3 Minuten
Virale Infektionskrankheiten stehen im Verdacht, Typ-1-Diabetes zu verursachen. Wie aktuelle Forschungsergebnisse belegen, scheinen besonders Atemwegsinfektionen in der frühen Kindheit einen stärkeren Einfluss auf das Entstehen von Typ-1-Diabetes zu haben, als bisher angenommen.
Typ-1-Diabetes zählt mit etwa 3.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Welche Umweltfaktoren neben der genetischen Veranlagung eine Rolle beim Entstehen des Typ-1-Diabetes spielen, ist trotz intensiver Forschung weitgehend unverstanden.
Die dem Typ-1-Diabetes zugrundeliegende Inselautoimmunität entwickelt sich häufig bis zum dritten Lebensjahr, sodass mögliche Auslöser der Autoimmunerkrankung bereits in der frühen Kindheit zu suchen sind. Auch Infektionen stehen seit Jahren im Verdacht und daher im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen.
Im Rahmen der deutschen Langzeitstudie „BABYDIÄT“ untersuchten Wissenschaftler des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München und der Forschergruppe Diabetes der Technischen Universität München erstmals das Entstehen eines Frühstadiums des Typ-1-Diabetes und den möglichen Zusammenhang mit vorangegangenen Infektionen während der ersten drei Lebensjahre.
Dafür werteten die Wissenschaftler Daten von 148 Kindern mit einem erhöhten familiären und genetischen Typ-1-Diabetes-Risiko aus. Die Daten umfassten mehr als 1.200 Fälle von Atemwegsinfektionen, gastrointestinalen und anderen Infektionen sowie über 400 Fälle von Fieber, die bei Kindern innerhalb der ersten drei Lebensjahre auftraten. Zusätzlich wurden die Kinder alle drei Monate durch Messung der vier relevanten Inselautoantikörper auf ein mögliches Frühstadium des Typ-1-Diabetes untersucht.
Die Studie zeigte, dass Atemwegsinfektionen im ersten Lebensjahr und insbesondere in den ersten sechs Lebensmonaten das Risiko für die spätere Entwicklung eines Frühstadiums des Typ-1-Diabetes erhöhen. Im zweiten Lebensjahr auftretende Infektionen hingegen hatten keinen merkbaren Einfluss. Das Gleiche galt für das Auftreten von Fieber. Kinder mit einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes hatten zudem häufiger Atemwegserkrankungen innerhalb der sechs Monate vor Entstehen der Inselautoimmunität. Zu den Atemwegsinfektionen zählten auch Infektionen von Rachen, Nase oder Ohren.
Das Ergebnis konnte an einem bevölkerungsbasierten Datensatz der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns an knapp 300.000 Kindern aus der Allgemeinbevölkerung ohne bekanntes Risiko für Typ-1-Diabetes bestätigt werden. Auch in dieser Studie erhöhten vor allem virale Infektionen der oberen Atemwege in den ersten sechs Lebensmonaten das Risiko für ein späteres Entwickeln des Typ-1-Diabetes (siehe Abbildung).
Virale Atemwegsinfektionen in den ersten sechs Lebensmonaten und das Risiko für Typ-1-Diabetes hängen zusammen (modifiziert nach Beyerlein, JAMA 2016).
Die Auswirkung war dabei umso ausgeprägter, je häufiger die Infektionen bei einem Kind auftraten. Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Haut oder Augen sowie bakterielle oder durch Pilze verursachte Infektionen schienen im Gegensatz dazu keine Auswirkung auf das Typ-1-Diabetes-Risiko zu haben.
Der zeitliche Zusammenhang zwischen frühkindlichen Atemwegserkrankungen und dem erhöhten Risiko für ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes besteht besonders dann, wenn die Infektionen im Winter auftreten. Dies verdeutlichen Auswertungen der internationalen Geburtskohortenstudie „TEDDY“ an Daten von 7.869 Kindern mit einem genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes und über 87.000 dokumentierten Fällen von Atemwegsinfektionen, darunter gewöhnliche Erkältungen und grippeähnliche Erkrankungen sowie Nasennebenhöhlen-, Kehlkopf- oder Luftröhrenentzündungen.
Atemwegserkrankungen werden hauptsächlich durch Enteroviren verursacht. Diese konnten in einer kürzlich veröffentlichten internationalen Autopsiestudie bei 70 Prozent der untersuchten Typ-1-Diabetiker in den insulinproduzierenden Inselzellen der Bauchspeicheldrüse nachgewiesen werden. In der nichtdiabetischen Vergleichsgruppe hingegen traten Enteroviren nur bei 33 Prozent der Verstorbenen im Inselgewebe auf.
Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Rolle von Enteroviren in der Entwicklung des Typ-1-Diabetes stammt aus Untersuchungen von Kleinkindern mit einem genetisch erhöhten Typ-1-Diabetes-Risiko, die eine eingeschränkte Immunabwehr gegenüber Coxsackie-Viren, einer speziellen Art von Enteroviren, aufweisen und dies mit einer frühen Inselautoimmunität einhergeht.
Derzeit noch unklar ist, ob die erhöhte Anzahl an Infektionen bei Kindern mit einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes einzig das Resultat einer beeinträchtigten Immunantwort gegenüber Enteroviren ist – oder ob Virusinfektionen in der frühen Kindheit eine zum Typ-1-Diabetes führende Autoimmunreaktion auslösen. Hier sind weitere Forschungsarbeiten erforderlich.
von Dr. rer. nat. Ramona Lickert
Wissenschaftsmanagement, Postdoc,
Helmholtz Zentrum München, Institut für Diabetesforschung,
Heidemannstr. 1, 80939 München
E-Mail: ramona.puff@helmholtz-muenchen.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (6) Seite 40-41
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Beliebte Themen
Ernährung
Aus der Community
Push-Benachrichtigungen