- Bewegung
Bilges großer Traum
6 Minuten
Bilge Özyurts großer Traum seit Jahren: den Kilimandscharo besteigen. Kein leichtes Unterfangen, aber der Traum hat sich erfüllt – und das ist großartig! Wie Bilges afrikanisches Abenteuer verlaufen ist, erzählt sie selbst.
Schon 2016 habe ich davon geträumt, den Kilimandscharo zu besteigen, das mit fast 6.000 Metern höchste Bergmassiv Afrikas. Der Gedanke daran holte mich immer wieder ein – oft sogar in meinen Träumen. Und ich wusste: Wenn ich es nicht versuche, würde mich der Gedanke daran weiter verfolgen – und zwar mit dem bitteren Nachgeschmack von Reue. Und etwas zu bereuen, ist für mich eines der schlimmsten Gefühle auf Erden.

Warum ist das so? Da ich lange auf einer Krebsstation gearbeitet habe und dort viel mit Menschen am Ende ihres Lebens zu tun hatte, kann ich mir sehr gut vorstellen, wie schrecklich Reue ist: Die Sterbephase ist noch schrecklicher, wenn Menschen etwas stark bereuen. Keiner dieser Menschen hat je von seinem Haus oder Auto gesprochen, sondern es bereut, nicht öfter gereist zu sein, nicht mehr Zeit mit der Familie verbracht, nicht weniger gearbeitet zu haben … So möchte ich nicht enden.
So haben wir uns vorbereitet
Meine Freundin Mona und ich haben die Reise ein Jahr im Voraus gebucht, im Januar 2019. So konnten wir uns körperlich auf den anstrengenden Aufstieg vorbereiten und die nötige Ausrüstung besorgen. Was den Diabetes angeht, dachte ich, dass mir mein Diabetologe sicherlich die nötigen Informationen geben würde. Das hat sich als falsch herausgestellt. Mit der Einstellung, dass das ja schon irgendwie klappen wird, hatte ich bis dahin immer alles ganz locker genommen.
Aber jetzt bekam ich innerlich Panik: Was mache ich bloß auf dem Berg, wenn mein Insulin gefriert oder es tagsüber so heiß ist, dass es denaturiert? Was mache ich, wenn die Glukosemessungen in dieser Höhe nicht funktionieren? Aber ich hatte ja als Krankenschwester medizinisches Hintergrundwissen – und mir über verschiedene persönliche Quellen Ratschläge eingeholt.
Ende Dezember 2019: Wir reisen an
Mein ganzer Rucksack war voll mit dem teuren Schlafsack und Trockenfrüchten. Am Frankfurter Flughafen traf ich Mona, meine Freundin und Reisepartnerin. Von Frankfurt flogen wir nach Addis Abbeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Dort lernten wir Mia kennen, eine Ärztin, die auch auf den Kilimandscharo wollte. Sie sprach mich auf meine Insulinpumpe an, und da schämte ich mich zum ersten Mal dafür, Diabetes zu haben. Ich hatte ständig das Gefühl, alle beruhigen zu müssen, dass das ja alles schon gutgehen wird mit dem Glukosesensor und der Insulinpumpe.

Von Addis Abeba sind wir weitergeflogen nach Tansania. Dort lernten wir den Rest unserer Gruppe kennen sowie Ben, unseren Führer. Er kann Deutsch und brachte uns einige Swahili-Begriffe bei wie Hakuna Matata – „Mach dir keine Sorgen“. Und Pole pole – „langsam“. Am nächsten Morgen duschte ich zum letzten Mal. Und dann ging es los …
Tag 1: Der Aufstieg beginnt
Auf 2.100 Meter Höhe begannen wir mit dem Aufstieg, Startpunkt war das Lemosho Gate, ab da ging es durch den Regenwald. Erst nachts kamen wir im Mkubwa Camp (2.650 Meter) an. Komischerweise hatte ich bis jetzt keine Probleme mit den Zuckerwerten und hoffte, dass das so bleibt. Ich ließ lediglich meine Basalrate auf 10 Prozent laufen und arbeitete alle 3 Stunden mit Boli, wenn mein CGM-System anfing zu piepsen. Mein Insulin hatte ich nachts immer im Schlafsack.

Tag 2: Immer höher hinauf
Um 6.30 Uhr morgens schlüpften wir aus den Zelten, und die Guides brachten uns das Sonnenlied bei, das uns von nun an jeden Tag begleitete. Da ich das meiste Essen nicht kannte, musste ich oft meine Boli schätzen und war überrascht, wie gut das klappte. Der Tag startete wieder im Regenwald, bald jedoch gab es um uns herum nur noch wenige Pflanzen. Mein CGM-System trug ich nun in meiner Hosentasche mit Reißverschluss und hatte es nur auf Vibration gestellt. Immer, wenn der Apparat vibrierte, sah ich nach. Das funktionierte gut.

Gegen 17 Uhr kamen wir am Gate Shira I auf 3.610 Metern an. An diesem Abend bekamen wir unsere swahilischen Spitznamen. Meiner ist Dada Nesi (Krankenschwester), der von Mona Ndogo (klein, wegen ihrer Körpergröße). Die Nacht war ziemlich kalt, und ich war froh über meinen Daunenschlafsack.

Tag 3: Wir kommen dem Berg näher
Morgens trafen wir uns wieder zum Singen. Wir liefen dann weiter durch das flache Moorland. Ich musste alle 30 Minuten auf die Toilette, das hatte aber nichts mit dem Diabetes zu tun – Mona ging es genauso. Wir tranken sehr viel, weil wir solche Angst vor der Höhenkrankheit hatten. Allmählich kamen wir dem Kilimandscharo näher. Der Sonnenuntergang und die Wolken waren wunderschön, und wir hatten eine super Aussicht auf den 4.500 Meter hohen Mount Meru.

Tag 4: Nur noch zu siebt!
Immer hieß es nun Pole pole (langsam), um ja der Höhenkrankheit entgegenzuwirken. Wir liefen sehr langsam, trotzdem war es sehr anstrengend. Die Landschaft wurde immer karger, es wurde zunehmend kälter und windiger.

Wir waren schon auf 4.400 Meter Höhe, als die Truppe anhalten musste. Mona war ganz bleich im Gesicht und hatte Kreislaufprobleme. Schließlich musste sie sogar abbrechen und umkehren. Ich hatte ein unsagbar schlechtes Gewissen – habe ich meine Freundin im Stich gelassen? Einige beruhigten mich: Mona würde nicht wollen, dass ich auch umkehre und meinen Traum riskiere.

Nun nur noch zu siebt, liefen wir weiter zum Lava Tower Camp, stiegen zum Schlafen aber zum Barranco Camp ab. Mein Zucker stieg, wenn es nach oben ging, und fiel, wenn wir abstiegen.
Tag 5: Erst Frühstück, dann Klettern
Wir starteten um 10 Uhr und mussten eine steile Wand (Breakfast Wall) hochklettern. Sehr beeindruckend war, wie die Träger die Felswand hochkraxelten. Schließlich waren wir auf 4.200 Metern, unser Tagesziel war aber das Karanga Camp auf 3.995 Metern.

Nach dem Abendessen gingen wir alle früh ins Bett. Nachts war es sehr kalt. Trotzdem musste ich raus, weil ich dringend auf die Toilette musste. Allein das Aufstehen ließ mich schneller atmen. Aber draußen sah ich den schönsten Sternenhimmel meines Lebens, dazu den strahlenden Mond. Die Sterne sahen aus wie kleine, funkelnde Diamanten. Es war so ruhig, und all die kleinen Alltagsprobleme waren so weit weg.
Tag 6 und 7: Hoch und wieder runter
Nach dem Frühstück schlichen wir gegen 9 Uhr ganz langsam weiter hoch, zum Barafu Camp auf 4.670 Meter Höhe. Von dort aus ging es um 22 Uhr weiter. Ich war total kaputt und konnte nicht mehr auf die Pumpe schauen, weil allein das Öffnen des Reißverschlusses zu anstrengend war. Pausen durften wir nicht machen, weil es so windig und kalt war.

Immer wieder wollte ich aufgeben. Plötzlich funktionierte mein CGM-System nicht mehr. Rafael, einer der Guides, sagte immer wieder, dass ich noch 5 Minuten weiterlaufen solle, bevor er den Helikopter riefe. Wenn man bedenkt, dass das 7 Stunden lang so weiterging, ist klar, dass sein „Hakuna Matata“ mich irgendwann total nervte. Aber dann sagte er: „Bilge, schau einfach mal nach oben.“ Und da war schon das Schild vom Stella Point. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich genau davorsitze und mich selbst bemitleide.

Der Stella Point auf 5.746 Metern gilt offiziell als der Punkt, an dem man den Berg erfolgreich bestiegen hat. Plötzlich hatte ich vor lauter Freude so viel Kraft, dass ich noch weiter hoch auf den Uhuru Peak wollte, auf 5.895 Meter. Und das schaffte ich! Ich war überglücklich, doch nicht wirklich klar bei Verstand. Ich wollte mich den Berg hinunterrollen! Das verhinderte Ben glücklicherweise.

Je mehr wir an Höhe verloren, desto klarer wurde ich wieder im Kopf. Ich war aber extrem müde und benommen. Bis heute weiß ich nicht, ob die Ursache dafür die Höhe oder eine Unterzuckerung war. Wahrscheinlich beides.
Äußeres Ziel erreicht und dabei innerlich gewachsen
Den Berg zu erklimmen, war nur ein äußeres Ziel. Es war nicht nur der Berg, den ich bezwungen habe, sondern vielmehr bin ich innerlich daran gewachsen und habe alle Barrieren in mir durchbrochen, die mich bis dahin von meinen Träumen abgehalten hatten. Es war schön, die Welt von oben zu betrachten. Diesen Moment werde ich nie vergessen und kann ihn in Gedanken immer wieder durchleben.
Ich freue mich auf die Zukunft und weiß nun, dass ich wirklich alles schaffen kann – mit den richtigen Menschen um mich herum. Danke, Kilimandscharo, dass Du mir erlaubt hast, Dich zu erklimmen. Hakuna Matata!
von Bilge Özyurt
Kirchheim-Verlag, Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (6) Seite 40-42
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Behandlung
Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst
- Begleit-Erkrankungen
Jeder Dritte erkrankt an Gürtelrose: Vorsorge für Ältere und chronisch Kranke besonders wichtig
3 Minuten
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Community-Frage
Mit wem redest du
über deinen Diabetes?
Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.
Werde Teil unserer Community
Community-Feed
-
insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 3 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
-
moira antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
-
-
hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
-
lena-schmidt antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
-
connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
-


Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig