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Seit ich 2013 zum ersten Mal beim Hamburger Triathlon angetreten bin, habe ich das Event noch kein Jahr versäumt. Ich trete zwar nur in der Sprintdistanz an (500 Meter Schwimmen, 22 Kilometer Radfahren, 5 Kilometer Laufen), bin nur mäßig ehrgeizig und dümpele bei den Platzierungen auf den hinteren Rängen herum. Doch ich habe mich immer gern auf den Triathlon vorbereitet und mir durch mein Training und den abschließenden Wettkampf Jahr für Jahr selbst vor Augen geführt, dass ich der Boss in meinem Körper bin und nicht der Diabetes.
In diesem Frühjahr erkenne ich mich leider selbst nicht wieder. Seit einigen Wochen oder gar Monaten kann ich mich nur mit äußerster Mühe zum Sport motivieren. Zunächst habe ich meinem Schweinehund die Schuld für dieses Motivationsloch zugeschoben. Immerhin handelt es sich bei ihm um ein wahres Prachtexemplar seiner Gattung. Es ist schwer, ihm einfach kein Gehör zu schenken, oder was haltet ihr von diesen eingeflüsterten Killerargumenten, mit denen er mich neulich beim Laufen malträtiert hat?
„Puh, das war ja echt langsam eben. Da kannst du auch genauso gut gehen.“
„Mal im Ernst, wenn du gehst, dann kannst du den Vögeln viel besser beim Zwitschern lauschen. Wenn du so laut schnaufst wie beim Laufen, kriegst du das gar nicht mit!“
„Merkst du nicht, was du für einen Durst hast? Wenn du jetzt wieder läufst, wird der Durst noch schlimmer!“
„Wenn du jetzt wieder läufst, schwitzt du noch mehr. Dann musst du nicht nur duschen, sondern auch Haare waschen. Du hast aber heute Morgen erst Haare gewaschen. So häufiges Haarewaschen ist nicht gut für deine Kopfhaut!“
„Wenn du spazieren gehst, ist das viel besser für deine Zuckerwerte als Laufen!“
„Das mit dem Triathlon-Startplatz kannst du dir doch nochmal überlegen. Christoph würde ihn ja nehmen, wenn du doch keine Lust hast!“
Doch mein ohnehin gewitzter Schweinehund scheint in letzter Zeit Verstärkung bekommen zu haben. Und zwar in Form einer Schilddrüsenerkrankung. Ob es sich um eine Hashimoto-Thyreoiditis (autoimmun bedingte Unterfunktion) oder einen Morbus Basedow (autoimmun bedingte Unterfunktion) handelt, kann man aktuell noch nicht genau sagen. Bei meiner vorletzten Blutuntersuchung waren sowohl TPO-Antikörper, die für eine Hashimoto-Thyreoiditis sprechen, als auch TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK), die auf einen Morbus Basedow hindeuten, im Blut nachweisbar. Der Endokrinologe ging erst einmal von einem Morbus Basedow aus. Doch bei der letzten Blutuntersuchung waren die TRAK wieder verschwunden, aktuell lautet die vorläufige Diagnose also wieder Hashimoto.
Im Moment läuft also meine Schilddrüse Amok und produziert übermäßig viel Schilddrüsenhormon. Um diese Überfunktion (die in eine Unterfunktion umschlagen wird, wenn es denn tatsächlich eine Hashimoto-Thyreoiditis ist) auszubremsen, nehme ich nun Thiamazol – ein Medikament, das die Produktion von Schilddrüsenhormon drosselt. Es ist mir fast egal, welchen Namen die Erkrankung letztlich trägt, Hauptsache, die Symptome klingen bald wieder ab. Denn neuerdings leidet auch meine Arbeitsmoral: Ich kann mich kaum konzentrieren, starre Löcher in die Decke, kann mich nicht entscheiden, mit welchen Aufgaben auf meiner Liste ich den Tag beginnen soll. Bei den nichtigsten Anlässen habe ich Angst- und Panikattacken, ich traue mir die simpelsten Dinge nicht mehr zu. Und das, wo ich doch normalerweise ein quirliger, aktiver und produktiver Mensch bin! Ich empfinde den Zustand als wirklich sehr schwer zu ertragen.
Und doch habe ich beschlossen, am Hamburger Triathlon teilzunehmen. Es fällt mir zwar unendlich schwer, mich zum Training aufzuraffen. Es wird sicher das eine oder andere Mal passieren, dass ich klein beigebe, weil es mir als eine unüberwindbare Hürde erscheint, die Laufschuhe zuzubinden. Und ich werde mit Sicherheit eine schlechtere Zeit als bei meinen bisherigen, ohnehin schon nicht rekordverdächtigen Wettkämpfen einfahren. Doch das ist alles egal. Mir hat Sport schon nach meiner Diagnose Typ-1-Diabetes ungemein geholfen, das Vertrauen in meinen Körper wiederzuerlangen – darüber hatte ich hier auch schon einmal geschrieben.
Wenn ich Sport treibe, meine Beine routiniert traben, dann tritt die Enttäuschung über mein fehlgeleitetes Immunsystem in den Hintergrund. Dann hat mich nicht mehr die Angst im Griff, welche Erkrankung wohl als Nächstes kommt. Denn dann spüre ich, dass meine Muskeln stark sind. Mein Herz pumpt Blut, meine Lungen atmen Sauerstoff, meine Arme schwingen im Takt, meine Füße stoßen sich kräftig ab, mein Körper funktioniert. Dieses positive Körpergefühl möchte ich mir wieder erarbeiten. Ich bin der Boss in meinem Körper, nicht eine defekte Bauchspeicheldrüse und auch nicht eine defekte Schilddrüse.
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