Warum sind die Beine so dick?

4 Minuten

© MarsBars - iStockphoto
Warum sind die Beine so dick?

Unklare Beinschwellungen, Wasseransammlungen, Unterschenkel-Ödeme, Fett-Ödeme, Postthrombose-Syndrom: Wo ist denn da der Unterschied? Was steckt dahinter – und hat dies Auswirkungen auf die Behandlung?

Patientenbeispiel
Frau Petermann hat jetzt schon zum dritten Mal ihrer Freundin Marion den gemeinsamen Spaziergang abgesagt. Sie komme wegen geschwollener Füße nicht mehr in ihre normalen Schuhe, sie sei auch morgens wie gerädert, da sie nicht mehr so gut schlafen könne – außerdem bleibe die Luft oft weg.

Ihre Freundin Marion rät zu Kompressionsstrümpfen, diese hätten bei ihren eigenen Beinschwellungen rasch geholfen.

Unterschiedliche Formen

In unserem Beispiel von Frau Petermann und ihrer Freundin Marion liegen schon zwei der sehr häufigen, aber unterschiedlichen Formen von Wasseransammlungen (Ödemen) in den Beinen vor: Die Ödeme von Frau Petermann, kombiniert mit Luftnot beim Gehen, Schlafen nur noch im Sitzen möglich und morgendlicher Müdigkeit, sprechen für eine Herzschwäche (Herzinsuffizienz) als Ursache.

Die Beschwerden und Ödeme ihrer Freundin Marion waren dagegen eher auf ein Krampfaderleiden zurückzuführen (venöse Ödeme) – in diesem Fall sind Kompressionsstrümpfe tatsächlich das Mittel der Wahl.

Im Fall von Frau Petermann dürfen die Beinödeme dagegen auf keinen Fall mit Kompressionsstrümpfen behandelt werden – ihre Luftnot könnte dadurch plötzlich dramatisch schlechter werden, und es könnte sein, dass sie überhaupt keine Luft mehr bekommt – es also zu einer akuten Herzinsuffizienz kommt mit der Gefahr des Herz-Kreislauf-Versagens durch “Wasser” in der Lunge (Lungenödem).

Wasseransammlungen an den Beinen (Ödeme)

Definitionsgemäß handelt es sich bei Ödemen an den Beinen um Flüssigkeitsansammlungen im Zwischengeweberaum (Interstitium), die in geringer Form oft an der Schienbeinkante auftreten, besonders nach längerem Stehen und Sitzen und besonders bei Wärme – also gerade jetzt im Hochsommer oder nach einem warmen Bad etc.

Größere Wasseransammlungen an verschiedenen Stellen des Körpers nennt man generalisierte Ödeme, sie kommen vor beim liegenden Menschen oft im Bereich der Rückenpartien, beim gehenden Menschen im Bereich der Fußknöchel sowie auch der vorderen Schienbeinkanten.

Die Ursachen – eine Auswahl:

1. erhöhter Druck vor allem beim Stehen (hydrostatischer Druck!) in den kleinsten Blutgefäßen (Kapillaren oder Venen):

  • überall verteilt (generalisiert): z. B. bei einer Niereninsuffizienz und Rechtsherzschwäche (→ Rückstau des Blutes vor dem rechten Herzen in Leber, Magen und auch die Beine/Ödeme),
  • örtlich begrenzt (lokal/regional): venöse Blutstauung zum Beispiel nach oder bei einer Venenthrombose und folgender Venenschwäche (→ Kompressionsstrumpf),

2. zu wenig Eiweiß im Blut: Eiweiß dient dem Transport vieler Substanzen im Blut – es bindet auch Wasser! Eiweißmangel führt zu Eiweiß-Mangel-Ödemen:

  • Eiweißverlust z. B. durch eine Nierenerkrankung (nephrotisches Syndrom) oder Darmerkrankungen mit Eiweißverlust,
  • verminderte Eiweißzufuhr, z. B. Hungerödeme, spezielle Diätformen,
  • Eiweiß(Albumin)-Mangel durch verminderte Produktion in der Leber (z. B. Leberzirrhose),

3. Lymphödeme (Lymphstau) durch eine Funktionsstörung der Lymphgefäße (z. B. nach Operationen, Schwangerschaft etc.); gibt es angeboren (primär) oder erworben (sekundär); beim Lymphödem sind im Gegensatz zu den venösen Ödemen immer die Fußzehen mitbetroffen und massiv geschwollen (Kastenzehen); langfristige Therapie: komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE): Lymphdrainage, Kompressionstherapie und Bewegungstherapie,

4. Ödeme durch manche Medikamente (natürlich nicht bei jedem Menschen!), z. B. Kortison, Östrogene, Kalzium-Antagonisten, nichtsteroidale Antirheumatika (z. B. Voltaren etc.), Antidepressiva, Insulintherapie manchmal zu Beginn der Behandlung, Glitazone,

5. gesteigerte Durchlässigkeit der kleinsten Blutgefäße, z. B. bei Entzündungen, Allergien.

“Anamnese”: die wichtige Krankengeschichte

Durch gezieltes Befragen der Betroffenen (Anamnese) erhält der Arzt meist schon die entscheidenden Hinweise zur richtigen Diagnose:

  1. Treten die Ödeme z. B. während der Menstruation auf?
  2. Treten die Ödeme bei längerem Sitzen oder Stehen auf?
  3. Verschwinden die Ödeme wieder bei körperlicher Aktivität (bedeutet: kein besonderer Krankheitswert)?
  4. Ist der Betroffene vielleicht herzkrank, hat er eine Nierenerkrankung oder Lebererkrankung?
  5. Besteht Luftnot bei Belastung – oder sogar in Ruhe?
  6. Welche Medikamente nimmt der Patient ein?
  7. Hat der Patient an Gewicht zu- oder abgenommen? Wenn ja, in welcher Zeitspanne? Zum Beispiel in wenigen Tagen enorme Gewichtszunahme (Herzinsuffizienz!)?
  8. Traten Fieber, Infekte, allergische Reaktionen etc. auf?

Was kann man bei der Untersuchung finden?

Hier eine Auswahl dessen, was man bei eingehender Untersuchung finden kann:

  • Schwellung der Fußrücken und Unterschenkel,
  • die Schuhe drücken oder man kommt überhaupt nicht mehr hinein in den Schuh,
  • die Fingerringe passen nicht mehr,
  • oft deutliche Gewichtszunahme,
  • Luftnot (Dyspnoe) bis hin zur lebensbedrohlichen Luftnot bei massiver Wasseransammlung in der Lunge beim Lungenödem (Rückstau des Blutes in die Lunge),
  • manchmal auch geschwollene Augenlider,
  • Dellenbildung in der Haut bei Druck mit dem Daumen,
  • gestaute Halsvenen (oft sichtbar!).
Spezielle Ödeme
  • “Myxödem” bei Schilddrüsenunterfunktion (Ödem typischerweise nur an der Schienbeinkante)
  • Lipödeme (Fett-Ödeme) – meist in beiden Beinen und oft zusätzlich in den Armen; fast nur bei Frauen nach der Pubertät, spart die Fußrücken aus (siehe Bild oben).

Die Therapie

Die Behandlung der Ursache steht eindeutig im Vordergrund! Bei chronischen venösen Ödemen erfolgt eine Kompressionstherapie mittels Kompressionsstrümpfen und/oder ggf. Operation mit Sklerosierung bei Krampfadern.

Bei Ödemen durch eine Herzschwäche muss die Herzschwäche selbst behandelt werden, z. B. mit Entwässerungsmitteln (Diuretika), ACE-Hemmern, AT1-Blockern und ggf. Betablockern in kleinen Dosen, damit das Herz entlastet wird. Auf keinen Fall dürfen Kompressionsstrümpfe getragen werden. Diese sind hier gefährlich, weil durch die Kompression das “Wasserangebot” zum Herzen hin sogar zunimmt! Sollten Ödeme aufgrund von Nieren- bzw. Lebererkrankungen auftreten, muss die Grunderkrankung behandelt werden.

Typische bzw. notwendige Untersuchungen beim Arzt:
  • EKG
  • Herz-Ultraschall (Echokardiographie)
  • Röntgen der Lunge („Thorax“)
  • Ultraschall des Bauches (Sonographie, z.B. Wasser im Bauch, Leberstauung?!)
  • Laboruntersuchungen

Das Alter spielt eine Rolle

Wasseransammlungen finden sich natürlich auch mit zunehmendem Alter häufiger. Sie sollten Ihrem Arzt rechtzeitig Ihre Beschwerden wie Luftnot oder Gewichtszunahme etc. schildern und sich rasch untersuchen lassen. Eine regelmäßige Gewichtskontrolle z. B. kann manchmal rasch zur Diagnoseklärung führen.

Eine schnelle, massive Gewichtserhöhung gibt es nämlich praktisch nur im Rahmen einer Herzschwäche. Diese muss, wie unser Beispiel am Anfang zeigt, völlig anders behandelt werden als zum Beispiel ein Ödem aufgrund einer Thrombose oder eines Krampfaderleidens.

Seien Sie aufmerksam und gehen Sie rechtzeitig zu Ihrem Arzt!


Autor:
Dr. Gerhard-W. Schmeisl, Bad Kissingen

Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 / 8 21-0
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 /8 5-01

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2012; 61 (7) Seite 42-45

Ähnliche Beiträge

Diabetes-Anker-Podcast: Typ-1-Diabetes früher erkennen und sogar aufhalten – ist das möglich, Frau Prof. Ziegler?

Wie lässt sich Typ-1-Diabetes erkennen, schon bevor Symptome auftreten? Und was wird in der AVAnT1a-Studie untersucht – und mit welchem Ziel? Darüber sprechen wir im Diabetes-Anker-Podcast mit Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler.
Diabetes-Anker-Podcast: Typ-1-Diabetes früher erkennen und sogar aufhalten – ist das möglich, Frau Prof. Ziegler?

3 Minuten

Kommt es am Ende doch auf die Größe an?

Insulinpumpen werden immer kleiner – ein Fortschritt für viele, doch für manche Menschen mit Diabetes ein Problem. Community-Autor Daniel legt dar, warum Pumpengröße und Insulinmenge aus seiner Sicht entscheidend für individuelle Bedürfnisse bleiben.
Kommt es am Ende doch auf die Größe an? | Foto: privat

5 Minuten

Community-Beitrag

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Werde Teil unserer Community

Community-Frage

Mit wem redest du über deinen Diabetes?

Die Antworten auf die Community-Frage werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Bitte achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Push-Benachrichtigungen

notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert
notification icon
Aktiviere Benachrichtigungen auf dieser Seite, um auf dem laufenden zu bleiben, wenn dir Personen schreiben und auf deine Aktivitäten antworten.
notification icon
Du hast die Benachrichtigungen für diese Seite aktiviert