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Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung – und viele Menschen sind davon betroffen, ohne es zu wissen. Ein EKG kann Aufschluss bringen, und es ist wichtig, das Herz dann auch wieder in den normalen Rhythmus zu bringen, zum Beispiel mit Medikamenten.
Herr P. war Lehrer; seit einem Jahr ist er in Pension. Bis dahin war sein Alltag sehr stressig – jetzt ist das nicht mehr so, und Herr P. ist viel ruhiger und ausgeglichener. Wegen seines Typ-2-Diabetes mit leichtem Übergewicht geht er nun auch regelmäßig spazieren.Trotzdem hat er jetzt manchmal sogar in Ruhe “ein komisches Gefühl” – als würde sein Herz besonders stark schlagen. Er fühlt sich öfter auch sehr abgeschlagen und müde, obwohl er sich mehr ausruht.
Und wirklich: Ein EKG beim Hausarzt zeigt, dass sein Herz unregelmäßig schlägt – der Hausarzt spricht von “schnellem Vorhofflimmern” und schickt ihn zum Herzspezialisten (Kardiologen). Nach einer elektrischen Kardioversion (Wiederherstellung des normalen Herzrhythmus) fühlt er sich nun wieder wohl – hoffentlich bleibt es so.
Herzrhythmusstörungen haben nicht nur herzkranke Menschen, sondern auch organisch Gesunde. Selbst bei gesunden Sportlern können solche Störungen auftreten. Herzrhythmusstörungen können auch ausgelöst werden durch eine unabhängig vom Herzen bedingte andere organische Erkrankung und auch durch psychische Störungen.
Vorhofflimmern ist die häufigste klinisch relevante Herzrhythmusstörung. In Deutschland ereignet sich im Schnitt alle 10 Minuten ein Schlaganfall, der durch Vorhofflimmern verursacht wird – das viele Betroffene nicht einmal bemerken.
In der Altersgruppe zwischen 55 und 59 Jahren kommt Vorhofflimmern bei etwa 0,7 Prozent vor, ansteigend auf 17,8 Prozent in der Gruppe der über 85-Jährigen. Laut Daten des Kompetenznetzes Vorhofflimmern (basierend auf Krankenkassendaten) leiden in Deutschland 1,8 Millionen Menschen (also 2,2 Prozent der Bevölkerung) an Vorhofflimmern – mit einer deutlichen Zunahme in den letzten Jahren.
Die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie aus dem Jahr 2016 empfehlen ein gelegentliches EKG-Screening auf Vorhofflimmern bei Patienten über 65 Jahre, insbesondere aber auch bei Menschen, die schon einen Schlaganfall oder eine vorübergehende Durchblutungsstörung hatten. Das EKG sollte ergänzt werden durch ein 24-Stunden- bzw. 3-Tage-EKG. Mit einem EKG (Elektrokardiogramm) werden die elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern aufgezeichnet.
Vorhofflimmern ist zwar eine den Herzrhythmus betreffende Störung, letztlich aber eine komplexe Erkrankung mit einem deutlich erhöhten Sterberisiko, insbesondere durch Schlaganfälle. Vorhofflimmern führt häufig zu einer Klinikeinweisung, vermindert die Lebensqualität und beeinträchtigt insbesondere auf längere Sicht auch die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen.
Bei Vorhofflimmern ziehen sich die Vorhöfe des Herzens durch eine fehlerhafte Erregungsleitung unregelmäßig zusammen. Das führt zu einer Art “Schaukeln” der Vorhöfe, mit manchmal unspezifischen Beschwerden wie Atemnot, Schlafstörungen, Müdigkeit, unruhigem Gefühl, Herzrasen, oft auch nur Unwohlsein. In vielen Fällen bleibt das Vorhofflimmern jedoch unerkannt, die Betroffenen bemerken nichts. Vorhofflimmern kann sowohl anfallsartig als auch chronisch auftreten, es kann aber auch spontan wieder aufhören.
Im Unterschied zum lebensgefährlichen Kammerflimmern, bei dem die Herzkammern schnell und unregelmäßig schlagen, ist Vorhofflimmern nicht direkt lebensbedrohlich. Es begünstigt jedoch das Auftreten von Blutgerinnseln (Thromben) im Gehirn, im Darm und in den Arterien der Beine.
zeitliche Klassifikation des Vorhofflimmerns | Symptome |
paroxysmales Vorhofflimmern | anfallsartiges Auftreten, spontanes Ende nach max. 7 Tagen |
persistierendes Vorhofflimmern | anhaltendes Vorhofflimmern, mehr als 7 Tage, elektrische und medikamentöse Überführung in einen normalen Herzschlag ist möglich |
langanhaltend persistierendes Vorhofflimmern | ununterbrochenes Vorhofflimmern für mindestens 1 Jahr, bevor die Entscheidung erfolgt zur Rhythmuserhaltung |
permanentes Vorhofflimmern | anhaltendes Vorhofflimmern, das sich weder elektrisch noch medikamentös in einen normalen Herzschlag überführen lässt |
Vorhofflimmern erhöht das Risiko für einen Schlaganfall um das Fünffache im Vergleich zu einem Menschen mit einem gleichmäßigen Herzrhythmus (Sinusrhythmus). Die Sterblichkeit durch Schlaganfälle, die durch Vorhofflimmern ausgelöst werden, ist besonders hoch. Die Sterblichkeit innerhalb eines Jahres nach einem Schlaganfall durch Vorhofflimmern liegt bei rund 50 Prozent, betrifft also jeden Zweiten! Blutgerinnsel findet man in etwa 20 Prozent aller Schlaganfälle im Zusammenhang mit Vorhofflimmern.
Um das individuelle Schlaganfall-Risiko bei Vorhofflimmern abschätzen zu können, benutzen Ärzte den CHA2DS2-VASc-Score, durch den das Risiko aufgrund verschiedener Faktoren ersichtlich ist (s. folgende Tabelle): Geringes Risiko liegt vor bei 0 bis 1 Punkt, mittleres Risiko bei 2 Punkten, hohes Risiko bei 3 bis 6 Punkten.
CHA2DS2-VASc-Score (die Buchstaben beziehen sich auf die englischen Begriffe) | ||
C | Herzinsuffizienz | 1 Punkt |
H | Bluthochdruck (Hypertonie) | 1 Punkt |
A2 | Alter 75 Jahre oder älter | 2 Punkte |
D | Diabetes mellitus | 1 Punkt |
S2 | vorangegangener Schlaganfall, TIA, Embolie | 2 Punkte |
A | Alter 65 bis 74 Jahre | 1 Punkt |
Sc | weibliches Geschlecht | 1 Punkt |
modifiziert nach den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Kardiologie |
Da etwa drei Viertel aller Menschen mit Diabetes in Deutschland an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, sollten insbesondere bei ihnen das Risiko intensiv kontrolliert und das Vorhofflimmern möglichst rechtzeitig entdeckt werden. Dies ist umso wichtiger, als es heute zahlreiche Möglichkeiten gibt, das Vorhofflimmern zu beheben oder, falls es nicht zu beheben ist, das Risiko für einen Schlaganfall (durch Blutgerinnsel) durch neue Medikamente zu reduzieren.
Bei anhaltenden Formen des Vorhofflimmerns versucht man zunächst, mit Medikamenten oder einem Elektroschock (Kardioversion) wieder einen normalen Herzrhythmus (Sinusrhythmus) herbeizuführen. Ist das Vorhofflimmern jedoch dadurch nicht zu beheben und es besteht schon Jahre, ist die Aussicht auf das Wiederherstellen eines normalen, regelmäßigen Sinusrhythmus meist gering.
Blutplättchenhemmer, z. B. ASS oder Clopidogrel, wurden nach den neuen Leitlinien aus dem Therapiearsenal zum Vorbeugen eines Schlaganfalls bei Vorhofflimmern gestrichen, da Studien zeigten, dass sie weniger effektiv sind im Vergleich zu den Gerinnungshemmern. An erster Stelle stehen heute die neuen NOAK, die Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien (s. folgende Tabelle). Grundsätzlich können Patienten mit Vorhofflimmern auch weiter mit Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumarbehandelt werden.
Nicht-Vitamin-K-abhängige Antikoagulantien (Gerinnungshemmer) | |
Wirkstoff | Handelsname |
Apixaban | Eliquis |
Dabigatran | Pradaxa |
Edoxaban | Lixiana |
Rivaroxaban | Xarelto |
Neben der Antikoagulation, also der Gerinnungshemmung, steht die Kontrolle der oft sehr hohen Herzfrequenz (merkbar am schnellen Puls) im Vordergrund. Hier hat sich durch die neuen Leitlinien nichts geändert. Die Ruhe-Herzfrequenz sollte unter 110 bzw. unter 90 Schlägen pro Minute liegen. Auf die technischen Möglichkeiten der Behandlung z. B. durch eine Elektrokardioversion oder das Unterbinden bestimmter elektrischer Bahnen im Herzen (z. B. die Hochfrequenzablation) soll hier nicht eingegangen werden.
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung, auch bei Diabetikern. Therapiert werden kann das Vorhofflimmern nur, indem es rechtzeitig entdeckt wird. Deswegen sollten bei Menschen im Alter über 65 Jahre regelmäßig EKG-Kontrollen bzw. auch Langzeit-EKG-Kontrollen durchgeführt werden, vor allem bei entsprechenden Beschwerden.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (11) Seite 26-29
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