reisen (mehr als) genügend Ampullen NovoRapid dabei – gekühlt in einer Frio-Tasche. Im Juni beginnt die Regenzeit, aktuell ist es mit 30 Grad drückend heiß, gelegentlich kündigt ein gewaltiger Schauer die kommende Zeit bereits an. Ausnahmsweise kühle ich mein Insulin dieses Mal durchgehend mit dem Frio-System und setze nicht (sofern vorhanden) auf Kühlschränke in meinen Unterkünften. Denn der Strom fällt hier auch mal aus – wie etwa während meines nepalesischen Kochkurses. Dank Gaskocher und Kerzen konnten wir unsere „Thukpa“ (Suppe), das „Chicken Curry“ mit Spinat und „Dal Bhat“ (Reis mit Linsen – das nepalesische Nationalgericht) sowie unseren „Carrot Pudding“ (sensationell!!) trotzdem kochen und genießen.
Zurück ins Kloster. Laut buddhistischer Weltanschauung kommen alle unsere Probleme von uns selbst, sind „Karma“, also durch Taten in früheren Leben vorbestimmt. Auch chronische Krankheiten wie Diabetes. Keine Folge ohne Ursache. Ich habe mit unseren „Geshes“ (buddhistische Lehrer) darüber diskutiert: Bin ich etwa selbst schuld an meinem Diabetes?? Demnach geht es nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, sein Schicksal zu akzeptieren. Die Reaktionen in diesem Leben entscheiden dabei über das aktuelle Karma und damit das nächste Leben. In den Grundzügen – was das Ergebnis betrifft, stimme ich zu: Den Diabetes zu akzeptieren ist, wichtig, Selbstmitleid hilft nicht. Viel Input, über den es sich zu meditieren lohnt.
Apropos „meditative Ruhe“: In den langen Stunden des Unterrichts, der Meditationen, der Fragerunden an jedem von 6 bis 21 Uhr durchgetakteten Tag ist es meine Horrorvorstellung, dass der mylife Omnipod auf einmal piept und die Ruhe stört. Ich habe versucht, alle Alarmtöne zu deaktivieren. Und genauer als sonst habe ich daher auch das Ende eines jeden Pods im Auge.
Ein Blick ins Tal: Ein Flugzeug rauscht mit gebührendem Abstand, aber fast auf Augenhöhe vorbei und setzt zum Landeanflug am nahegelegenen Flughafen an – so hoch sind wir hier. Noch 20 Minuten bis zur nachmittäglichen „Diskussionsgruppe“. Wir sind 12 Leute aus 10 verschiedenen Nationen. Noch ein Ansatz, der mir im Buddhismus gefällt: Kritische Fragen und eine offene Diskussion sind willkommen. Heute werden wir über Wiedergeburt und Karma debattieren. Bestimmt auch über Mitgefühl – das zentrale Element für Buddhisten.
Meine Mutter hat übrigens doch noch mein „Mitgefühl“ zum Muttertag erhalten – in Form von elektronischen Grüßen und einer echten physischen Karte, die ich beide bereits vor meinem Abflug nach Nepal geschrieben und für einen Versand am 14. Mai vorprogrammiert habe … Namaste!
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