Angst ist unnötig …

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Angst ist unnötig …

Auf den Spuren von Ötzi entlang des Fernwanderwegs E5 quer über die Alpen – eine fordernde Tour mit oder ohne Diabetes. Alexander Hemmann hat sie mit Diabetes gemacht. Er schwärmt … und betont die wichtige Tour-Vorbereitung!

Sportliche Herausforderungen meistern, Berge erklimmen, an körperliche Grenzen gehen – völlig normal für viele junge Menschen; Wandern wird ja immer populärer. Was, wenn man Diabetiker ist? “Besonders intensiv vorbereiten, die Wandergruppe informieren, genug Kohlenhydrate und Diabetesbedarf ins Gepäck und dann los”, so Alexander Hemmann, Typ-1-Diabetiker. Die strahlenden Augen zeigen deutlich: Angst ist völlig unnötig. Und dann beginnt er zu erzählen:


Gestartet wurde in einer Gruppe mit 6 weiteren Teilnehmern: 2 Männer, 4 Frauen, alle ohne Diabetes. Auf dem Fernwanderweg E5 ging es von Oberstdorf nach Meran; allerdings nicht auf der regulären Tour, sondern über zwei ausgewiesene Alternativ-Routen. “Eine traumhafte Strecke mit saftig-grünen Wiesen, schneebedeckten Gletschern und wunderschönen Ausblicken auf die Alpen”, schwärmt der promovierte Geophysiker.

Übersetzt für Nichtkenner der Strecke heißt das: 25.000 Höhenmeter überwinden, Temperaturen von -5 und 35 °C aushalten, Regen, Schneefall auf dem Gletscher wegstecken, pralle Sonne auf den Almen erleben, über Klettersteige den Gipfel erklimmen… und das in 9 Tagen mit 10,5 Kilo auf dem Rücken. Ergibt: 60 Stunden reine Laufzeit, nachhaltige Eindrücke und pure Lebensfreude. Immer dabei 4 Kilo Kohlenhydrate in Form von Powerriegeln, Gummibärchen und Keksen zusätzlich zu den 6 Kilo normalen Gepäcks.

Alle Achtung, eine stolze Leistung

Mit 30 Jahren erhielt Dr. Alexander Hemmann die Diagnose: Diabetes Typ 1. Für ihn war das von Beginn an kein Grund zur Unruhe. Er informierte sich darüber, machte Schulungen und trat in den Deutschen Diabetiker Bund, Landesverband Baden-Württemberg ein. Seither engagiert er sich aktiv in der Selbsthilfe.

Die Wanderung in den Bergen war für ihn genauso wie für jeden anderen aus der Wandergruppe eine besondere Herausforderung: Von Oberstdorf ging es zur Kemptner Hütte, von dort zur Memminger Hütte, auf die Galflunalm, zur Verpeilhütte, über die Kaunergrathütte zur Braunschweiger Hütte, nach Vent (im Ort), dann zur Similaunhütte und runter nach Meran. Start war täglich um 6.30 Uhr. Meistens war das Ziel spätestens 18 Uhr erreicht.

Diabetes? Tourplanung ist auch ohne nicht ganz einfach!

“Eine Tourplanung in den Alpen für Menschen auch ohne Diabetes ist nicht einfach”, sagt Hemmann, der viel Erfahrung mit hochalpinen Touren hat. Beachtet bzw. eingeschätzt werden müssen Gehgeschwindigkeit, Pausen, Ausrüstung, Wetterbedingungen – und dass alle, auch die Nichtdiabetiker, regelmäßig essen. So können Notfälle verhindert werden. Und ein Notfall wäre fast eingetreten – eine Teilnehmerin wäre beinahe umgekippt. Diagnose: zu wenig gegessen.

Da der aus Thüringen stammende 40er keine Pumpe trägt, musste wegen der körperlichen Belastung die ICT ständig angepasst werden. Für ihn bedeutete das, die Basalrate um 60 Prozent zu reduzieren, die Faktoren fürs kurzwirksame Insulin während der Wanderung um 80 Prozent und am Abend um 50 Prozent abzusenken – wobei er immer darauf achtete, noch genügend Insulin zu injizieren.

Pflicht: stündliches Messen während der Wanderung

Aus der Erfahrung bei anderen Touren war klar, dass mindestens pro Stunde 2 BE Nachschub zusätzlich zum normalen Essen nötig waren. Während der Wanderung war stündliches Messen Pflicht. Dafür hatte er auch ausreichend Stechhilfen mitgenommen – die mehr und mehr auch als steriles Öffnungsmittel für Wasserblasen an den Füßen der Damen eingesetzt wurden: “Das habe ich in meiner Planung der Tour für alle Teilnehmer zwar nicht vorgesehen, war aber äußerst hilfreich”, schmunzelt er.

Die Similaunhütte wurde schon zum Mittagessen erreicht. Und während einige Gruppenmitglieder den 90 Minuten entfernt liegenden Ausgrabungsort des Ötzis besuchten, wagte Hemmann gemeinsam mit einem der Teilnehmer den schwierigen Aufstieg zum Gipfel des Similaun auf 3 619 Metern. Die dünne Luft machte dem lebhaften Unternehmer keine Probleme. Auch wusste er sich dank einer guten Vorbereitung mit der Gruppe in besten Händen.

Zu Beginn die Gruppe informiert

Beim Start hatte er die Teilnehmer darüber informiert, was bezüglich Diabetes bei solchen Touren wichtig ist zu wissen. Er demonstrierte, wie eine Glukagonspritze für den Notfall gesetzt werden muss, was in welchem Stadium der Unterzuckerung zu tun ist und wie Symptome einer Unterzuckerung im Berg zu erkennen sind.

Zum Glück wurde das Wissen nicht benötigt: “Es war sehr angenehm, mein Diabetes war nie wirklich ein Thema und hat die Gruppe nicht negativ beeinflusst. Hin und wieder wurde unaufdringlich nachgefragt, ob ich noch o. k. sei und ob die Blutzuckerwerte passten.” Dann wird Hemmann kurz: “Einfach loslaufen ist aber nicht drin. Man muss sich der Verantwortung für sich selbst und für die Gruppe bewusst sein.”

Wärme, Zittern, Schwitzen sind normalerweise körperliche Anzeichen einer Hypoglykämie. Bei solchen Touren können sie aber normale Reaktionen des Körpers sein. Eine Differenzierung ist schwierig. “Wenn die Trittsicherheit nachlässt, merke ich, dass die Zuckerwerte von den Zielvorgaben abweichen. Andere sehen das schneller – die Mitwanderer waren nachweislich achtsam”, ergänzt Hemmann.

Diabetiker sollten durch Kurzetappen Erfahrung sammeln

Für Diabetiker sei es am besten, im Vorfeld durch Kurzetappen Erfahrung über sich selbst zu sammeln, die körperlichen Reaktionen kennenzulernen und die Symptome für eine Unterzuckerung zu erfassen. Dafür war er vorigen Juli über die Höllentalklamm und den Gletscher auf der Zugspitze gewandert.

In Meran angekommen wurde gefeiert; nicht die Etappen waren die Herausforderung, sondern die gesamte Tour. Bei Cocktails und Pizza ließ man die 10 Tage Revue passieren. Dabei wurde viel gelacht. Die nächste Tour ist schon in Planung. Neue sportliche Herausforderungen meistern, Berge erklimmen, an körperliche Grenzen gehen – völlig normal für jüngere Menschen und überhaupt kein Problem für Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker. Vorausgesetzt – eine sehr gute Vorbereitung.


von Redaktion Diabetes-Journal
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (1) Seite 38-39

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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