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Früher hieß es: Wer Diabetes hat, jung ist und schlank, hat einen Typ-1-Diabetes. Und wer älter ist und dick zum Diagnosezeitpunkt, hat einen Typ-2-Diabetes. Längst ist es aber so, dass auch viele Typ-1-Diabetiker übergewichtig sind, was an unserem Lebensstil liegt. Mehr Bewegung wäre ein Ansatz – mit vielen Besonderheiten.
Ärzte sehen im Alltag aktuell immer mehr Typ-1-Diabetiker, die auf den ersten Blick dem Typ-2-Diabetes zugeordnet werden: Sie haben mehr oder weniger ausgeprägtes Übergewicht! Die Ursachenforschung ergibt meist relativ einfache stereotype Antworten:
Insulin ist ein Wachstumshormon; nur wer regelmäßig Sport treibt und sich gesund ernährt, bleibt auch als Typ-1-Diabetiker auf Dauer schlank. Die meisten Menschen schaffen das heute nicht; Risiken drohen wie Gewichtszunahme mit Entwicklung einer Insulinunempfindlichkeit (Resistenz) besonders der Muskulatur. Gleichzeitig muss oft die Insulindosis gesteigert werden!
Wer als Typ-1-Diabetiker regelmäßig Ausdauersport treibt, profitiert – die Muskulatur kann so besser den Zucker aufnehmen. Die möglicherweise schon vorhandene muskuläre Insulinresistenz wird verbessert – der regelmäßige Sport dient hier also nicht nur der Steigerung der Lebensqualität, sondern er wirkt auch positiv auf den Gesamtorganismus. Sport ist deshalb nicht nur bei Typ-2-Diabetes zur Verbesserung der Insulinresistenz und zur Gewichtsreduktion sinnvoll.
Andererseits bringt gerade der Sport den Blutzucker oft sehr durcheinander – besonders wenn die Wirkungen des Insulins bei Bewegung nicht beachtet werden. Starke Blutzuckerschwankungen sind aber gerade bei bereits vorhandenen Netzhautveränderungen und beginnenden Nieren- oder Nervenschäden dringend zu vermeiden – deshalb gilt: Typ-1-Diabetiker müssen beim Sport der Tatsache Rechnung tragen, dass sie einen absoluten Insulinmangel haben.
In dieser Situation kann der Blutzucker nicht ins Gewebe (Muskel, Fett etc.) aufgenommen werden und trotz Sports steigt der Blutzucker weiter. Das müssen Typ-1-Diabetiker, die regelmäßig Sport treiben, unbedingt berücksichtigen. Diabetiker, die Extremsportarten wie Triathlon, Tauchen oder Marathon durchführen, müssen deshalb besonders geschult sein – und sehr gut trainiert im Umgang mit Sport und Diabetes.
Bezüglich der aktuellen Blutzuckereinstellung kann Sport bei Typ-1-Diabetikern auch paradoxerweise sehr negative Auswirkungen haben wie Unterzuckerungen, Entgleisungen, starke Schwankungen. Bei körperlicher Belastung steigen zunächst zahlreiche Hormone an, die alle Gegenspieler des Insulins sind: zunächst die Hormone der Nebenniere (wie Adrenalin), dann Glukagon, Kortison und auch das Wachstumshormon.
Diese führen zum einen dazu, dass die Muskulatur mehr Zucker aufnehmen und so besser verarbeiten kann – zum anderen führen sie zu einem Anstieg des Blutzuckers durch Neubildung aus Eiweiß (Glukoneogenese) und durch vermehrte Zuckerausschüttung aus der Leber, (Glykogenolyse).
Wie auch bei Typ-2-Diabetikern nimmt durch körperliche Aktivität die Insulinempfindlichkeit der Muskulatur zu – so dass auf Dauer bei regelmäßigem Ausdauersport bei Typ-1-Diabetikern die zu spritzende Gesamt-Insulinmenge abnimmt (Insulinspareffekt). Bei einem Nichtdiabetiker wird automatisch zu Beginn der körperlichen Belastung die Insulinproduktion und -ausschüttung um 50 bis 70 Prozent herunter-, die Produktion von Glukagon dagegen hochgefahren.
So wird die Leber in die Lage versetzt, während des Sports Zucker nachzuschießen – um Unterzuckerungen zu verhindern. Typ-1-Diabetiker müssen deshalb bei normalem Blutzuckerausgangswert, unter Umständen aber auch bei höheren Ausgangswerten, die Insulindosis vor dem Sport reduzieren und bei länger andauerndem Sport auch dabei.
Auch Typ-1-Diabetiker bemerken die steigende Insulinempfindlichkeit beim Sport manchmal daran, dass der Blutzucker abfällt, wenn nicht vorher die Insulindosis reduziert worden ist (Unterzuckerungs-Gefahr!). Bei hohen Blutzucker-Ausgangswerten eines ansonsten gut eingestellten Diabetikers kann es allerdings zu Beginn des Sports zu einer scheinbar paradoxen Blutzuckersituation kommen: Im Insulinmangel ist die Produktion von Zucker aus der Leber bereits etwa verdoppelt; unter körperlicher Belastung steigt der Zucker (durch Stresshormone) noch weiter, auch durch die zusätzliche Ausschüttung von Adrenalin etc. – und kann nicht verbrannt werden; es fehlt ja Insulin!
Nächste Seite: Was bei hohen Blutzuckerwerten zu tun ist und was bei der Insulingabe zu beachten ist, um Unterzuckerungen zu vermeiden.
Liegt der Blutzucker vor dem Sport über 250 mg/dl (13,9 mmol/l), muss unbedingt der Urin auf Ketone getestet werden. Ist dieser 2-fach positiv, weil der Körper bereits auf Fette als Energiequelle zugegriffen hat, besteht ein echter Insulinmangel – Sie dürfen keinen Sport treiben; zuerst muss die Stoffwechselsituation normalisiert werden, wie Sie es in der Schulung gelernt haben. Sonst würde durch den Insulinmangel der Blutzucker beim Sport womöglich Richtung ketoazidotischem Koma entgleisen.
Vor dem Sport sollte die Insulindosis reduziert werden – um wie viel, ist individuell auszuprobieren. Gleichzeitig sollten mehr Kohlenhydrate vor und nach dem Sport und währenddessen gegessen werden. Auch noch lange nach dem Sport (in der Nacht, am späten Morgen des folgenden Tages) kann es zu Spätunterzuckerungen kommen: Die Leber füllt ihren Zuckervorrat, den sie während des Sports zur Verfügung gestellt hat, wieder auf – dadurch sinkt die Zuckerkonzentration im Blut später wieder ab.
Gerade bei Sport am späten Nachmittag oder Abend sollte unbedingt auch das Basalinsulin zur Nacht (Bedtime-Insulin) reduziert werden. Und auch bei normalem Blutzucker sollten weitere Zusatz-Kohlenhydrate vor dem Schlafengehen gegessen werden; womöglich sollten Sie auch nachts den Blutzucker kontrollieren. Der genaue Bedarf an Zusatz-Kohlenhydraten und die Menge an Insulin, um die reduziert werden muss, kann nur durch ausprobieren ermittelt werden – Versuch und Irrtum – und Erfolg!
Mögliche Anzeichen einer Unterzuckerung:
Menschen speichern Fett als Bauchfett (viszerales Fett), als Unterhautfettgewebe (subkutanes Fett) und auch innerhalb der Skelettmuskulatur zum Beispiel am Oberschenkel. Untersuchungen bei Typ-1-Diabetikern haben gezeigt, dass durch regelmäßigen Ausdauersport die muskuläre Insulinresistenz gebessert und so eine deutliche Steigerung der Zuckeraufnahme in die Muskulatur erreicht werden kann. Eine verbesserte Durchblutung scheint ebenfalls dafür verantwortlich zu sein.
Durch regelmäßigen Ausdauersport können also auch Typ-1-Diabetiker Fett abbauen und die Insulinempfindlichkeit steigern; das führt langfristig zu einer Reduktion der Gesamt-Insulindosis. Durch Ausdauertraining kann so die Größe der Glukagonspeicher in Muskulatur und Leber oft mehr als verdoppelt werden.
Regelmäßig sporttreibende Typ-1-Diabetiker sind fitter als andere und senken dadurch das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall etc. Sport birgt aber auch Risiken: Deshalb sollten sich Extremsportler (Marathon, Tauchen) vor einem Start umfassend untersuchen lassen. Der regelmäßige Kontakt mit bereits Extremsport ausübenden Diabetikern ist dringend zu empfehlen, z. B. über die IDAA Deutschland (www.idaa.de).
Merke: Für das Ausmaß der Insulinreduktion ist also immer wichtig zu wissen: Wann ist die Hauptwirkung meines Insulins? Denn zu diesem Zeitpunkt besteht bei Sport auch das größte Risiko für eine Unterzuckerung! Deshalb auch: Insulindosis reduzieren!
Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 / 8 21-0 sowie
Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 /8 5-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2013; 62 (5) Seite 46-49
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