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… oder eher Angst vor der Stoffwechselentgleisung? „Wie passe ich meine Insulindosis beim Sport richtig an?“ ist daher sicherlich die häufigste Frage, die sich insulinspritzende Diabetiker stellen, wenn es um Diabetes und Bewegung geht.
Die Frage nach der richtigen Insulindosis beim Sport ist wichtig – und schwer zu beantworten. Wie individuell unterschiedlich die Blutglukosewerte durch körperliche Aktivität beeinflusst werden, haben kürzlich Forscher um Jan-Willen van Dijk eindrucksvoll zeigen können: Bei 60 Typ-2-Diabetikern hat man die Glukosewerte mittels kontinuierlichen Glukosemonitorings gemessen – jeweils 24 Stunden nach 45- bis 60-minütigem Sitzen bzw. nach einem 45- bis 60-minütigen Ergometertraining.
Anschließend hat man für jeden einzelnen Teilnehmer die Differenz der Glukosewerte verglichen – mit und ohne vorheriges Training. Siehe da: Die Veränderungen der durchschnittlichen Glukosewerte zeigten bei den Teilnehmern eine riesige Streubreite– von minus 80 bis plus 30 mg/dl (4,4 bis 1,7 mmol/l), und das bei gleicher Belastung.
Wie beeinflusst nun körperliche Aktivität die Glukoseaufnahme in die Muskelzelle? Wie wird hierdurch das Auftreten einer Unterzuckerung begünstigt? In den Muskelzellen sind Glukosetransporter (GLUT 4); damit Glukose in die Zelle gelangen kann, müssen die Transporter an die Zelloberfläche verlagert werden. Hierfür sorgt zunächst eigenes oder gespritztes Insulin.
Körperliche Aktivität bewirkt aber auch eine vermehrte Bereitstellung von GLUT 4 an der Zellmembran – einfach gesagt über einen gesteigerten Blutfluss, Muskelkontraktionen und gesteigerte Insulinempfindlichkeit; mehr Glukose strömt in die Zelle (s. Abb. 1).
Das ist sinnvoll, denn der arbeitende Muskel benötigt seinen Treibstoff: die Glukose. Durch den höheren Glukoseeinstrom in die Zelle und Glukoseverbrauch fällt der Blutglukosewert – die Hypoglykämie droht.
Wie ist das nun mit der richtigen Insulinanpassung bei körperlicher Aktivität? Hier sind zunächst Wissen und Körpergefühl gefragt – und sicherlich etwas Fantasie. Eine Reihe von Faktoren beeinflussen die Blutzuckerkonzentration bei Bewegung/Sport (s. Abb. 2).
Tim Eickmeier, Jens Buddenbohm und Boris Schlüter (s. Abb. 3, 4 und 5): drei Sportler mit Typ-1-Diabetes. Drei grundlegend unterschiedliche Sportarten, drei unterschiedliche Strategien bei der Insulinanpassung vor, bei und nach dem Sport.
Allgemein gilt: Je höher Intensität und Dauer der Belastung sind, desto stärker ist der Abfall der Blutzuckerwerte zu erwarten. Um Unterzuckerungen zu vermeiden, nimmt Boris Schlüter beim Rennradfahren reichlich zusätzliche Kohlenhydrate zu sich und reduziert die Insulindosis mitunter deutlich.
Tim Eickmeier hat beim Handball trotz hoher Belastungsintensität praktisch kein Problem mit Unterzuckerungen. Woran liegt das?
Eine australische Arbeitsgruppe hat wissenschaftlich belegen können, dass eine moderate Belastung mit zwischenzeitigen Sprints alle 2 Minuten – trotz höheren Energieverbrauchs – innerhalb der ersten Stunde nach Belastung zu einem geringeren Blutzuckerabfall führt als eine rein kontinuierliche moderate Belastung ohne Sprints.
Als Erklärung nimmt man die verstärkte Ausschüttung von Stresshormonen an, die Gegenspieler des Insulins sind, wie Adrenalin, Wachstumshormon und Kortisol – sowie eine vermehrte Laktatproduktion durch die Sprints, die u. a. typisch für Handball sind. Nach dem Sport muss Tim Eickmeier dann umso wachsamer sein – denn dann fällt der Blutzucker sicherlich.
Der Trainingszustand spielt eine Rolle: Bei trainierten Sportlern fällt der Blutzucker geringer ab – aufgrund der größeren Glykogenspeicher in der Muskulatur und einer ökonomischeren Energiegewinnung.
Diabetestyp und -dauer bestimmen den Einfluss der Bewegung auf die Blutzuckerkonzentration. Vor allem Typ-1-Diabetiker mit langer Diabetesdauer und niedrigem Insulinbedarf haben oft extreme Schwankungen der Blutzuckerwerte schon bei geringen Belastungen; hingegen fallen die Blutzuckerwerte bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern häufig viel zögerlicher.
Natürlich spielen Ausgangsblutzucker, Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme, Art und Menge der aufgenommenen Kohlenhydrate und vor allem die aktuelle Insulinversorgung eine maßgebliche Rolle.
Angesichts der Einflussfaktoren ist jede pauschale Angabe kritisch zu bewerten. Zumindest aber für gut eingestellte Typ-1-Diabetiker mit intensivierter Insulintherapie können die in Abbildung 7 aufgeführten Empfehlungen zur Reduktion des Mahlzeiteninsulins (hier das kurzwirksame Insulinanalogon Insulin lispro) orientierend angenommen werden – abhängig von Intensität und Dauer der Belastung.
Grundsätzlich muss jeder Sportler mit Diabetes selbst oder gemeinsam mit seinem betreuenden Diabetesteam die erforderlichen Kohlenhydrat- und Insulinanpassungen herausfinden; dabei ist das Führen eines Sport-Tagebuches ganz wichtig. Trotzdem gilt für die Anfangsphase das Motto trial and error.
Damit die Fehler nicht zu groß ausfallen, gibt es Grundregeln: Als Zielwert vor körperlicher Aktivität sollte ein Blutzuckerwert um 150 bis 180 mg/dl (8,3 bis 10,0 mmol/l) angestrebt werden – maximal 250 mg/dl (13,9 mmol/l).
Blutzuckerselbstkontrollen vor, bei und nach dem Sport sind unabdingbar. Wegen des Muskelauffülleffektes nach dem Sport, bei dem die Muskulatur ihre durch den Sport geleerten Zuckerspeicher wieder auffüllt, können mitunter auch verspätete Unterzuckerungen mehrere Stunden nach der Bewegung auftreten.
Dies gilt es vor allem bei abendlichen Sportaktivitäten zu beachten: Zusätzliche Kontrollen nachts und vorsorgliche Therapieanpassungen sind zur Vermeidung nächtlicher Unterzuckerungen in der Regel nötig.
Die Therapieanpassung vor dem Sport kann grundsätzlich über eine zusätzliche Einnahme von Kohlenhydraten (Kohlenhydrat-Strategie), über eine Reduktion der Insulindosis(Insulin-Strategie) oder über die Kombination beider Strategien erfolgen.
Beim Rennradfahren (siehe Boris Schlüter) braucht der Körper natürlich ausreichend Brennstoffe, so dass Boris primär die Kohlenhydratstrategie wählt. Bei langen und intensiven Belastungen muss die Insulindosis zusätzlich reduziert werden, da ein (zu) “voller Bauch nicht gern trainiert”. Möchte man durch körperliche Aktivität Gewicht abnehmen wie der Breitensportler Kurt Eigenrauch (s. Abb. 6), wird man natürlich die Insulin-Strategie wählen, d. h. Insulin im Vorfeld reduzieren, um zusätzliche Kalorien zu vermeiden.
Die Insulinanpassung selbst kann prinzipiell über eine Reduktion der Bolus- und/oder der Basalinsulinversorgung geschehen. Welcher Weg im Einzelfall der richtige ist, wird auch hier von vielen individuellen Faktoren bestimmt.
Korrekturmaßnahmen bei niedrigen Blutzuckerausgangswerten sollten natürlich absolut, aber auch relativ weniger intensiv ausfallen – niedrige Blutzuckerwerte fallen rascher ab als hohe. Anders gesagt: Für eine Absenkung des Blutzuckerwertes von 150 auf 100 mg/dl (8,3 auf 5,6 mmol/l) wird weniger Insulin oder Bewegung benötigt als für eine Absenkung von 250 auf 200 mg/dl (13,9 auf 11,1 mmol/l).
Ferner bestimmen Belastungsdauer und -intensität die erforderliche Therapieanpassung. Dazu gilt es, natürlich auch den Zeitpunkt der geplanten Aktivität zu berücksichtigen in Bezug auf das aktuell dem Körper noch zur Verfügung stehende Insulin: Plane ich Sport zum Zeitpunkt des Insulinwirkmaximums, muss die Insulinreduktion oder Kohlenhydrataufnahme stärker ausfallen, als wenn der Sport zu einem Zeitpunkt mit nur noch geringer Insulinwirkung geplant ist.
Es gibt kein Patentrezept für die Insulinanpassung bei körperlicher Aktivität. Mit einem guten Basiswissen, viel Körpergefühl und manchmal auch etwas Fantasie gelingt es aber sicherlich, die Insulindosis bei körperlicher Aktivität so anzupassen, dass insulinspritzende Diabetiker die Faszination Bewegung unbeschwert genießen können.
Hinweis:
Die geschilderten Therapieanpassungen an körperliche Aktivität der Sportler Boris Schlüter, Jens Buddenbohm, Tim Eickmeier und Kurt Eigenrauch sind individuelle Beispiele und dürfen nicht verallgemeinert werden.
von Dr. Meinolf Behrens
Diabetologe DDG, Facharzt für Sportmedizin und Ernährungsmedizin, Diabeteszentrum Minden
Kontakt:
Bismarckstraße 43, 32427 Minden, Telefon 0571-840999, E-Mail: mb@diabetes-minden.de
, Internet: www.diabetes-minden.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (8) Seite 22-25
5 Minuten
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