- Behandlung
Weniger Unterzucker durch neue Techniken?
4 Minuten
Technische Innovationen – z. B. verbesserte Blutzuckermesssysteme, Insulinpumpen, kontinuierliche Glukosemessung (CGM) oder Flash-Glukosemessung (FGM) – können helfen, Unterzuckerungen (Hypogklykämien, abgekürzt: Hypos) zu vermeiden. Prof. Dr. Lutz Heinemann war an vielen Entwicklungen der letzten Jahre persönlich beteiligt. Im Interview spricht er auch darüber, was die Techniken der Zukunft bringen können.
Diabetes-Journal (DJ): Wenn man bei niedrigen Blutzuckerwerten den Blutzucker misst – wie sehr kann man den gemessenen Werten trauen?
Lutz Heinemann: Leider immer noch nicht besonders. Es gibt bisher wenige Untersuchungen, bei denen gezielt die Messgüte im niedrigen Blutzuckerbereich studiert wurde. Diese deuten auf beachtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Geräten hin. Hier gilt es dringend, genauer hinzusehen. Also, ich wäre bei Messwerten unterhalb von 65 mg/dl (3,6 mmol/l) vorsichtig, denn der wahre Wert kann durchaus nicht unerheblich anders sein.
DJ: Welche technischen Möglichkeiten gibt es, um mit einer Insulinpumpe in Zukunft noch besser Unterzuckerungen zu vermeiden?
Heinemann: In der Praxis sind viele Probleme, die bei Pumpen auftreten, durch mangelhafte Infusionssets bedingt. Verbesserungen hierbei sollten helfen, Blutzuckerschwankungen zu reduzieren, was aber erst in größeren klinischen Studien geklärt werden muss. Die Kopplung von Pumpen mit Glukosesensoren und die automatische Überwachung der Insulininfusion durch “clever” reagierende Pumpen werden meines Erachtens zu einer deutlichen Verminderung des Risikos von Unterzuckerungen beitragen.
Die Entwicklung geht schon in Richtung eines künstlichen Pankreas (künstliche Bauchspeicheldrüse), wo durch Abschalten der Insulinzufuhr oder durch gezielte Insulinabgabe nicht nur das Risiko von Unterzuckerungen hoffentlich vollständig vermieden werden kann, sondern gleichzeitig auch zu hohe Zuckerwerte. Solche Systeme wurden bereits unter alltäglichen Bedingungen erfolgreich getestet und sind bald auf dem Markt erhältlich.
DJ: Was haben wir von Studien zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) in Hinblick auf die Häufigkeit von Unterzuckerungen gelernt?
Heinemann: Wie uns verschiedene zusammenfassende Analysen der klinischen Studien mit CGM-Systemen gezeigt haben, führt die häufige Nutzung dieser diagnostischen Möglichkeit zu einer nachweisbaren Verminderung des Auftretens von Unterzuckerungen. Der Nutzer sieht, wie sein Glukoseverlauf ist, und kann entsprechend direkt reagieren. Diese Aussage gilt leider noch nicht für alle Formen der Insulintherapie; sie gilt vorrangig für Patienten, die bestimmte Insulinpumpen nutzen, und für erwachsene Patienten.
DJ: Können mit der Methode der Flash-Glukosemessung (FGM) Unterzuckerungen früher erkannt und vermieden werden?
Heinemann: Vermutlich hilft auch diese Methode, allerdings gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Beleg dafür – die Ergebnisse von klinischen Studien stehen noch aus. Dabei ist die Nutzergruppe dieser Methode eher anders als die bei CGM-Systemen. FGM wird viel von Patienten mit Typ-2-Diabetes angewendet, die bisher nur einige Male am Tag ihren Blutzucker gemessen haben, CGM-Systeme werden insbesondere von Patienten mit Typ-1-Diabetes genutzt.
DJ: Der große Traum von vielen Menschen mit Diabetes ist das Closed-Loop-System. Was verbirgt sich dahinter? Und kann dieser Traum tatsächlich bald Wirklichkeit werden?
Heinemann: Die konstanteste Aussage in den letzten 30 bis 40 Jahren bei diesem Thema war: “Solch ein System kommt in 2 bis 3 Jahren.” Wenn ich diese Aussage nun auch wieder mache (vielleicht geht es sogar noch schneller, aber nicht unbedingt in Deutschland!), dann läuft man schnell Gefahr, sich lächerlich zu machen. Trotzdem mache ich sie! Die Fortschritte in den letzten Jahren und die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung sind so rasch, davon hätten wir vor 5 Jahren kaum zu träumen gewagt. Ja, dieser Traum ist eigentlich (im Rahmen von klinischen Studien) schon Realität. Nun gilt es, ein Produkt basierend auf den aktuellen Entwicklungen zugelassen zu bekommen.
DJ: Welche sonstigen technischen Hilfen gibt es, um Unterzuckerungen zu vermeiden?
Heinemann: Eine Entwicklung, deren Auswirkungen ich noch nicht so ganz richtig einstufen kann, sind “Big Data” und die massiv weiter zunehmende Kommunikation “von allem mit allem”. In Zukunft werden die Smartphones vermutlich viel mehr Daten und Informationen sammeln als bisher. Eine “intelligente” Verknüpfung dieser Daten wird vielleicht erkennen, wie viel der Nutzer sich bewegt hat, oder ob beispielsweise die Menge an Kohlenhydraten, die er gegessen hat, nicht zu der Insulinmenge, die er spritzen will, passt und daher einen Alarm auslöst.
Denkbar ist auch, dass ein Smartphone registriert, wenn sich jemand nicht bewegt und gleichzeitig auch durch Messung der Körperwärme registriert, dass es der Nutzer bei sich trägt. Dies interpretiert das Smartphone unter bestimmten Bedingungen dann als eine schwere Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit und ruft Hilfe herbei, wobei es gleichzeitig den Ort anzeigt, wo sich die Person gerade befindet.
DJ: Was ist Ihr persönlicher Ratschlag an Menschen mit Diabetes bezüglich Unterzuckerungen?
Heinemann: Mein Ratschlag lautet, offen und gleichzeitig kritisch an neue technische Entwicklungen heranzugehen. Ich denke, wir sind erst am Anfang der Entwicklung. Durch weitere Verbesserungen bei den Systemen zum kontinuierlichen Glukosemessen – auch durch implantierbare Systeme – wird eine zuverlässige Überwachung der aktuellen Stoffwechselsituation möglich sein. Damit wird eine deutliche Verminderung des Risikos einer Unterzuckerung Realität werden.
DJ: Herr Heinemann, vielen Dank für das aufschlussreiche und hoffnungsvolle Gespräch.
- Wenn der Zucker zu tief ist
- Unterzuckert in der Nacht – was tun?
- Weniger Unterzucker durch neue Techniken?
Das Interview führte Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (12) Seite 34-35
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Ernährung
Beschränkungen der Lebensmittel-Werbung: Großbritannien macht’s vor
3 Minuten
- Aus der Community
Kolumne „Fernweh“: Auf nach „Gartanien“?
2 Minuten
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Community-Frage
Mit wem redest du
über deinen Diabetes?
Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.
Werde Teil unserer Community
Community-Feed
-
cesta postete ein Update vor 2 Tagen, 9 Stunden
Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa
-
sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 1 Woche, 5 Tagen
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
-
mayhe antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
-
sveastine antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
-
mayhe antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike
-
sveastine antwortete vor 2 Tagen, 21 Stunden
@mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid
-
mayhe antwortete vor 2 Tagen, 18 Stunden
@sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike -
sveastine antwortete vor 2 Tagen, 8 Stunden
@mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻♀️
-
mayhe antwortete vor 1 Tag, 18 Stunden
@sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike
-
mayhe antwortete vor 1 Tag, 18 Stunden
@mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.
-
-
stephanie-haack postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
-
lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Ich bin dabei 🙂
-

Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.
LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c
Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)