Sport treiben – Insulin anpassen

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Sport treiben – Insulin anpassen

Wer Typ-1-Diabetes hat, sollte sich und seinen Körper gut kennen, wenn er sich auf zum Sport macht. Denn Fehleinschätzungen können Folgen haben wie eine Unterzuckerung. Hier gibt es wichtige Informationen und Tipps.

Der Fall
Frau B. führt eine ICT durch und plant, am Montag eine 3-stündige Fahrradtour mit ihrer Freundin zu machen. Ob sie nach dem Frühstück oder nach dem Mittagessen starten, hat unterschiedliche Auswirkungen auf die Anpassung der Insulintherapie:Frau B. und Freundin entscheiden sich schon am Sonntagabend, dass sie sofort nach dem Frühstück losfahren. Da die Wirkung des Basalinsulins dann noch nicht eingesetzt hat, muss sie lediglich die Dosis des Kurzzeit-Analoginsulins zum Frühstück reduzieren.

Hätten sie sich entschieden, erst nach dem Mittagessen mit der Tour zu beginnen, müsste sie bereits die morgendliche Basalinsulindosis reduzieren und auch die Menge des Kurzzeit-Analoginsulins zum Mittagessen verringern – da dann das morgens gespritzte Basalinsulin und auch das Kurzzeit-Analoginsulin zum Mittagessen überlappend wirken. Blutzuckerkontrollen vor, während und nach der Tour sind unbedingt erforderlich! Frau B. nimmt alles mit, auch Sport-BEs.

Es ist eines der schwierigsten Unterfangen, erwachsenen Menschen wieder zu mehr Sport und körperlicher Aktivität zu verhelfen. Deshalb gibt es aktuell viele Programme, die sich in der Richtung engagieren. Viele Menschen in Deutschland sind übergewichtig – auch viele Typ-1-Diabetiker –, weshalb Sport auch bei ihnen dringend angeraten ist. Aber gerade bei Patienten mit Typ-1-Diabetes gilt es, vor jeder körperlichen Aktivität bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu berücksichtigen, da eine Fehleinschätzung schwerwiegende Konsequenzen haben kann wie eine Unterzuckerung.

Auch bei Typ-1-Diabetes kann das Fortschreiten von Folgeerkrankungen durch Sport verhindert oder hinausgezögert, teilweise sogar verbessert werden. Über den Spaß führt die körperliche Bewegung zu einem besseren Körpergefühl, oft mit Steigerung des Selbstvertrauens, aber auch zu einer Verbesserung des Herz-Kreislauf-Systems mit einer Reduktion der Blutfettspiegel und einer Gewichtsabnahme.

Allgemeine Hinweise:
  • Insulin wirkt bei Muskelarbeit stärker, deshalb verringert sich der Insulinbedarf.
  • Durch Sport werden Zuckerspeicher in Muskel und Leber häufig entleert.
  • Ist kein Insulin mehr im Blut, kann der arbeitende Muskel nur Fett verbrennen, daraus entstehen Ketonkörper wie Azeton; es besteht die Gefahr einer Entgleisung (Ketoazidose).

Jede körperliche Aktivität führt auch zu Stoffwechselveränderungen wie Blutzuckerschwankungen, die nicht nur Vorteile für jeden bieten: Eine schwere Hypoglykämie und auch eine Ketoazidose können die Folge sein.

Was geschieht bei Bewegung eines stoffwechselgesunden Menschen?

Die Leber eines gesunden Menschen produziert tagsüber und nachts (in der Nacht etwas weniger) etwa 10 g Glukose (Zucker) pro Stunde, wovon etwa 6 g allein für das Gehirn zur Verfügung gestellt werden müssen. Der Rest (ca. 4 g pro Stunde) steht der Muskulatur und den anderen Geweben zur Verfügung.

Wenn wir nun körperlich aktiv werden, braucht unsere Muskulatur jedoch mehr als 4 g Zucker pro Stunde – die weitestgehend aus der Leber kommen; der Rest kommt aus der Niere. In dieser Situation ist die Leber in der Lage, sowohl durch Auflösung ihrer Zuckerspeicher (Glykogenolyse) als auch durch Neubildung von Zucker (Glukoneogenese) den Blutzuckerspiegel aufrechtzuerhalten.

Das Absinken des Insulinspiegels im Blut ist das Signal an die Leber, mehr Zucker zu produzieren. Steht genügend Nahrungszucker von außen zur Verfügung, steigt der Insulinspiegel durch Produktion von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) wieder an. Steht jedoch kein Zucker in Form von Essen zur Verfügung, führt der sinkende Insulinspiegel dazu, dass die Leber vermehrt Zucker ausschüttet – und somit der Blutzucker wieder ansteigt. Dies geschieht bei einem Stoffwechselgesunden automatisch: Das heißt, sobald bei körperlicher Betätigung durch die Muskelaktivität mehr Zucker benötigt wird, sinkt deshalb zunächst der Insulinspiegel im Blut.

Blutzuckersenkenden Effekt therapeutisch nutzen

Durch körperliche Betätigung kann der blutzuckersenkende Effekt natürlich auch therapeutisch genutzt werden, denn bei langsamer, moderater körperlicher Betätigung sinkt der Blutzuckerspiegel um etwa 60 mg/dl in einer Stunde, so dass ein Insulinspareffekt eintritt. Außerdem wird durch eine regelmäßige körperliche Betätigung die Insulinresistenz verbessert. Das bedeutet, dass Muskeln, Fettgewebe und andere Organe besser in der Lage sind, mit weniger vorhandenem Insulin Zucker aus dem Blut in die Zellen aufzunehmen und zu verbrennen.

Da Typ-1-Diabetiker prinzipiell kein oder fast kein Insulin mehr selbst produzieren, muss der Blutzucker durch Gaben von Insulin von außen gesteuert werden. Die Insulingabe muss bei sportlicher Aktivität dementsprechend angepasst werden.

Besonderheiten bei Typ-1-Diabetes

Eine Besonderheit müssen insulinbehandelte Typ-1-Diabetiker speziell beachten: wenn bereits vor dem Sport eine schlechte Blutzuckereinstellung mit Blutzuckerwerten etwa zwischen 200 und 300 mg/dl (11,1 und 16,7 mmol/l) vorliegt! Wenn in dieser Situation Sport betrieben wird, wird der Blutzucker in der Regel nicht gesenkt: Blutzuckerwerte zwischen 200 und 300 mg/dl (11,1 und 16,7 mmol/l) bedeuten, dass ein Insulinmangel vorliegt (Ketone testen!).

Ist der Ketontest negativ, kann mit der körperlichen Aktivität begonnen werden. Ist der Ketontest aber ++ oder +++ (2- oder 3-fach positiv), keinesfalls sofort mit dem Sport beginnen! Zuerst die Ketoazidose behandeln! Durch den Sport erfolgt dann nämlich in dieser Situation keine verbesserte Zuckeraufnahme in die Muskulatur – im Gegenteil: Die Leber produziert noch mehr Zucker, und gleichzeitig führt der bestehende Insulinmangel zu einer verminderten Aufnahme des Zuckers in die Muskulatur, so dass dieser nicht abgebaut werden kann. Die Folge kann eine massive Überzuckerungbis hin zum ketoazidotischen Koma sein!

Dies ist einer der Gründe, warum Typ-1-Diabetiker, die Sport betreiben, besonders geschult sein müssen. Bei schlecht eingestelltem Ausgangs-Blutzucker wird zunächst etwas Insulin benötigt, bevor die körperlichen Aktivitäten beginnen können.

Anpassung der Insulindosis bei körperlicher Aktivität

Wenn ein Typ-1-Diabetiker Sport betreibt oder aktiv ist, muss die Insulintherapie an die körperliche Aktivität angepasst werden. Dazu muss er sich überlegen, wann er körperlich aktiv ist und welches Insulin zum Zeitpunkt seiner körperlichen Aktivität wirkt: das Basalinsulin oder das Mahlzeiteninsulin? Dies trifft zumindest für die am meisten angewendete Insulintherapie zu: die intensivierte Insulintherapie (ICT).

Maßnahmen vor dem Sport
  • Wenn zwei verschiedene Insuline verwendet werden, dann das Insulin reduzieren, das zum Zeitpunkt des Sports wirkt!
  • Blutzuckermessung: Bei Blutzuckerwerten unter 100 mg/dl (5,6 mmol/l) und/oder über 250 mg/dl (13,9 mmol/l) nicht sofort mit dem Sport beginnen.
  • Niedrige Blutzuckerwerte durch Zusatz-Kohlenhydrate (“Sport-BE”) ausgleichen.
  • Hohe Blutzuckerwerte erst mit wenigen Einheiten kurzwirkenden Insulins vorsichtig absenken, erst dann Sport beginnen (vorher Blutzuckerkontrolle).

Maßnahmen nach dem Sport

  • Blutzucker mehrfach testen und, wenn angezeigt, die folgende Insulindosis (z. B. für die Spätmahlzeit) unbedingt reduzieren (“Spät-Hypoglykämie”!). Vorsicht mit zusätzlichem Alkoholgenuss!
  • Zusatz-Kohlenhydrate evtl. auch noch vor dem Zubettgehen – und nachts Blutzucker kontrollieren.

Für die weitere Anpassung der Insulintherapie bei Sport oder körperlicher Aktivität spielen die Belastungsdauer und auch die Intensität der Belastung eine entscheidende Rolle. Eine nicht zu vernachlässigende Tatsache ist der Muskel-Wiederauffülleffekt: Die beim Sport oder bei Bewegung verbrauchte Glukose versucht der Körper, in den nächsten Stunden nach der körperlichen Betätigung zurückzugewinnen, um so seine Vorräte in der Leber und der Muskulatur wiederaufzufüllen. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel ab, und es können gefährliche Unterzuckerungen auch noch Stunden nach der körperlichen Aktivität auftreten.

Kohlenhydratezufuhr: wann und wieviel?

Für die unmittelbare Insulintherapie vor, bei und nach dem Sport gilt: Bei jeder kürzer dauernden Anstrengung (z. B. 1 Stunde Schwimmen, 1 Stunde Radfahren) sollten pro halbe Stunde etwa 12 g Kohlenhydrate zusätzlich an langwirkenden Kohlenhydraten gegessen werden. Bei Ausdehnung der Aktivität empfiehlt es sich, zusätzlich kurzwirkende Kohlenhydrate aufzunehmen (z. B. Bananen), bei Abschluss der sportlichen Maßnahmen ggf. zusätzliche langwirksame Kohlenhydrate.

Ursachen für eine Hypoglykämie beim Sport
  1. Zu viel Insulin im Blut: Die letzte Insulindosis wurde nicht ausreichend vermindert, oder der Sport wurde bei niedrigen Blutzuckerwerten begonnen.
  2. Sport wurde zu intensiv betrieben. Dabei wurde zu viel Zucker verbraucht.
  3. Die notwendigen Zusatz-Kohlenhydrate vor, bei und nach dem Sport wurden vergessen oder nicht angepasst.
  4. Die entleerten Zuckerspeicher in Leber und Muskel füllten sich nach dem Sport wieder auf und entzogen so dem Blut den Zucker. Dies führt oft zu Spät-Hypoglykämien, die unbedingt vermieden werden müssen.

Bei einer geplanten, länger andauernden Muskelarbeit (mehrere Stunden Skilanglauf, mehrstündige Bergwanderungen oder Fahrradtouren etc.) muss unbedingt vorbeugend je nach geplanter Anstrengung bis zu 50 Prozent weniger Insulin injiziert werden. Dabei kann z. B. bei einer Halbtageswanderung eventuell komplett auf das kurzwirksame Insulin verzichtet werden und dann der Insulinbedarf nur durch das Basalinsulin abgedeckt werden.

Auch bei deutlicher Verminderung der Insulindosis müssen bei anstrengender Aktivität zusätzlich 12 g Kohlenhydrate pro etwa 20 Minuten gegessen werden. Zu beachten ist, dass gerade nach einer außergewöhnlichen Anstrengung das Insulin, z. B. das Basalinsulin zur Nacht, weiter reduziert werden muss, um nicht noch mehrere Stunden nach Abschluss der körperlichen Aktivität mit einer Unterzuckerung rechnen zu müssen (Spät-Hypoglykämie).

Durch die heutigen Möglichkeiten des Flash-Glukose-Monitoring mit einem Sensor kann man täglich mehrfach Zucker messen (Gewebezucker) – auch ohne sich mehrfach stechen zu müssen; ideal, um eventuell Insulindosisanpassungen vorzunehmen bzw. Kohlenhydrate aufnehmen zu können, um so schwere Unterzuckerungen zu vermeiden.

Steigende Werte beim Sport: Ursachen …
  • Die zuletzt injizierte Insulindosis war zu gering: Ist der Blutzucker vor dem Sport zu hoch, so kann dies also einen Insulinmangel anzeigen. Die Leber schüttet dann vermehrt Zucker aus, dieser kann aber wegen des Insulinmangels nicht verarbeitet werden.
  • Vor dem Sport wurden zu viele Kohlenhydrate gegessen.
  • Durch eine Hypoglykämie beim Sport kann es zur Gegenregulation mit Anstieg des Blutzuckers kommen.
  • Bei extremer sportlicher Betätigung mit Stress kann es durch Ausschüttung von Stress-Hormonen (Adrenalin, Kortisol) zum Blutzuckeranstieg kommen.

Das Fazit

Gerade unter dem Aspekt der Steigerung der Lebensqualität, aber auch der Lebensverlängerung von Menschen mit Diabetes spielt Sport quasi als Medikamenteine ganz entscheidende Rolle: zur Verbesserung der Blutzuckereinstellung und vor allem zur Senkung des kardiovaskulären Risikos, also des Risikos für Herzinfarkt und Schlaganfall; dies alles durch Verbesserung der Durchblutung, Senkung des Blutdrucks und auch Senkung der Blutfette.

Wie schwer es ist, erwachsene Menschen wieder zu regelmäßigem Sport zu bringen, zeigen zahlreiche Studien der letzten Jahre. Sie belegen jedoch auch: Langfristig macht nur derjenige Sport, der auch Spaß daran hat. Deshalb muss das Ziel sein, sich selbst zu überlegen oder auszuprobieren, was einem auch langfristig Spaß machen könnte!


von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund)

Deegenbergklinik, Burgstraße 21,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de

Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 5-01

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (2) Seite 26-29

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