Was Insulin für mich bedeutet

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Was Insulin für mich bedeutet

Lena Schuster ist Psychologin und hat Typ-1-Diabetes. Sie schreibt regelmäßig im Diabetes-Journal die Diabetes-Kurzgeschichten über „Nina und den kleinen Melli“. In diesem Beitrag zum Schwerpunkt über das 100-jährige Jubiläum des lebensrettenden Hormons sagt sie, was Insulin für sie bedeutet.

Ich habe nun seit etwas mehr als sechs Jahren Diabetes. Obwohl das bezogen auf meine zu erwartende Lebenszeit eine relativ kurze Zeit darstellt, hat sich über die Jahre meine Sicht auf den Diabetes immer wieder gewandelt. Dadurch hat für mich Insulin auch viele verschiedene Bedeutungen: Wenn ich an Insulin denke, fallen mir positive wie negative Seiten ein.

Insulin: die Konfrontation mit meinen Gefühlen!

In der Anfangszeit habe ich primär schlechte Dinge mit Insulin assoziiert. Die Diagnose war ein Schock für mich und mein Umfeld. Tagtäglich wurde ich konfrontiert mit der neuen Lebenssituation, indem ich mich spritzen musste. Dadurch war zu Beginn Insulin für mich eine Konfrontation mit meinen Gedanken und Gefühlen: Wie sieht meine Zukunft aus? Wie soll ich das bloß schaffen? Wo bekomme ich Hilfe? Das waren die Gedanken, die hochkamen, wenn ich mich spritzen musste … und die zwischen den Mahlzeiten in den Hintergrund rückten. Es war schlicht und einfach ein Auf und Ab der Gefühle.

Das Setzen der ersten Spritze war für mich eine große Überwindung. Ich kann mich noch gut an diesen Moment erinnern. Ich saß in der Küche, vor mir ein Brötchen, das ich essen wollte. Mein Bruder, der seit seiner Kindheit Diabetes hat, stand neben mir. Gefühlt hielt ich fünf Minuten den Pen nur in der Hand, ohne dass ich mir Insulin verabreichen konnte.

Ich konnte mich nicht überwinden und bat schließlich meinen Bruder, mich zu spritzen. Erstaunt stellte ich fest, dass das bei Weitem nicht so schmerzhaft war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich spürte sogar fast nichts. Es dauerte nicht lange – und mich zu spritzen kostete mich keine Überwindung mehr. Es gehörte schnell zur täglichen Routine wie Zähneputzen.

Insulin als Symbol für Druckgefühl, Verantwortung, Grenzen

Mit den Jahren entstand phasenweise ein Druckgefühl, wenn ich meinen Pen sah. Es ging um die Verpflichtung, mich um meinen Körper zu kümmern. Aber auch die Verantwortung, gut für mich zu sorgen, wird für mich durch Insulin symbolisiert. So zeigt mir Insulin auch einfach die Grenzen meines Körpers auf, der unter diesem Aspekt anders funktioniert als bei den meisten Menschen. Ich kann nicht ohne Insulinspritzen auskommen, ich bin davon abhängig. Insulin macht mir diese Abhängigkeit bewusst.

Dennoch habe ich auch erkannt, dass Insulin eine große Chance für mich ist. Die Insulinentwicklung der letzten Jahre hat eine schnelle Dosierung und Verabreichung ermöglicht. Ich habe die Möglichkeit, all das zu tun, was ich möchte. Diese tolle Chance, ein nahezu normales Leben führen zu können, schätze ich sehr. Vor vielen Jahren war dies undenkbar. Menschen mit Diabetes konnten zu Beginn des letzten Jahrhunderts nicht einmal behandelt werden und verstarben. Ich verdanke dem Insulin mein Leben!

„Insulindosis wurde an einen ­einzigen Wert angepasst …“

Als ich die Diagnose bekam, verbrachte ich zehn Tage zur Einstellung des Diabetes in der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim. An einem Abend saß ich mit einem 80-jährigen Mann am Tisch, der seit 30 Jahren Dia­betes hatte und mir von früheren Behandlungsmethoden erzählte. Er berichtete, dass er jahrelang nicht selbst seinen Blutzuckerwert bestimmen konnte, sondern dafür zum Hausarzt gehen musste.

Ich erinnere mich noch an seine Worte: „Wenn ich zu spät war und zur Bahn rennen musste, hatte ich danach beim Arzt natürlich einen niedrigen Wert. Bin ich hingegen entspannt zum Termin, war der Wert höher. Und an diesen einen Wert wurde die Insulindosis angepasst.“

Mit Insulin das Leben wertschätzen

Auch wenn es mich mal nervt, mich zu spritzen, oder wenn es ab und an doch einmal schmerzhaft ist, bin ich einfach nur dankbar. Wenn ich an Insulin denke, sind die Überwindung, das Aufzeigen der Grenzen meines Körpers nicht von Bedeutung. Im Vordergrund für mich steht, dass ich Flammkuchenabende mit Freunden erleben darf, Rennrad fahren und Schokoladenmuffins essen kann.

Und diese drei Beispiele sind nur wenige von vielen, die aufzeigen, dass man natürlich auch mit einer Insulintherapie das Leben genießen und wertschätzen kann.


von Lena Schuster

Avatar von lena-schuster

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (7) Seite 22-23

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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