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Der berufliche Alltag lässt nur wenig Spielraum für zusätzliche Aufwände zu. Doch gerade bei Typ-1-Diabetikern entstehen dabei Anforderungen, die aus der Sicht des beruflichen Umfeldes kaum erahnt werden können. Warum die spontane und effektive Problemlösungsfähigkeit bei Diabetikern meiner Meinung nach eine besondere Qualität darstellt, wird im folgenden Beitrag vermittelt.
Die epidemiologischen Zahlen zu „Diabetes mellitus“ lassen aufgrund ihrer stetig steigenden Tendenz erst einmal nicht besonders viel Gutes erahnen. Unterstützt wird diese, wie ich finde, eher düstere Überlegung, durch die hohen Risiken in Form von schwerwiegenden neurologischen und kardiovaskulären Komplikationen, welche die Krankheit für Betroffene mit sich bringen kann. Dahingehend leiden 6,9 Mio. Menschen an Typ-2-Diabetes und 32.000 Kinder und Jugendliche sowie 340.000 Erwachsene an Typ-1-Diabetes – Tendenz steigend (1).
Doch gerade die jüngeren, berufstätigen Typ-1-Diabetiker_innen stellen nach meiner Erkenntnis eine Gemeinsamkeit dar, denn: Diese Gruppierung wird mit besonderen Aufgaben und Wechselwirkungen konfrontiert. Der Weg ins Berufsleben ist – wie ich finde – grundlegend anspruchsvoll. Gerade dann, wenn ein Beruf angestrebt wird, der mit persönlichen Interessen, Vorlieben, Zielen und Visionen kombiniert wird. Bestreben, die für mich als Typ-1-Diabetiker vorweg limitiert sind, da ich selbst bei bester Einstellung und Leistungsfähigkeit noch auf körperlich anspruchsvolle und verantwortungsvolle Berufe verzichten müsste (Polizei, Militär, Luftfahrt usw.) (2). Meine Überlegungen zu weiteren Hindernissen für Diabetiker_innen, wie diese entstehen können und wo das vielleicht nicht selten unterschätzte Potenzial zu finden sein könnte, möchte ich im Folgenden aufzeigen.
Die Hindernisse im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Einstellung, aber auch der folgenden beruflichen Laufbahn, erscheinen mir nicht eindimensional erklärbar. Es sind nicht unbedingt die Gutachter_innen oder die potenziell Vorgesetzten, die ein Risiko bei Diabetiker_innen vermuten, welches sie bei anderen Bewerber_innen und Mitstreiter_innen nicht vermuten, denke ich. Dazu kommen vor allem die realen Zusatzaufgaben, welchen sich Diabtiker_innen im alltäglichen Leben widmen „dürfen“.
Ja, es stimmt: Ich bin als „Betroffener“ dazu gezwungen, nachts aufzustehen, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren, vielleicht die Insulindosierung zu verändern oder Kohlenhydrate durch Nahrung zuzuführen. Ich muss früher aufstehen, um die Injektionen oder die Nahrung für den bevorstehenden Tag anzupassen, und ich habe eine vielleicht größere Verpflichtung, regelmäßig Sport zu treiben, als andere. Klar, denn wer würde nicht gerne ohne erschwerende, konzentrationsraubende Hypoglykämien dazu fähig sein, die volle Leistungsfähigkeit im Alltag abrufen zu können? Nur das annähernd optimale Diabetesmanagement ermöglicht mir eine gesunde und damit lebenswerte Zukunft, ohne Nieren-, Herz-, Gefäß- oder Nervenschäden zu erleiden, die zu einem vorzeitigen Tod führen können (3). Enormes medizinisches Fachwissen und ein hohes Maß an Disziplin, um jeden Tag früher als andere aufzustehen, sind aus meiner Sicht wahrhaftig ein Bestandteil des erfolgreichen Diabetesmanagements. Verstärkt wird der Anspruch an Disziplin durch die Organisation und Bewältigung regelmäßiger Zusatzaufwände während der Nacht, wie z.B. das Kontrollieren des Blutzuckerwertes oder Insulininjektionen, um Stunden später beim Erwachen den Tag so gut als möglich starten zu können.
Dazu kommen regelmäßige Sporteinheiten, um die Insulinsensibilität zu erhöhen, Glukose abzubauen und das kardiovaskuläre System zu trainieren (4). Nicht zu vergessen eine gesunde, wohlbedachte Ernährung, die auf die individuellen Aufgaben des Tages angepasst werden muss (5). Nicht jeder Tag ist gleich und dennoch möchte ich auf jede Situation vorbereitet sein. Das bedeutet: Einen Tag, an dem neben der beruflichen Tätigkeit auch das Training ansteht, kann ich nicht planen wie einen Tag ohne Training, aber dafür mit zusätzlichen Familienaktivitäten. Der Nährstoff-, Insulin- und Kontrollbedarf alleine sind total verschieden und bedürfen Aufmerksamkeit.
Und damit nicht genug: Wie oft geht etwas dabei schief bzw. lässt es sich nicht genau vorhersagen und damit planen? Was tun, wenn ein Training plötzlich ausfällt, einmal Überstunden anfallen oder ein Freund Hilfe braucht usw.? Schnelle und gezielte Anpassung ist gefragt – nichts Neues für „professionelle“ Diabetiker_innen. In solchen Fällen muss ich beispielsweise die Insulindosierung, die Injektionsfrequenz, die Ernährung ändern und intuitiv aber genau anpassen sowie die dafür notwendigen Mittel bereitstellen. Meiner Meinung nach zeigt dies einen Aufwand, den sich manche uninformierte Personen aus dem alltäglichen Umfeld kaum vorstellen können.
Die im Vorfeld erläuterten Situationen und die damit einhergehenden Aufwände sind nach meiner Recherche keine Seltenheit. Allerdings frage ich mich: Handelt es sich dabei wirklich nur um Negatives, was es zu verurteilen gilt? Meine daran anknüpfenden Überlegungen veranlassten mich schlussendlich zu der festen Überzeugung: Die hohe Kompetenz an Disziplin, Innovation und Problemlösung von Diabetiker_innen erweist sich mir als offensichtlich. Genau diese Fertigkeiten, welche benötigt werden, um so einen Alltag zu meistern, werden durch den Diabetes gelehrt. Einer tödlichen Krankheit, die ohne medizinische Versorgung in wenigen Tagen zum Tod führt (6).
Eine „Schule“, deren Anforderungen nicht jeder_jede zu meistern vermag, der_die sich von extern erlaubt, das Verhalten von Diabetikern als negativ beurteilen zu können. Dies erscheint mir von den entsprechenden Kritiker_innen manchmal als voreilig und schlichtweg falsch angenommen. Dazu gebe ich zu bedenken, dass die meisten Diabetiker_innen eben diese, nicht einfache, Schule tatsächlich und erfolgreich durchlaufen haben. Für mich zumindest gibt es keinen ernsthaften Grund anzunehmen, als Diabetiker_in weniger Potenzial in einer Leistungsgesellschaft entfalten zu können als andere Mitstreiter_innen. Die Schule des Diabetes ist sicher keine Garantie für ein erfolgreiches Leben in jeder Hinsicht. Aber sie kann helfen, mit den normalen, für alle geltenden Aufwänden gut klarzukommen. Und wenn dies im Idealfall auch auf die Umgebung abfärbt, identifiziere ich es als Treibstoff für eine Art von „Win-Win-Situation“.
Literaturverzeichnis
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