Schilddrüse: klein, aber nicht ohne

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Schilddrüse: klein, aber nicht ohne

Die Schilddrüse und die von ihr gebildeten Hormone können den Blutzuckerspiegel ordentlich beeinflussen. Wenn dann noch wegen Erkrankungen der Schilddrüse Kortison eingenommen werden muss, gilt besondere Sorgfalt. Wir berichten.

Viele Diabetes-Journal-Leser wissen wahrscheinlich, dass die Schilddrüse die beiden Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) bildet und bei Bedarf diese an ihr Blut abgibt. Im Gehirn haben Sie, liebe Leser, im Hypothalamus Messfühler, die kontinuierlich die Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blut erfassen.

Fallen die Konzentrationen von T3/T4 ab, setzt der Hypothalamus einen Botenstoff frei, damit die Hirnanhangsdrüse vermehrt das Hormon TSH ins Blut abgibt; TSH gibt den Zellen der Schilddrüse den Auftrag, T3/T4 zu produzieren und ans Blut abzugeben. Werden zu hohe Konzentrationen von T3/T4 im Hypothalamus gemessen, wird weniger TSH gebildet und die Schilddrüsenhormon-Produktion wird gedrosselt.

Sind Ihre Schilddrüsenwerte dauerhaft erhöht und das TSH erniedrigt, besteht eine Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose). Im umgekehrten Fall würden wir eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hypothyreose) diagnostizieren. Was Sie, liebe Leser, wahrscheinlich nicht wissen: Bei einer Über- oder Unterfunktion Ihrer Schilddrüse kann Ihr Kohlenhydrat-Stoffwechsel salopp formuliert ordentlich durcheinandergewirbelt werden! Das liegt daran, dass sich

  1. die Abgabe der Glukose (Traubenzucker) aus der Leber,
  2. die Aufnahme von Glukose aus dem Dünndarm und
  3. die Wirkung von Insulin an der Muskulatur, dem Fettgewebe und der Leber

stark verändern kann. Gleiches kann natürlich für Medikamente gelten, die im Zusammenhang mit einer Schilddrüsenerkrankung erforderlich werden. Lassen Sie mich dieses “Wirbeln” anhand einer Diabetikerin erläutern, die ich in den zurückliegenden 6 Monaten in meiner Praxis behandeln durfte:

Beispiel: Frau K. nimmt ab. Ungewollt.

Frau K. kam in meine Sprechstunde, weil sie in den zurückliegenden 3 Monaten trotz guten Appetits 6 kg abgenommen hatte. Außerdem berichtete Frau K., sie habe das Gefühl, immer kraftloser zu werden. Für sie besonders beunruhigend war, dass bei bestimmten Augenbewegungen Doppelbilder auftraten und ihre Augen besonders am Abend stark schmerzten.

Bei Frau K. bestand seit 10 Jahren ein Typ-1-Diabetes, der seit 6 Jahren mit einer intensivierten konventionellen Therapie (ICT) behandelt wurde. Auf Nachfrage bestätigte sie einen Anstieg des täglichen Insulinbedarfs in den zurückliegenden Monaten um knapp 40 Prozent. Eine Erklärung dafür hatte sie nicht. Der aktuelle HbA1c-Wert lag bei 8,5 Prozent.

Zur weiteren Abklärung bestimmten wir im Blut die Schilddrüsenhormone T3/T4 und den Wert von TSH sowie die Schilddrüsenantikörper TPO und TRAK. Darüber hinaus untersuchten wir die Schilddrüse mit Ultraschall (Sonographie). Als Ergebnis dieser Untersuchungen ergab sich zusammengefasst eine ausgeprägte Überfunktion der Schilddrüse (T3/T4 deutlich überhöht, TSH stark erniedrigt) bei einem Morbus Basedow:

Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, bei der typischerweise Antikörper (v. a. TRAK) gebildet werden; diese wirken wie TSH und veranlassen die Schilddrüse, ohne Steuerung durch Hirnanhangsdrüse/Hypothalamus die Schilddrüsenhormone T3/T4 zu produzieren und ins Blut abzugeben.

Außerdem kann es durch den Autoimmunprozess zu einer Entzündung des Gewebes in den Augenhöhlen (Orbita) kommen, so dass die Augen nach vorne aus der Orbita austreten und die Funktion und Koordination der Augenmuskeln zunehmend eingeschränkt werden – so dass die von Frau K. geschilderten Doppelbilder auftreten. Medizinisch spricht man auch von einer endokrinen Orbitopathie.

Ich erläuterte Frau K., dass ihre Gewichtsabnahme meines Erachtens gut zu begründen sei – ich erklärte also: Im Rahmen einer Hyperthyreose kommt es durch den gesteigerten Stoffwechsel nahezu immer zu einem Gewichtsverlust, der vor allem die Muskulatur betrifft. Der Muskelabbau im Bereich des Rückens, der Beine und Oberarme erklärt auch ihre Kraftlosigkeit. Danach besprach ich mit ihr, dass wir bei nahezu zwei Drittel der stoffwechselgesunden Patienten aus unserer Praxis im Rahmen einer Hyperthyreose eine gestörte Kohlenhydrat-Toleranz beobachten.

Deshalb war für mich die Verschlechterung ihrer Diabeteseinstellung auch nicht verwunderlich. Der Anstieg ihrer Blutzuckerspiegel und des HbA1c-Wertes war durch eine gesteigerte Aufnahme von Nahrungsglukose aus dem Dünndarm hervorgerufen sowie durch einen vermehrten Abbau von Glykogen (zu Glukose) aus Leber und Muskulatur. Und die Zunahme ihres Insulinbedarfs war Folge einer abgeschwächten Wirkung des Insulins an Muskulatur und Fettgewebe im Rahmen der Hyperthyreose. Ein weiterer Grund für ihre Gewichtsabnahme war in der Glukosurie zu sehen – Ausscheidung von Zucker über den Harn im Rahmen ihrer schlechten Diabeteseinstellung.

Im Weiteren besprachen wir, dass zunächst die medikamentöse Behandlung der Hyperthyreose die wichtigste Erstmaßnahme sei. Deshalb verordnete ich ihr das Thyreostatikum Thiamazol, von dem wir wissen, dass es die Bildung der Schilddrüsenhormone effektiv blockt und damit die erhöhten Werte von T3/T4 schnell abfallen lässt. Bevor ich mit Frau K. eine Wiedervorstellung vereinbarte, wies ich sie noch darauf hin, dass mit der Normalisierung der Schilddrüsenhormone der tägliche Insulinbedarf zurückgehen und sich daraus eine notwendige Anpassung der Insulintagesdosis ergeben würde.

Ein Monat später: Kraft wieder da, aber …

Als sich Frau K. wieder vorstellte, waren die Blutwerte von T3/T4 und TSH im Normalbereich, sie hatte an Gewicht zugenommen und sie gab an, dass die Kraftlosigkeit verschwunden sei. Aber ihre Augen machten ihr große Sorgen: Die Augenlider waren stark geschwollen, und die Bindehaut war blutunterlaufen; bei Provokation gab Frau K. bei jeder Blickrichtung Doppelbilder an. Beide Augäpfel traten deutlich aus den Augenhöhlen hervor.

Nach Untersuchungbeider Augen mit Magnetresonanztomographie (MRT) konnte man die starke Entzündung in beiden Augenhöhlen nachweisen und dokumentieren. Also entschlossen wir uns in Rücksprache mit dem Augenarzt von Frau K. zu einer hochdosierten Behandlung mit Kortison: Ziel war es hier, eine Besserung der Entzündung des Fettgewebes und der Muskeln in beiden Augenhöhlen herbeizuführen, um ein weiteres Heraustreten der Augen aus den Augenhöhlen zu verhindern. Anderenfalls drohte bei Frau K. eine Dehnung und Verletzung der Sehnerven. Damit war neben der Sehfähigkeit auch ihr Beruf als Taxifahrerin akut gefährdet.

Die Gabe von Kortison sollte in Tablettenform über mehrere Wochen erfolgen. Frau K. fragte mich, ob die Einnahme von Kortison Einfluss auf ihre Blutzuckereinstellung haben würde. Ich besprach mit ihr, dass die Insulinwirkung speziell an der Muskulatur durch Kortison abgeschwächt wird. Diese Bremswirkung hängt vom Einnahmezeitpunkt und von der Dosis der Kortisontablette ab. Da sie die Kortisontablette am Morgen einnehmen musste, setzte die Bremswirkung gegen Mittag ein – und erreichte ihren Höhepunkt nach der Abendmahlzeit.

Über Nacht ging ich von einer normalen Insulinempfindlichkeit aus. Als Konsequenz daraus musste sie bei ihrer ICT am Mittag und vor allem am Abend den Insulinbolus erhöhen. Ich erläuterte auch, dass aus meiner Erfahrung eine Erhöhung der Dosis des langwirksamen Insulins selten notwendig ist. Aber bei der hohen täglichen Kortisonmenge, die sie einnehmen musste, nahm ich an, dass ihr Insulintagesbedarf sicherlich um 30 Prozent ansteigen würde. Wir vereinbarten dann einen Termin in 4 Wochen.

Nach weiteren 4 Wochen …

Bei diesem Termin waren die Schilddrüsenparameter (T3/T4 und TSH) weiter normal, so dass wir das Thyreostatikum Thiamazol auf eine Erhaltungsdosis reduzieren konnten. Am erfreulichsten war, dass sich der Befund der endokrinen Orbitopathie deutlich gebessert hatte – so dass wir uns entschlossen, die tägliche Kortisongabe schrittweise zu reduzieren. Damit einher ging die Reduktion der täglichen Insulinmenge, die tatsächlich um 40 Prozent angestiegen war.

Inzwischen ist ein halbes Jahr nach dem Erstkontakt mit Frau K. vergangen. Kortison und Thiamazol sind inzwischen abgesetzt, und für T3/T4/TSH liegen Normalwerte vor. Auch die bedrohlichen Augenveränderungen sind weitgehend verschwunden. Aber vor allem kann Frau K. wieder ihrem Beruf als Taxifahrerin nachgehen. Beim Verlassen unserer Praxis bemerkte Frau K., dass sie inzwischen mit ihrer kleinen Schilddrüse wieder glücklich sei.

Schwerpunkt: Hormone im (Un-)Gleichgewicht

von Prof. Dr. med. Reinhard Zick
Medicover GmbH, Möserstraße 4a, 49074 Osnabrück,
E-Mail: der.chef@mac.com

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (5) Seite 28-31

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