Typ-2-Diabetes: Umsteigen auf Insulin

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Typ-2-Diabetes: Umsteigen auf Insulin

Eine Therapie mit Insulin ist heute bei Menschen mit Typ-2-Diabetes wegen moderner Therapie-Optionen oft erst später nötig als in früheren Zeiten. Dann aber ist es gut, darüber Bescheid zu wissen – für normnahe Glukosewerte.

Der Fall
Peter S., 74 Jahre alt, Gewicht 120 kg, Raucher und seit 20 Jahren Typ-2-Diabetes, hatte plötzlich Fieber und einen nicht mehr beherrschbaren Husten mit massivem gelblichen Auswurf – eine Einweisung ins Krankenhaus war unumgänglich. Seinen Diabetes hatte er bisher mit Tabletten behandelt, ihm aber nicht sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. “Der Blutzucker ist 420 mg/dl (23,3 mmol/l)”, sagte der zuständige Stationsarzt. Eine Lungenentzündung konnte ausgeschlossen werden, jedoch waren Antibiotika über eine Vene erforderlich und er bekam Insulin zur Behandlung seines Diabetes.

Auch nach fünf Tagen Therapie war er noch nicht ganz beschwerdefrei. Das Insulin lernte er einmal täglich in Form eines Basalinsulins zu spritzen. Die Blutzuckerwerte waren damit wieder fast normal. Seine Diabetes-Tabletten sollte er weiter einnehmen und er bekam zusätzlich eine Tablette, die auch bei Nieren-Veränderungen und einer Herzschwäche helfen sollte. Man riet ihm, zum Diabetologen zu gehen und Gewicht abzunehmen. An das tägliche Spritzen des Insulins unter die Haut am Bauch hatte er sich bei der Entlassung aus der Klinik schon fast gewöhnt.

Wir haben zwar jetzt schon seit 103 Jahren das Hormon Insulin zur Behandlung von Menschen mit Diabetes zur Verfügung, aber noch immer muss das Insulin aktiv per Spritze/Pen oder Katheter meist in das Unterhautfettgewebe gespritzt bzw. abgegeben werden. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes gilt das ab dem Tag der Diagnose das ganze Leben lang, bei Menschen mit Typ-2-Diabetes je nach Phase ihres Diabetes und/oder auch je nach Körpergewicht – manchmal auch nur vorübergehend. Wenn das Gewicht bei Typ-2-Diabetes drastisch reduziert wird – durch Umstellen der Ernährung, Reduktion von Kalorien und mehr regelmäßige Bewegung –, kann über viele Jahre sogar eine “Remission” des Diabetes erreicht werden. Dabei bewegen sich die Glukosewerte im normnahen Bereich, ohne dass Medikamente erforderlich sind.

Auch wenn eine Behandlung mit Insulin begonnen wurde, z. B. im Rahmen einer Behandlung im Krankenhaus nach einer Operation oder beim Diabetischen Fuß-Syndrom mit einer entzündeten Wunde, kann nach Abklingen der zusätzlichen Erkrankung eventuell wieder für lange Zeit auf eine Therapie mit Insulin verzichtet werden, manchmal sogar für immer.

Insulin zu spritzen, hat seinen “Schrecken” verloren

Der Beginn einer Therapie mit Insulin hat heute zum Teil seinen “Schrecken” verloren: Mit modernen sehr feinen und kurzen Kanülen mit einer Länge von 4 bis 5 Millimeter sind die Injektionen meist schmerzfrei, aber immer noch kein “Kinderspiel”. Sich selbst Insulin mit einer Kanüle zu injizieren, bedeutet immer noch, sich selbst überwinden zu müssen, trotz Einsicht in die Notwendigkeit.

Gerade für ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes, die oft mit Tabletten über eine lange Zeit normnahe Glukosewerte erreichen konnten, sind die wegen dann dauerhaft erhöhter Glukosewerte notwendige Insulintherapie und die damit verbundenen Injektionen ein Thema. Um durch die Umstellung tatsächlich normnähere Werte zu erreichen, müssen viele Dinge berücksichtigt werden.

Was beim Insulin-Start zu berücksichtigen ist

Da die meisten Menschen mit Typ-2-Diabetes in der hausärztlichen Praxis versorgt werden, muss auch die “neu angefangene Insulintherapie” dieser Tatsache Rechnung tragen. Ebenso muss von Anfang an berücksichtigt werden, ob der Mensch mit Diabetes noch selbst spritzen kann und auch den von Ärztin oder Arzt erstellten Plan für die Spritz-Zeiten und -Mengen versteht oder ob Hilfspersonen wie Angehörige oder ein Pflegedienst erforderlich sind. Zu berücksichtigen ist auch, dass Menschen, die neu mit einer Insulintherapie beginnen, ggf. auch unterschiedliche Insulinsorten unterscheiden können.

Menschen im Alter von 85 Jahren aufwärts sind die gegenwärtig am schnellsten wachsende Altersgruppe in Deutschland. Oft liegen neben dem Diabetes zahlreiche Begleit-Erkrankungen vor und es bestehen schon Einschränkungen, die beim Umstellen auf Insulin berücksichtigt werden müssen. Solche Einschränkungen sind z. B.:

  • reduzierte Beweglichkeit (Immobilität),
  • unsicheres Stehen und Gehen (Instabilität), was das Risiko für Stürze erhöht,
  • Harn- und Stuhl-Inkontinenz,
  • viele zusätzliche Medikamente (Polypharmazie),
  • Mangel- bzw. Fehlernährung, oft durch fehlenden Appetit,
  • Einsamkeit,
  • Beeinträchtigung des Sehens, Hörens und der Feinmotorik der Finger.

Betroffene können Bedenken haben

Auch von Seiten der Betroffenen kann es Gründe gegen eine Therapie mit Insulin geben, die oft psychischer Natur sind:

  • persönliche Überzeugung, “es nicht zu schaffen”,
  • Überzeugung, dass durch den Beginn einer Therapie mit Insulin Komplikationen aufgrund des Diabetes auftreten werden,
  • bedrückendes Gefühl, mit Insulin ernsthaft erkrankt zu sein,
  • Angst vor zeitlicher Abhängigkeit durch festgelegte Injektions- und Ess-Zeiten,
  • unüberwindbare Angst vor der Injektion,
  • Angst vor Unterzuckerungen (Hypoglykämien),
  • Angst vor beruflichen Einschränkungen,
  • Angst vor Gewichtszunahme,
  • Angst, in der Öffentlichkeit zu spritzen, nicht mehr essen gehen oder reisen zu können,
  • Insulin als Strafe für angebliche “Diätsünden” empfinden,
  • Gefühl von Versagen, weil bisherige Therapien nicht mehr funktionieren.
Unterschiedliche Insulin-Konzentrationen
Insulin als Medikament gibt es in unterschiedlichen Konzentrationen:
  • 100 Einheiten pro MIlliliter (U100-Insulin): Angeboten wird es in Flaschen zum Aufziehen mit einer Spritze, in Patronen für wiederverwendbare Insulipens und in Fertigpens.
  • 200 Einheiten pro Milliliter (U200-Insulin) und 300 Einheiten pro Milliliter (U300-Insulin): Diese höher konzentrierten Insuline gibt es ausschließlich in Fertigpens, um Verwechslungen auszuschließen.

Welche Insuline sind beim Start sinnvoll?

Sehr lang wirksame Insuline

Für Menschen mit Typ-2-Diabetes ist das lang wirksame Analoginsulin Insulin degludec (Handelsname: Tresiba) eine sinnvolle Therapie-Option. Es besitzt ein sehr flaches Wirkprofil und hilft so, das Risiko für Hypoglykämien zu reduzieren, besonders auch nachts. Es hat eine Wirkdauer von mehr als 42 Stunden. Auch die einmal tägliche Gabe zu einer regelmäßigen, aber selbst gewählten Tageszeit macht es sehr nützlich und sinnvoll.

Die Therapie wird oft mit 10 Einheiten Insulin begonnen, kann individuell aber abweichen. Wie hoch der Bedarf an Insulin im Einzelfall ist, hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel kann der Insulinbedarf durch die gleichzeitige Einnahme von weiteren Blutzucker-senkenden Medikamenten niedriger sein als ohne diese ergänzenden Medikamente.

Auch Insulin glargin 300 Einheiten pro Milliliter (Toujeo) ist sehr sinnvoll, nicht zu verwechseln mit Insulin glargin 100 Einheiten pro Milliliter (Lantus, Abasaglar). Toujeo führt wie Tresiba zu weniger Unterzuckerungen, besonders nachts. Auch dieses Analoginsulin wird einmal täglich gespritzt und führt zu einer gleichmäßigen Senkung des Blutzuckers. Außerdem zeigt es weniger tageszeitliche Schwankungen der Insulinwirkung.

Höher konzentrierte kurz wirksame Analoginsuline

Für Menschen mit Diabetes, die hohe Insulindosen benötigen, wie sehr übergewichtige Menschen und solche, bei denen Insulin nicht gut wirkt (Insulin-resistente Menschen), ist höher konzentriertes kurz wirksames Analoginsulin sinnvoll wie Insulin lispro mit 200 Einheiten pro Milliliter (Handelsnamen: Humalog 200 Einheiten/ml, Liprolog 200 Einheiten/ml, und Lyumjev 200 Einheiten/ml). In einem Milliliter Lösung sind dabei 200 Einheiten Insulin.

Es gibt das Insulin ausschließlich in Fertigpens, um eine Verwechslung mit den niedriger konzentrierten Präparaten mit 100 Einheiten pro Milliliter zu verhindern. Die zu spritzenden Einheiten werden direkt am Fertigpen eingestellt – ohne dass wegen der höheren Konzentration etwas umgerechnet werden muss! Das zu spritzende Volumen hat sich durch die höhere Konzentration einfach halbiert, die Einheiten bleiben gleich. Durch das geringere Volumen wird das Insulin meist besser ins Blut aufgenommen.

Mischinsuline – human und analog

Die meistverwendeten Mischinsuline bestehen aus 25 bis 30 Prozent kurz wirksamem Insulin und 70 bis 75 Prozent lang wirksamem Insulin. Sie sind insbesondere für Menschen mit einem sehr geregelten Tagesablauf und geregelten Mahlzeiten empfehlenswert. Sie sind entweder Mischungen aus humanem lang wirksamem Insulin (NPH-Insulin) und einem entsprechenden humanen kurz wirksamen Insulin oder besser heutzutage kombiniert mit einem kurz wirksamen Analoginsulin (siehe Tabelle). Sie werden je nach Gewohnheiten beim Essen zwei- oder dreimal täglich gespritzt.

Tabelle: Verfügbare Insuline (Anbieter und Handelsnamen)

Wann ist Insulin bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sinnvoll?

Insulin wird bei starkem Übergewicht nach den neueren Leitlinien erst empfohlen, wenn mit der Einnahme von Diabetes-Tabletten (oralen Antidiabetika) wie Metformin und SGLT-2-Hemmern oder der Injektion von GLP-1-Rezeptor-Agonisten keine normnahen Glukosewerte mehr erreicht werden. Allerdings muss Insulin nach wie vor meist bei akuten Anstiegen der Glukosewerte z. B. im Rahmen von Entzündungen wie einer akuten Bronchitis oder einer Wunde bei Diabetischem Fuß-Syndrom eingesetzt werden, um die Glukosewerte wieder in den normnahen Bereich zu bekommen.

Zusammenfassung
Die Umstellung eines Menschen mit Typ-2-Diabetes von Tabletten auf Insulin stellt für diesen – oft aber auch für seine Angehörigen und/oder den behandelnden Arzt – eine Herausforderung dar. Zahlreiche Faktoren müssen für eine sinnvolle und effektive Therapie berücksichtigt werden. Da die Umstellung oft auch mehr Lebensqualität für die Betroffenen bedeutet, sollte man die “Schwierigkeiten” bei der Umstellung zwar sehen, aber sie sollten nicht dazu führen, eine sinnvolle Insulintherapie von vornherein auszuschlagen.

Autor:

Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologie/Diabetologie/Sozialmedizin
PrivAS Privatambulanz (Schulung)

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2024; 72 (3) Seite 32-36

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