Screening und Statistik: Wie gehen Eltern mit dem Wissen um ein genetisches Risiko um?

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Screening und Statistik: Wie gehen Eltern mit dem Wissen um ein genetisches Risiko um?

Ich habe Typ-1-Diabetes, seit ich 40 Jahre alt bin. Ein untypisches Alter. Rein statistisch betrachtet hat mein Sohn ein Risiko von 3–5 Prozent, dass seine Bauchspeicheldrüse in Bezug auf die Insulinproduktion ebenfalls irgendwann einmal den Geist aufgibt. Als ich meine Diagnose erhalten habe, war er 15 Jahre alt, heute ist er 25. Hat er inzwischen ein geringeres Risiko, auch einen Typ-1-Diabetes zu entwickeln?

Eine Antwort auf diese Frage gäbe es nur, wenn mein Sohn an einem Früherkennungsprogramm teilnähme. Anfangs war ich noch skeptisch, ob mich bzw. uns ein mögliches positives Ergebnis nicht unnötig belasten würde. Mittlerweile befürworte ich das Screening. Doch inzwischen ist mein Sohn zu alt, um an der Früherkennungsuntersuchung des Helmholtz Zentrums München (A world without 1) teilzunehmen. Die Untersuchung richtet sich an Angehörige von Menschen mit Diabetes bis zu einem Alter von 21 Jahren.

Der Umgang mit statistischen Risiken ist immer schwierig

Für uns wird sich das Erkrankungsrisiko meines Sohnes also nicht genauer eingrenzen lassen. Doch alle teilnehmenden Familien können durch die Früherkennungsuntersuchung Gewissheit bekommen, ob ihr Kind Antikörper hat, die typisch sind für einen Typ-1-Diabetes und damit einen Typ-1-Diabetes höchstwahrscheinlich machen. Nun ist der Umgang mit statistischen Risiken immer schwierig. Und der Umgang mit dem Risiko, irgendwann einmal an einer chronischen Stoffwechselstörung zu erkranken, ist es erst recht. Deshalb beschäftigen sich Forscher schon seit einer ganzen Weile damit zu untersuchen, welche Auswirkungen die Erkenntnisse aus den Screening-Untersuchungen auf Frühstadien des Typ-1-Diabetes auf Familien haben. Beim diesjährigen Jahreskongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) präsentierte die Psychologin Prof. Karin Lange (Hannover) die neuesten Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet.

Quelle: Pixabay

Man muss auch das genetische Risiko der Allgemeinbevölkerung betrachten

Statistisch betrachtet wird eines von 300 Neugeborenen im Laufe seines Lebens an Typ-1-Diabetes erkranken. In der Allgemeinbevölkerung ist dieses Risiko allerdings kaum bekannt, kaum jemandem bereitet es Sorgen. Anders sieht es aus, wenn die Eltern bereits Typ-1-Diabetes haben. Ist die Mutter betroffen, erhält eines von 25 Neugeborenen irgendwann im Leben die Diagnose Typ-1-Diabetes. Bei einem Vater mit Diabetes liegt die Chance sogar bei 1:16. Es ist bekannt, dass 90 Prozent der Menschen mit Typ-1-Diabetes keine Verwandten ersten Grades mit Typ-1-Diabetes haben. Doch unter den Menschen, die zwar keine Angehörigen mit Typ-1-Diabetes, aber ein erhöhtes Risiko haben, wird eins von zehn Neugeborenen im Laufe seines Lebens Typ-1-Diabetes bekommen. Für Prof. Lange ist deshalb klar, dass man das langfristige Ziel der Prävention von Typ-1-Diabetes nur dann erreichen kann, wenn man sich um das genetische Risiko in der Allgemeinbevölkerung kümmert. Und nicht nur bei den Familien, in denen bereits Typ-1-Diabetes vorgekommen ist.

Manche sind traurig über die verlorenen unbeschwerten Jahre

Wie die Psychologin berichtete, hat sich in den bisherigen Screening-Programmen auf Antikörper für Typ-1-Diabetes gezeigt, dass nur wenige Eltern mit einem positiven Testergebnis gerechnet hatten – und zwar, weil ein Elternteil selbst Typ-1-Diabetes hat. Für andere, bislang durch die Erkrankung völlig unbelastete Familien, hingegen kamen positive Testergebnisse aus heiterem Himmel. „Anfangs ist das ein großer Schock. Wir beobachten allerdings, dass die Familien zwölf Monate später fast alle sagen, dass das Testergebnis sie nicht mehr stark belastet“, sagte Prof. Lange. Manche Eltern seien traurig über die „verlorenen unbeschwerten Jahre“.

Quelle: Pixabay

Auch die wiederholten Untersuchungen, Sorgen und Unsicherheit sowie die bislang unerfüllte Hoffnung auf Heilung könnten Eltern psychisch belasten. Dem stünden aber auch klare Vorteile des Screenings gegenüber: Familien mit positiv gescreenten Kindern pflegten meist einen gesünderen Lebensstil und würden von Beginn an qualifiziert auf die bevorstehende Diagnose vorbereitet. Ihre Eltern könnten dem Therapiestart entsprechend deutlich gelassener entgegenblicken. Ebenfalls nicht zu unterschätzen: Wenn ein Kind von kleinauf engmaschig kontrolliert und frühzeitig mit Insulin behandelt wird, kommt es bei der Manifestation nicht mehr zu lebensbedrohlichen Ketoazidosen.

Neue Studie aus Schweden zeigt positive Effekte des Screenings

Eine aktuelle Studie aus Schweden zeigt nun, dass sich all dies nicht nur positiv auf die Psyche der beteiligten Familien auswirkt, sondern auch auf die Qualität der Diabetestherapie. An der DiPiS-Studie nahmen 51 Kinder mit Typ-1-Diabetes teil, bei denen im Zuge eines Screening-Programms eine Vorstufe des Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde und die eine entsprechende Vorbereitung durchlaufen hatten. Sie wurden mit 78 Kindern verglichen, bei denen die Diagnose erst aufgrund der üblichen Symptome gestellt wurde. Die Kinder waren im Schnitt 6,8 Jahre alt. Untersucht wurde, inwieweit sich die Früherkennung eines Prädiabetes auf Therapie, Insulinbedarf und HbA1c-Wert fünf Jahre nach der Manifestation auswirkte.

Deutlich bessere Stoffwechselkontrolle bei den gescreenten Kindern

Es zeigte sich, dass die gescreenten und geschulten Kinder über Jahre hinweg eine bessere Stoffwechseleinstellung, bessere HbA1c-Werte und eine höhere allgemeine Zufriedenheit aufwiesen als die Kinder, deren Risiko nicht im Rahmen der Früherkennung aufgefallen war. Die Studienautoren gehen davon aus, dass eine bessere Stoffwechselkontrolle gerade in den Anfangsjahren nach der Diagnose zu besseren Langzeitergebnissen und einem geringeren Risiko für Folgeerkrankungen beitragen kann. Prof. Lange betonte daher: „Das ist eine neue Erkenntnis. Früherkennung schadet nicht nur nicht, sondern verbessert auch die Therapie bei den Kindern, bei denen sich tatsächlich ein Typ-1-Diabetes manifestiert.“

Auch wenn es für mein eigenes Kind nun nicht mehr relevant ist, sind diese neuen Erkenntnisse für mich ein gewichtiges Argument dafür, an der Früherkennung auf Typ-1-Diabetes teilzunehmen. Wie seht ihr das?


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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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