So behebt man Entgleisungen

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So behebt man Entgleisungen

Schwere Blutzuckerentgleisungen können lebensbedrohlich sein; daher ist es das Beste, wenn sie gar nicht erst vorkommen. Dennoch ist es auch bei gut eingestellten Menschen mit Diabetes nicht ausgeschlossen, einmal in eine gefährliche Situation zu kommen. Wir erläutern Ihnen hier, wie diese Situationen behoben werden können.

Unterzuckerung: akute Hypoglykämie

Bei einem gut eingestellten Diabetes lässt es sich nicht vermeiden, dass der Blutzucker ab und an zu tief gerät. Von einer Hypoglykämie spricht man, wenn der Blutzucker unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) fällt, entsprechende Symptome auftreten und diese durch die Gabe von Kohlenhydraten gebessert werden können. Im Idealfall bemerkt der Betroffene selbst, dass sein Blutzucker zu tief ist, anhand der klinischen Symptome: Zittern, Heißhunger, innere Unruhe.

Hier gilt dann die Devise: “Erst essen, dann messen!” Bei typischen Unterzuckerungssymptomen sollte man zügig zwei schnelle Kohlenhydrateinheiten (zum Beispiel 200 ml Saft, Malzbier oder Cola) trinken, danach sollte der Blutzucker weiter stabilisiert werden, indem man eine etwas länger wirksame Kohlenhydrateinheit (z. B. 1 Joghurt oder 1 Scheibe Brot) zu sich nimmt.

In der Akutphase des Unterzuckers hilft natürlich auch Traubenzucker. Von den typischen Traubenzuckerplättchen sollten mindestens 4, besser 6 Plättchen gegessen werden, wenn ein Unterzucker typische Symptome macht. Es geht hier nicht darum, den Blutzucker wieder in den Bereich von 100 mg/dl (5,6 mmol/l) anzuheben, sondern möglichst schnell und sicher aus einer Gefahrenzone zu kommen.

Bei schweren Hypoglykämien muss Fremdhilfe geleistet werden

Werden die typischen Zeichen eines Unterzuckers nicht bemerkt oder nicht beachtet, so kann der Blutzucker durchaus innerhalb weniger Minuten so weit abfallen, dass man sich nicht mehr selbst helfen kann. In diesem Fall spricht man von einem schweren Unterzucker, der Fremdhilfe benötigt. Sofern man noch in der Lage ist zu schlucken, ohne sich zu verschlucken (und das ist meist so, wenn man nicht bewusstlos ist), dann können Angehörige schnelle Kohlenhydrate bereitstellen.

Hier empfiehlt es sich in jedem Fall, leicht schluckbare Kohlenhydrate zu verwenden: Säfte oder andere flüssige Kohlenhydrate. Feste Kohlenhydrate sind problematisch, da sie beim Verschlucken in die Luftröhre geraten und Erstickungsanfälle auslösen können, während flüssige Kohlenhydrate beim Verschlucken leichter wieder ausgehustet werden können.

Im Fall eines Unterzuckers muss man immer seine aktuelle Tätigkeit unterbrechen und darf auf keinen Fall (auch wenn sich die Symptome rasch bessern) weitermachen oder gar Kraftfahrzeuge führen: Es entsteht eine längere Wartezeit, bis man seine gewohnte Tätigkeit wieder aufnehmen kann. Umso wichtiger ist es, dass Unterzuckerungen so gut wie möglich vermieden werden.

Bei Bewusstlosigkeit: Glukagon-Notfallspritze

Sobald eine Bewusstlosigkeit eintritt, ist eine Zufuhr von Kohlenhydraten über den Mund gefährlich. Hier gibt es zwei Möglichkeiten zur Behandlung: Sofern Angehörige im Umgang mit der Glukagon-Notfallspritze (GlucaGen HypoKit) vertraut sind, können Sie im Fall eines schweren Unterzuckers mit Bewusstlosigkeit Glukagon verabreichen.

Das Kit besteht aus Fertigspritze und Glasgefäß: Zuerst wird der flüssige Inhalt der Spritze in das Glasgefäß gedrückt, in dem sich Glukagon-Pulver befindet. Das Pulver löst sich durch Schwenken des Gefäßes innerhalb weniger Sekunden auf, die mit Flüssigkeit wird dann zurück in die Spritze aufgezogen.

Danach erhält der Bewusstlose eine Injektion dieser Flüssigkeit in einen Muskel im Bereich des Oberschenkels – oder, falls dies nicht geht, auch unter die Haut (subkutan). Die Spritze führt innerhalb von Minuten zur Stimulierung der Glukoseproduktion in der Leber – dies aber nur dann, wenn die Leber nicht blockiert ist, zum Beispiel durch den Abbau von Alkohol.

Fehlt die Glukagonspritze oder ist die Ursache der Hypoglykämie übermäßiger Alkoholgenuss, so hilft es nur noch, den Notruf 112 und damit den Notarzt zu alarmieren. Der Notarzt wird im Fall einer schweren Unterzuckerung Glukose direkt in die Vene geben. Hierzu benötigt er hochkonzentrierte Glukoselösungen.

Wann eine Einweisung ins Krankenhaus notwendig ist

Nach einer schweren Unterzuckerung ist zu klären, wie es zu dieser Unterzuckerung kam. Findet sich kein plausibler Grund oder wird deutlich, dass die aktuelle Therapie immer wieder zu starken Blutzuckerschwankungen führt, so ist die Einweisung in eine möglichst auf Diabetes spezialisierte Einrichtung notwendig. Hier wird man entsprechend überwacht – und danach sollte eine Neueinstellung der Diabetestherapie erfolgen.

Eine Einweisung ins Krankenhaus nach einer schweren Hypoglykämie ist auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes unvermeidlich, wenn diese mit Substanzen behandelt werden, die die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse anregen. Substanzen vom Sulfonylharnstofftyp(Glimepirid, Glibenclamid) können auch nach Beseitigen einer schweren Unterzuckerung aufgrund ihrer langen Wirkdauer zu einer erneuten Unterzuckerung führen. Daher ist die stationäre Überwachung unbedingt erforderlich.

Schwerer Insulinmangel: Ketoazidose

Eine Ketoazidose entsteht immer dann, wenn der Körper einen schweren Insulinmangel hat. Dies kann zum Beispiel entstehen, wenn Insulin mit einem defekten Pen verabreicht wird oder eine Insulinpumpe nicht richtig funktioniert, weil Luft im Schlauchsystem ist. Im Fall eines Insulinmangels kann der Körper Kohlenhydrate nicht verwerten und schaltet auf die Bereitstellung von Ersatzenergie: Diese entsteht aus dem Abbau von Speicherfett, der Lipolyse.

Bei diesem Abbau von Fett entstehen saure Substanzen, Ketonkörper, die das Blut übersäuern können. Man spricht dann von einer Ketoazidose. Eine schwere Ketoazidose erkennen gut geschulte Typ-1-Diabetiker, wenn sie mit einem Ketonteststreifen die Ketonkörper messen und diese im Urin zwei- oder dreifach positiv sind oder im Blut über 1,0 mmol/l liegen. Wird man zusätzlich müde, lethargisch und reagiert nicht mehr, so besteht die große Gefahr einer schweren Ketoazidose, die auch lebensgefährlich werden kann.

Ketoazidose muss immer stationär behandelt werden

Eine Ketoazidose muss daher immer im Krankenhaus behandelt werden. Dort wird der Patient intensiv überwacht, die verlorengegangene Flüssigkeit wird durch Infusionen ersetzt – und Insulin wird in der Regel über eine Pumpe direkt intravenös gegeben. Auf diese Weise werden die Veränderungen in der Blutzusammensetzung korrigiert. Die Übersäuerung wird ausgeglichen, und der Blutzucker sinkt. Dabei verschieben sich oft auch wichtige Blutsalze wie Kalium, so dass hier gesondert Infusionen notwendig sind.

Wichtig ist, dass eine Ketoazidose langsam ausgeglichen wird, damit sich der Körper anpassen kann. Bei zu schneller Korrektur der Blutzuckerkonzentration kann es zu gefährlichen Verändungen im Gehirn kommen (z. B. einer Gehirnschwellung), die wiederum lebensbedrohlich ist. Eine Ketoazidose gehört daher in die Hände eines erfahrenen Intensivmediziners.

Bei Typ-2-Diabetes: das hyperosmolare Koma

Das hyperosmolare Koma bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ist das Gegenstück zum ketoazidotischen Koma bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Typ-2-Diabetiker haben immer noch kleine Insulinreste – also verhindert das Insulin die Entgleisung des Fettstoffwechsels; eine unkontrollierte Auflösung von Fettdepots mit der Folge der Übersäuerung des Blutes tritt bei diesen daher nicht auf, auch wenn der Blutzucker stark erhöht ist.

Damit tritt auch keine Übersäuerung des Blutes auf. Vielmehr führt der stark erhöhte Blutzucker zum Flüssigkeitsverlust und damit zur Austrocknung des Körpers. Dies kann ebenfalls lebensbedrohliche Folgen haben. Auch Menschen mit einem hyperosmolaren Koma gehören auf eine Intensivstation. Hier ist darauf zu achten, dass die verlorengegangene Flüssigkeit vorsichtig ersetzt wird. Auch ist es notwendig, den Blutzucker langsam durch Insulingabe zu korrigieren.

Beim hyperosmolaren Koma ist jedoch die Rehydrierung, das Wiederauffüllen der Flüssigkeitsspeicher, die wichtigere Therapie. Gerade wenn es sich um ältere Menschen handelt, kann ein falsches Infusionsschema zu starken Belastungen für das Herz und den Blutkreislauf werden. Deswegen ist auch das hyperosmolare Koma ein lebensbedrohlicher Zustand: Wer darunter leidet, der gehört auf eine gut ausgestattete Intensivstation.

Fazit

Sie sehen, dass auch mit der modernen Diabetestherapie immer noch Gefahren von einer Blutzuckerentgleisung ausgehen können. Schwere Blutzuckerentgleisungen sind mitunter lebensbedrohlich – daher sollten Sie auf eine gute Einstellung achten und gemeinsam mit dem Diabetologen auch ein Auge auf die Sicherheit der Therapie richten.

Schwerpunkt: Blutzuckerentgleisung

von Prof. Dr. Thomas Haak, Diabetes-Journal-Chefredakteur

 Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (6) Seite 16-21

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