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Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmun-Erkrankung. Wann, warum und wie genau die Autoimmun-Reaktion ausgelöst wird, die später im Leben zu Typ-1-Diabetes führt, ist bis heute nicht ausreichend geklärt. Große Langzeit-Studien liefern jedoch Hinweise darauf, dass Virus-Infektionen im frühen Kindesalter diese Autoimmun-Reaktion begünstigen können. Auch das Corona-Virus SARS-CoV-2 spielt dabei eine Rolle.
Lange, bevor die typischen Diabetes-Symptome auftreten, kann die Autoimmun-Erkrankung Typ-1-Diabetes bereits im Blut anhand von Insel-Autoantikörpern diagnostiziert werden. Diese dienen als Biomarker für die Autoimmun-Reaktion, die zur Erkrankung führt. Sind mehrere verschiedene Insel-Autoantikörper beständig nachweisbar, liegt bereits ein Typ-1-Diabetes im Frühstadium vor. Der Typ-1-Diabetes mit dem Symptom erhöhter Blutzuckerwerte wird sich dann in den folgenden Jahren manifestieren.
In großangelegten Langzeit-Studien beobachteten Forscherinnen und Forscher Kinder von Geburt an über bis zu 30 Jahre, um Risikofaktoren für das Entstehen von Autoimmunität und Typ-1-Diabetes herauszufinden. Diese Studien lieferten gute Hinweise dafür, wann und wie diese Insel-Autoantikörper erstmals auftreten – das Warum ist bisher jedoch weniger gut verstanden. Als gesichert gilt, dass es eine genetische Komponente gibt, die das Entstehen der Autoimmun-Reaktion beeinflusst.
Lena Schwenker ist Ernährungswissenschaftlerin und Molekularbiologin. Sie arbeitet als Wissenschaftskommunikatorin bei Helmholtz Munich – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, einem Großforschungszentrum mit Sitz in Neuherberg bei München.
Besonders in den ersten beiden Lebensjahren scheint es ein Zeitfenster zu geben, das entscheidend für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes ist. So treten die Insel-Autoantikörper am häufigsten erstmals zwischen dem 12. und 24. Lebensmonat auf. Das gilt insbesondere für Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes. Während der ersten Lebensjahre fördern offenbar bestimmte Umweltfaktoren das Entstehen der Autoimmun-Reaktion. Ein wichtiger Faktor scheinen Virus-Infektionen in dieser Zeit zu sein. Welche Viren konkret eine Rolle spielen, ist bisher weitgehend unklar.Jedoch gibt es einige verdächtige Kandidaten.
Neben weiteren Kandidaten wird insbesondere eine nicht abklingende Infektion mit dem Coxsackie-B-Virus mit Typ-1-Diabetes-Autoimmunität verbunden. Das Virus gehört zur Gattung der Enteroviren, die unter anderem Magen-Darm-Beschwerden, aber auch Atemwegs-Infektionen hervorrufen. Forschende halten es für wahrscheinlich, dass ein Befall der Insulin-produzierenden Beta-Zellen mit diesen Viren die Autoimmun-Reaktion auslösen oder vorantreiben könnte. Viren nutzen bestimmte Eiweiß-Moleküle auf der Oberfläche von Zellen als Eintrittspforte, um in Körperzellen einzudringen und sich dort zu vermehren. Interessanterweise haben auch die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse genau diese Oberflächen-Proteine, welche Coxsackie-Viren als Eintrittspforte nutzen.
Die Maßnahmen während der COVID-19-Pandemie zum Schutz vor einer Infektion schützten Kinder nicht nur vor dem Kontakt mit dem SARS-CoV-2, sondern auch der Kontakt zu sämtlichen anderen Viren wie Coxsackie-Viren wurde stark reduziert. Forschende stellten sich darum die Frage, ob die Schutzmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie die Fälle von Typ-1-Diabetes reduzieren würden. Entgegen ihren Erwartungenstieg die Neumanifestation von Typ-1-Diabetes bei Kindern jedoch während der Pandemie weiterhin an. Diese Beobachtung rückte das neuartige SARS-CoV-2 ebenfalls in den Kreis der Verdächtigen. Auch auf der Oberfläche der Beta-Zellen finden sich die ACE2-Rezeptoren, die dieses Corona-Virus als Eintrittspforte in die Zellen nutzt. SARS-CoV-2 kann somit die Beta-Zellen infizieren.
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) konnten das SARS-CoV-2 als einen möglichen Umweltfaktor für die Typ-1-Diabetes-Autoimmunität im jungen Kindesalter feststellen. Bei Kindern mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes aus fünf europäischen Ländern wurde ein Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und Typ-1-Diabetes beobachtet. Die über 1000 Kinder, die an der POInT-Studie von GPPAD teilnahmen, wurden vor und während der COVID-19-Pandemie in regelmäßigen Abständen auf Insel-Autoantikörper, Antikörper gegen SARS-CoV-2 und erhöhte Blutzuckerwerte untersucht.
GPPAD ist eine europäische Plattform, die Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes identifiziert. In Vorbeugungs-Studien möchte die Plattform herausfinden, wie das Auftreten von Insel-Autoimmunität und Typ-1-Diabetes bei diesen Kindern verringert werden kann. Die GPPAD-Forschungszentren sind in Belgien (Leuven), Deutschland (Dresden, Hannover, München), Polen (Warschau), Schweden (Malmö) und im Vereinigten Königreich (Newcastle, Cambridge).
Die Forschenden fanden bei Kindern, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, danach ein zweifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Insel-Autoantikörpern. Dieses Risiko war sogar um das Fünffache erhöht, wenn die Infektion vor dem 18. Lebensmonat stattgefunden hatte. Zudem wurde beobachtet, dass die Kinder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der Insel-Autoantikörper einen diskreten Anstieg der Blutzuckerwerte aufwiesen. Dies könnte indirekt auf eine Schädigung oder Funktions-Einschränkung der Beta-Zellen hinweisen – beispielsweise ausgelöst durch eine Virus-Infektion.
SARS-CoV-2 ist das erste Virus, das mit Typ-1-Diabetes in Verbindung steht und gegen das gleichzeitig ein wirksamer und zugelassener Impfstoff vorhanden ist. In einer neuen Studie möchte GPPAD den Zusammenhang daher genauer ergründen. In der AVAnT1A-Studie – kurz für “AntiViral Action against Type 1 diabetes Autoimmunity” – wird untersucht, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 im Alter von sechs Monaten das Entstehen von Insel-Autoantikörpern verhindern und damit das Risiko für Typ-1-Diabetes senken kann.
Ab dem sechsten Lebensmonat erhalten teilnehmende Kinder drei Impfungen gegen SARS-CoV-2 oder ein Placebo in Abständen von drei bis acht Wochen. Zusätzlich erfassen die Forschenden, mit welchen Viren aus der Umwelt die Kinder in Kontakt waren. Dafür sammeln teilnehmende Familien in regelmäßigen Abständen Speichel- und Stuhlproben ihrer Kinder. Die Forschenden können darin im Labor Virus-Bestandteile nachweisen und so auch unbemerkte Infektionen erfassen. Das ermöglicht es, weitere Zusammenhänge zwischen Typ-1-Diabetes und Virus-Infektionen im frühen Kindesalter zu erkennen.
Zur Teilnahme an der AVAnT1A-Studie werden Kinder eingeladen, die ein erhöhtes genetisches Risiko für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes haben. Teilnehmende Familien profitieren von regelmäßigen Kontroll-Untersuchungen, bei denen ein möglicher Typ-1-Diabetes frühzeitig erkannt werden kann.
Ob ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes besteht, wird im Freder1k-Neugeborenen-Screening getestet. Das Screening wird in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Thüringen bevölkerungsweit angeboten. Zudem können bundesweit Kinder getestet werden, die einen Verwandten mit Typ-1-Diabetes haben. Am Screening können Kinder bis zur sechsten Lebenswoche in der Kinderarztpraxis oder der Geburtsklinik teilnehmen. Ein Tropfen Blut aus der Ferse oder der Nabelschnur reicht hierfür aus. In diesem können Forschende bestimmte Gen-Varianten nachweisen, die mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes verbunden sind. Bis heute haben über 500 000 Neugeborene aus fünf europäischen Ländern am Freder1k-Screening teilgenommen. Kinder mit einem erhöhten Risiko werden zur Teilnahme an der AVAnT1A-Studie eingeladen.
Welche Viren tatsächlich eine Rolle für das Entstehen des Typ-1-Diabetes spielen, wird die Forschung der nächsten Jahre zeigen. Für Eltern gibt es daher zunächst keinen Grund zur Sorge: Eltern sollten die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen mit ihrem Kind wahrnehmen. Darüber hinaus raten Forschende vor übertriebenen Hygiene-Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen ab, denn Virus-Infektionen in der Kindheit trainieren das kindliche Immunsystem.
Es wird noch einige Jahre dauern, bis es gesicherte Möglichkeiten gibt, Kinder vor der Entwicklung einer Autoimmun-Reaktion zu schützen. Schon heute kann jedoch die Teilnahme an einem Programm zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes große Vorteile für Familien bieten. Dies haben Experten und Expertinnen des Fr1da-Konsortiums, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern und des PaedNetzes Bayern erst kürzlich in einem Positionspapier dargelegt. Durch die Teilnahme an Studien können Familien den Fortschritt der Forschung unterstützen.
von Lena Schwenker
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (8) Seite 28-31
5 Minuten
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