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Was ist alles zu beachten, wenn man einen Diabetes hat und immer älter und allmählich wirklich alt wird? Besonders zu beachten sind hier Veränderungen der Therapie. Diese hängen von vielen Faktoren ab: der Eigenständigkeit, dem körperlichen und geistigen Befinden, den Wohnverhältnissen und vielem mehr. Aber ein Nachlassen der Fähigkeiten muss nicht immer bedeuten, dass die Therapie einfacher werden sollte – manchmal kann auch sinnvoll sein, dass sie komplexer wird.
Alt werden ist nichts für Feiglinge, besonders dann, wenn Erkrankungen hinzukommen. Aber man kann heute auch mit chronischen Erkrankungen eine sehr gute Lebensqualität behalten. Im höheren Lebensalter ist der Diabetes eine der häufigsten chronischen Erkrankungen. Meist ist es ein Typ-2-Diabetes. Seltener sind alt gewordene Menschen mit Typ-1-Diabetes, auch wenn diese erfreulicherweise heute ebenfalls älter und alt werden. Und ganz selten sind Menschen, die im höheren Alter noch einen „LADA“, also einen spät aufgetretenen Typ-1-Diabetes, bekommen.
Therapieziele und -vorgehensweisen wurden bislang leider nicht wirklich individuell auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse Älterer ausgerichtet. Sowohl Ärzte als auch Betroffene wissen noch wenig über die Besonderheiten, die bei der Diabetestherapie im Alter eine Rolle spielen – dabei sind ca. 3 Millionen Menschen in Deutschland über 65 Jahre alt und haben einen Diabetes.
Im höheren Alter kommt es oft nicht mehr so sehr auf das Normalisieren der Blutzuckerwerte an, das HbA1c spielt eine deutlich geringere Rolle. Zusätzlich zum Diabetes liegen meist viele andere Krankheiten vor, die Menschen sind „multimorbid“. Heute verfügen wir über Diabetes-Medikamente, die nicht nur den Blutzucker senken, sondern darüber hinaus Organe wie Herz, Blutgefäße oder Nieren schützen. Die Aufgabe von Arzt bzw. Diabetesteam ist, für jeden die medizinisch geeignete Behandlung zu finden und mit den Menschen mit Diabetes individuell abzustimmen, denn neben medizinischen Zielen gibt es weitere.
Eine gute Diabetestherapie im Alter muss heute unbedingt auch die Möglichkeiten und Grenzen der Betroffenen selbst berücksichtigen. Vorhandene und fehlende Fähigkeiten und Möglichkeiten spielen vermehrt eine Rolle. So können Ältere mit Einschränkungen der Hirnleistung (Demenz) oder Beweglichkeit nicht mehr alle üblichen vorgeschlagenen Therapiemaßnahmen umsetzen. Mit speziellen Funktionsuntersuchungen, dem „geriatrischen Assessment“, lassen sich Fähigkeiten und Einschränkungen sehr gut erfassen und bei der Therapie berücksichtigen.
Seit März 2021 steht die aktualisierte Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes zur Verfügung. Diese sieht eine gemeinsame Zielsetzung vor, das sich etwas sperrig nennt „partizipative Entscheidungsfindung und Teilhabe in allen relevanten Lebensbereichen“. Dies bedeutet, dass Arzt und Betroffene gemeinsam die individuellen Therapieziele festlegen. Dabei werden verschiedene Bereiche individuell berücksichtigt, vor allem auch bei den HbA1c-Zielen (siehe folgende Abbildung).
Auch Menschen mit Typ-1-Diabetes sollten im Alter umdenken. Altersbezogene Erkrankungen, auch als geriatrische Syndrome bezeichnet, wie Demenz oder eingeschränkte Feinmotorik schränken viele Fertigkeiten zum Selbstmanagement dauerhaft ein. Diese aber benötigen Menschen mit Typ-1-Diabetes immer.
Sehr viele Menschen mit Typ-1-Diabetes führen eine intensivierte Insulintherapie oder eine Insulinpumpentherapie im jüngeren und mittleren Lebensalter durch. Bei geriatrischen Patienten stellt sich oft die Frage, ob eine solche Therapie weiterhin sinnvoll und möglich ist. Einfachere Therapieformen, mit denen die Therapie möglicherweise sicherer selbstständig durchzuführen ist, könnten dann Vorteile bieten.
Die Eigenständigkeit zu erhalten, ist ein ganz wichtiges Therapieziel. Die Injektion von Insulin durch andere, z. B. durch einen Pflegedienst, kann eine deutliche Reduktion der Lebensqualität bewirken. Ein Vereinfachen der Therapie kann allerdings zu größeren Blutzuckerschwankungen führen und – bei starren Insulinmengen – zu einem Verlust von Flexibilität, wie relativ freier Nahrungsaufnahme. Beim betagten Patienten mit Typ-1-Diabetes ist es daher sehr wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, an welchem eine Insulintherapie verändert werden muss.
Manchmal müssen langjährig eingesetzte Therapien, wie eine intensivierte Insulintherapie oder eine Insulinpumpentherapie, vereinfacht werden, um den Betroffenen eine sicherere Diabetestherapie zu bieten. In anderen Fällen ist mit der Zunahme der Funktionsprobleme, z. B. Ess- und Schluckstörungen, eine sehr viel komplexere Insulintherapie erforderlich. Neuere langwirksame Insuline können hier sinnvoll eingesetzt werden. Die individuelle Vorgehensweise, aber auch die individuelle Schulung der Pflegenden, z. B. in der Altenpflege, spielen hier eine sehr wichtige Rolle.
Alte Menschen mit Typ-1-Diabetes benötigen eine enge Begleitung durch informierte Angehörige und das professionelle Behandlungsteam. Hilfsangebote sollten regelmäßig gegeben werden. Dazu gehören Angebote, auf eine intensivierte Insulintherapie mit festem Schema und Korrekturtabelle umzustellen, eine durch einen Pflegedienst übernommene Insulintherapie, bis eine akute Erkrankung vorüber ist, oder die Ausstattung mit einem Notrufsystem, um schnell Hilfe anfordern zu können.
Manchmal sind auch Kompromisse aus teilintensivierter Therapie mit ein bis zwei Korrekturzeiten und sonst festen Dosen sinnvoll. Beachtenswert ist, dass z. B. beim Umzug in eine Pflegeeinrichtung mitunter sogar komplexere Therapieformen beibehalten oder wieder aufgenommen werden können.
Den idealen Zeitpunkt für eine Übernahme der Insulintherapie durch die Familie oder einen Pflegedienst gibt es nicht. Nicht selten kommen Betroffene erst nach den ersten „Betriebsunfällen“ mit schweren Hypoglykämien zu der Erkenntnis, dass es besser ist, wenn andere die Therapie übernehmen.
Zukünftig könnte möglicherweise auch durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Apps oder intelligenten Blutzuckermessgeräten oder Insulinpens ein Erfassen der tatsächlich durchgeführten Insulintherapie ermöglicht werden. Aus ethischer Sicht ist hier natürlich zu beachten, dass dies nicht in eine Kontrolle umschlagen darf. Des Weiteren ist immer daran zu denken, dass die Eigenständigkeit im Selbstmanagement nicht nur von Menschen mit Typ-1-Diabetes im Alter einen sehr hohen Stellenwert hat, denn ihr Verlust zählt zu den wesentlichen einschneidenden negativen Ereignissen im Alterungsprozess.
Eine Umfrage unter Menschen mit Typ-1-Diabetes in Deutschland im Jahr 2018 ergab, dass sich nur weniger als die Hälfte der Betroffenen eine Betreuung im Pflegeheim vorstellen kann. Deutlich wird auch, dass sich die meisten, die jahrzehntelang eine Insulinpumpentherapie betrieben haben, keine konventionelle Insulinbehandlung wünschen. Eine Lösung könnte sein, Wohngemeinschaften für alt gewordene Menschen mit Typ-1-Diabetes zu errichten, wie es sich in besagter Umfrage 33 %, also ein Drittel der Teilnehmenden, wünschen würden.
von PD Dr. med. Andrej Zeyfang
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (11) Seite 22-24
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