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Behandlung des Typ-2-Diabetes: Noch vor wenigen Jahren war ausschließlich die Rede von Insulin, Metformin und Sulfonylharnstoffen. Heute gibt es eine Vielfalt an Medikamenten, Wirkstoffen, Forschungen. Wir stellen sie vor.
Wer heute Typ-2-Diabetes hat, der darf im Idealfall mit einer auf ihn zugeschnittenen Therapie rechnen.Die Anforderungen an eine moderne Therapie des Diabetes mellitus haben sich in den vergangenen 10 Jahren gewandelt – heute sollte die Diabetestherapie weit über die Blutzuckersenkung hinaus eine Reihe weiterer Anforderungen erfüllen:
Das Anforderungsprofil für eine Therapie des Typ-2-Diabetes ist somit viel anspruchsvoller geworden. Die Auswahl der Medikamente sollte zielgerichtet sein – nur so kann die bestmögliche Therapie für jeden einzelnen Patienten erreicht werden. Es kann dabei keine Universaltherapie definiert werden: Das am besten geeignete Medikament oder die richtige Medikamentenkombination muss für jeden individuell gefunden werden.
Im Verlauf der Erkrankung sollte die Therapie regelmäßig überprüft und hinterfragt werden; Medikamentenumstellungen und Intensivierungen der Therapie sind hierbei nicht ungewöhnlich. Es besteht heute weitgehend Übereinstimmung, dass eine bestmögliche Therapie von Beginn der Erkrankung an der beste Garant für das Vermeiden von Diabetesfolgen ist.
Wir stellen die verschiedenen Tabletten (oralen Antidiabetika) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes vor. Die Abbildung auf Seite 28 zeigt, wo die verschiedenen Substanzklassen ansetzen, um den Blutzucker zu senken.
Viele Diabetiker hören zunächst, dass sie sich gesund ernähren sollen, am besten Gewicht abnehmen und je nach Möglichkeit sich mehr bewegen sollen. Wenn das alles keine Erfolge bringt, wird häufig Metformin (Diabesin, Glucophage, Mediabet u. a.) als erstes Medikament zur Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt.
Metformin verbessert die Wirkung des körpereigenen Insulins, indem es die bei Typ-2-Diabetikern meist vorliegende Insulinresistenz verringert; hierbei wird vor allem die Glukoseneubildung und -freisetzung aus der Leber unterdrückt. Die Muskeln sprechen besser auf Insulin an. Daher kann mehr Glukose aus dem Blut in die Muskeln geschleust und dort verwertet werden.
Im Darm wird der Übertritt von Glukose aus der Nahrung ins Blut gehemmt. Das Risiko für Unterzuckerungen ist unter einer ausschließlichen Therapie mit Metformin gering, steigt aber bei Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin an. Eine Therapie mit Metformin wird allgemein gut vertragen; Magen-Darm-Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall können gelegentlich auftreten. Bei einem Anhalten von Magen-Darm-Beschwerden über einen längeren Zeitraum (mehr als eine Woche) sollte die Therapie abgebrochen und umgestellt werden.
Vorsicht ist bei Einschränkungen der Nierenfunktion geboten. Vor, während und bis zwei Tage nach Gabe eines jodhaltigen Röntgenkontrastmittels muss die Einnahme von Metformin unterbrochen werden. Bei den meisten Patienten ist eine Therapie mit Metformin gewichtsneutral. In Einzelfällen kann auch eine Gewichtsreduktion beobachtet werden.
Die Datenlage zum Einfluss des Metformins auf Gefäßkomplikationen des Diabetes ist begrenzt. Es gibt jedoch Hinweise auf einen schützenden Effekt im Hinblick auf das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles. Auch Krebserkrankungen sollen unter einer Therapie mit Metformin seltener zu beobachten sein. Diese Daten sind jedoch bisher nicht endgültig bestätigt.
Glitazone wie Pioglitazon (Actos) verringern ebenfalls die Insulinresistenz und bedingen damit eine verbesserte Wirkung des körpereigenen Insulins. Im Vergleich zu Metformin ist ihre Wirkung jedoch nicht so stark auf die Leber beschränkt, sondern es wirkt weitaus stärker auf Fett- und Muskelzellen. Das Unterzuckerungsrisiko ist gering, steigt jedoch bei einer Kombinationsbehandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin.
Aufgrund von Nebenwirkungen wie einer Gewichtszunahme, Wassereinlagerungen und einer Beeinflussung des Knochenstoffwechsels finden diese Substanzen in Deutschland nur noch wenig Verwendung. Andererseits scheint insbesondere die Therapie mit Pioglitazon einen gefäßschützenden Effekt auszuüben: In einer großen Langzeitstudie konnte unter Therapie mit Pioglitazon eine Verringerung von Gefäßkomplikationen wie Herzinfarkten und insbesondere Schlaganfällen beschrieben werden.
In der Auswahl dieses Medikamentes sollten auf individueller Basis potentieller Nutzen und Nebenwirkungen kritisch abgewogen werden.
Von den Alpha-Glukosidase-Hemmern wird in Deutschland das Präparat Acarbose (Glucobay) am häufigsten verwendet. Durch Hemmung der zuckerspaltenden Enzyme im Darm bewirkt Acarbose eine Verzögerung der Aufnahme des Zuckers durch die Darmschleimhaut. Hierdurch werden Blutzuckeranstiege nach einer Mahlzeit abgeschwächt. Insgesamt wird die blutzuckersenkende Wirkung dieser Substanz als eher moderat eingestuft. In der Monotherapie besteht ein geringes Unterzuckerungsrisiko, in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin können Unterzuckerungen beobachtet werden.
Die Therapie mit Acarbose ist gewichtsneutral. Als häufige Nebenwirkungen muss mit Magen-Darm-Beschwerden wie Blähungen, Durchfall, Übelkeit gerechnet werden. In einer Langzeituntersuchung mit Patienten, die sich in einer Vorstufe der Diabeteserkrankung (Prädiabetes) befanden, konnte eine Verminderung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen unter der Therapie mit Acarbose beobachtet werden.
Als Sulfonylharnstoffe werden in Deutschland überwiegend Glibenclamid (Euglucon, Glucobene u. a.) und Glimepirid (Amaryl, Glimegamma, Magna u. a.) eingesetzt. Sulfonylharnstoffe bedingen eine vermehrte Insulinfreisetzung. Nach Beginn einer Therapie mit Sulfonylharnstoffen stellt sich zunächst meist eine sehr erfolgreiche Absenkung des Blutzuckers ein. Der Effekt schwächt sich jedoch bei den meisten Patienten innerhalb weniger Monate bis Jahre ab, was auf eine Erschöpfung der insulinproduzierenden Betazellen unter Sulfonylharnstoffen zurückgeführt wird.
Auch aufgrund eines erhöhten Unterzuckerungsrisikos und einer Gewichtszunahme wird der Einsatz der Sulfonylharnstoffe zunehmend kritisch betrachtet. Außerdem ist die Sicherheitsdatenlage für Sulfonylharnstoffe unklar und bedarf trotz ihres jahrelangen Einsatzes einer dringenden Klärung.
Die Glinide Repaglinid (NovoNorm, Prandin) und Nateglinid (Starlix) bewirken wie Sulfonylharnstoffe eine vermehrte Insulinfreisetzung aus den insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse. Aufgrund ihrer deutlich kürzeren Wirkdauer sind die Gefahr für Unterzuckerungen und das Risiko einer Gewichtszunahme bei der Auswahl dieser Substanzen geringer. Allerdings müssen diese Substanzen aufgrund ihrer kurzen Wirkdauer 3-mal täglich vor den Mahlzeiten eingenommen werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion sollte die Dosis der Medikamente reduziert werden.
In Deutschland stehen 2 Substanzen, Sitagliptin (Januvia, Xelevia) und Saxagliptin (Onglyza) zur Verfügung. Die Wirkung dieser Substanzen wird über eine Hemmung des Abbaus von Darmhormonen vermittelt, die wiederum die Freisetzung des Insulins aus der Betazelle beeinflussen. Nach einer Mahlzeit werden im Darm verschiedene Hormone, die Inkretine, in die Blutbahn ausgeschüttet.
Hierbei kommt vor allem dem Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) eine blutzuckerregulierende Rolle bei Typ-2-Diabetikern zu: GLP-1 wird nach Nahrungsaufnahme aus Zellen der Darmschleimhaut in das Blut freigesetzt; im Blut wird GLP-1 schnell durch das Enzym Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) gespalten und somit unwirksam. Hemmt man dieses Enzym mit Hilfe der DPP-4-Hemmer, kommt es zu einer verstärkten und verlängerten Wirkung von GLP-1 und damit zu einer vermehrten Freisetzung von Insulin aus den insulinproduzierenden Betazellen.
Im Gegensatz zur Wirkung der Sulfonylharnstoffe erfolgt die Freisetzung des Insulins jedoch ausschließlich bei erhöhten Blutzuckerwerten. Ist der Blutzucker normal, wird kein Insulin freigesetzt. Das Unterzuckerungsrisiko unter einer Therapie mit DPP-4-Hemmern ist daher gering.
Untersuchungen weisen auf eine Funktionsverbesserung der Betazellen unter einer Therapie mit DPP-4-Hemmern hin. Womöglich kann dadurch der fortschreitende Funktionsverlust der Betazellen zumindest hinausgezögert werden. DPP-4-Hemmer gelten als gewichtsneutral; in einigen Studien konnte sogar eine leichte Reduktion des Körpergewichts beobachtet werden. Die Substanzen gelten als ausgesprochen gut verträglich, und erste Langzeitstudien haben eine hohe Sicherheit dieser Substanzen bestätigt.
In einer Untersuchung über 2 Jahre wurde unter einer Therapie mit DPP-4-Hemmern im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen ein geringeres Risiko für Todesereignisse, Herzinfarkte und Schlaganfälle beobachtet. Ein gering gesteigertes Infektionsrisiko kann nicht ausgeschlossen werden. Bei Einschränkungen der Nierenfunktion sollte die Dosis der Medikamente reduziert werden. Linagliptin (Trajenta), ein in Deutschland nicht im Markt befindlicher DPP-4-Hemmer, kann auch bei eingeschränkter Nierenfunktion ohne Dosiskorrektur verwendet werden.
Die neueste Klasse von Medikamenten bei Typ-2-Diabetes sind die SGLT-2-Hemmer: In Deutschland sind es derzeit zwei Vertreter, Dapagliflozin (Forxiga) und Empagliflozin (Jardiance). In der Niere befinden sich Transportsysteme (Natrium-Glukose-Pumpen), die verhindern, dass mit dem Urin Glukose ausgeschieden wird. Werden diese Systeme gehemmt, kommt es zu einem Verlust der Glukose mit dem Urin.
Die Therapie mit SGLT-2-Hemmern senkt effizient die Blutzuckerwerte bei geringem Unterzuckerungsrisiko. Werden SGLT-2-Hemmer mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin kombiniert, muss mit einer Steigerung des Unterzuckerungsrisikos gerechnet werden.
Aufgrund der Ausscheidung von Zucker mit dem Urin werden dem Körper Kalorien entzogen und somit wird eine Gewichtsabnahme begünstigt. Eine weitere, für viele Patienten zu begrüßende Nebenwirkung ist eine leichte Senkung des Blutdruckes. Aufgrund der erhöhten Zuckerkonzentration im Urin kann es zu einer Infektion der Harnwege, zu Scheidenpilz bei Frauen oder einer Eichelentzündung bei Männern kommen. Eine sorgfältige Genitalhygiene kann das Risiko deutlich reduzieren.
Selten und nur bei Patienten, bei denen zusätzlich eine Therapie mit Insulin erforderlich war, wurde eine Übersäuerung des Blutes (Ketoazidose) beobachtet. Die Bedeutung der Verschiebung des Säurehaushaltes unter SGLT-2-Hemmern kann nicht abschließend beurteilt werden. Aufgrund des Wirkmechanismus der Medikamente ist ihre Verwendung bei eingeschränkter Nierenfunktion wenig sinnvoll.
Langzeituntersuchungen mit dieser Substanzklasse liegen noch nicht vor. Die günstigen Effekte auf den Blutzucker, das Körpergewicht und den Blutdruck lassen jedoch positive Effekte erhoffen.
Wie die oben stehende Tabellezeigt, gibt es heute viele Medikamente zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Neben den in Tablettenform vorkommenden Medikamenten sind Arzneimittel zur Injektion ein weiterer, unverzichtbarer Pfeiler in der Therapie des Diabetes (siehe Diabetes-Kurs in Heft 9/2015). Häufig werden diese unter die Haut zu spritzenden Medikamente erst später im Verlauf der Erkrankung eingesetzt. Oft wird auch die Kombination verschiedener Medikamente für den Einzelnen erforderlich sein.
Welche Medikamente oder Medikamentenkombinationen jeweils am besten geeignet sind, muss der Hausarzt individuell entscheiden – aufgrund der bei dem Patienten vorliegenden Bedürfnisse und Begleiterkrankungen.
Die medizinischen Möglichkeiten einer effektiven individuellen Diabetestherapie sind heute vielfältig. Moderne Therapien des Diabetes sollten eine effektive Blutzuckersenkung ermöglichen – unter Vermeidung von Unterzuckerungen, ohne Gewichtszunahme und unter Berücksichtigung des individuellen Patientenprofils.
Neuen und innovativen Medikamenten wird der Marktzugang in Deutschland jedoch zunehmend erschwert. Aufgrund äußerst umstrittener Bewertungsverfahren wurde mehreren zugelassenen Medikamenten in Deutschland eine entsprechende Erstattung bereits verwehrt. Es steht zu befürchten, dass in der deutschen Diabetologie zukunftsweisende Therapien zur Behandlung des Diabetes aufgrund gesundheitspolitischer Entwicklungen nur noch sehr restriktiv verordnet werden können.
Bereits heute stehen einige international anerkannte Therapiemöglichkeiten für Patienten in Deutschland aufgrund von Erstattungsbarrieren nicht mehr zur Verfügung…
von Prof. Dr. Thomas Forst
Profil Institut für Stoffwechselforschung,
Rheinstraße 4C, 55116 Mainz,
E-Mail: thomas.forst@profil.com
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (10) Seite 24-29
5 Minuten
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