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Muss man das mal erlebt haben? Einen Sturz mit dem Rennrad? Nun, ich habe meine Premiere jetzt jedenfalls hinter mir. Es passierte gleich am ersten Tag unseres Urlaubs am Gardasee. Mein Mann Christoph und ich hatten uns unsere Rennräder geschnappt, um auf eine erste Erkundungstour aufzubrechen. Von unserem Wohnort Arco, ein paar Kilometer nördlich des Gardasees gelegen, nach Riva an der Nordspitze des Sees, von dort rüber nach Torbole und von dort über eine für mein norddeutsches Empfinden grausame Steigung von 12 Prozent hoch nach Nago. Soweit okay – wenn man mal davon absieht, dass ich die letzten paar hundert Meter der Steigung keine Lust hatte, im niedrigsten Gang auf dem kleinen Blatt meiner Gangschaltung zu hecheln und zu japsen, um mich mit mickrigen 9 km/h den Berg hochzuquälen. Da schiebe ich dann doch lieber und genieße die spektakuläre Aussicht.
Von Nago ging es ein paar Kilometer lang beinahe ebenso steil wieder den Berg hinunter nach Vignole. Ich kann froh sein, dass ich nicht bei dieser Abfahrt gestürzt bin, denn dann hätte Christoph wir ganz sicher den Krankenwagen rufen und ich den Urlaub im Krankenhaus verbringen müssen. Wir fuhren vorsichtig, die Hände immer an den Bremsen und den Blick konzentriert nach vorn gerichtet. Verwegene Rennradler lachen vielleicht darüber, dass wir es dabei auf nur 42 km/h brachten, aber das stört mich nicht.
Ich weiß, dass beim Rennradfahren sehr schnell unfallträchtige Situationen entstehen können, die einem keine Reaktionszeit lassen. Ich scheue mich deshalb vor Rennradausfahrten in größeren Gruppen, in denen man dicht an dicht radelt, und in denen im Falle eines Sturzes gleich der ganze Pulk ins Schlingern geraten kann. Einen Startplatz zu den Hamburger Cyclassics, bei denen ich 2015 eigentlich antreten wollte, verkaufte ich kurz vorher aus genau dieser Angst heraus via Ebay Kleinanzeigen.
Von Vignole aus steuerten Christoph und ich kurz über Bolognano in Richtung des Santa Barbara-Passes, der über Serpentinen mit noch viel ungemütlicherer Steigung nach Monte Velo führt. Christoph wollte einmal austesten, ob und wie er mit der Steigung klarkommt. Ich für meinen Teil war froh, dass nach einem leichten Zucker-Sinkflug nach der ersten heftigen Steigung dank einem Sport-Gel und einem Stück Haferkeks mein Zucker wieder im Lot war
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Also wartete ich an einer Straßenecke auf Christoph, bis er genug vom Bergaufradeln hatte, was zum Glück nicht allzu lange dauerte. Es regnete leicht, doch es war ein angenehm abkühlender Sommerregen, der die Schwüle etwas besser erträglich machte. Dennoch mahnte Christoph: „Lass uns vorsichtig fahren, die Straße könnte glitschig werden!“ Logisch, ich gehe auf dem Rennrad doch nie ein unnötiges Risiko ein!
Gemeinsam machten wir uns auf den Heimweg, ich fuhr vorweg. Schon beim Anfahren bemerkte ich ein leichtes Kribbeln an der Nase. Eines von der Sorte, das immer dann einsetzt, wenn man die Supermarkteinkäufe nach Hause trägt und gerade keine Hand frei hat – ihr kennt das vermutlich. Ich mochte nicht anhalten wegen dieses albernen Kribbelns und überlegte, ob ich es riskieren könnte, kurz eine Hand vom Lenker zu nehmen, um mich an der Nase zu kratzen, oder ob ich das Kribbeln lieber ignorieren sollte. Nun, ich traf blöderweise die falsche Entscheidung. Kaum hatte ich die rechte Hand kurz vom Lenker genommen, geriet mein Vorderrad auf dem unruhigen Asphalt aus der Bahn, drehte sich schlagartig und ließ mich links vornüber fliegen.
Der Sturz fühlte sich an wie in Kindertagen, als Knie und Ellbogen noch viel häufiger Kontakt mit der Straße aufnahmen. Ich lag auf der linken Seite, den linken Arm angewinkelt von mir gestreckt. Der Unterarm bis zum Ellenbogen brannte, die linke Hüfte schmerzte. Ich dachte nach und versuchte, mit allen Körperteilen Kontakt aufzunehmen, zu schauen, ob sie noch ein Signal geben. Es schien alles dran zu sein. Ich fing an zu wimmern und überlegte, welche Sorte und Lautstärke Wimmern der Situation angemessen wäre. Gleichzeitig dachte ich mir: „Wenn ich über solche Dinge noch nachdenken kann, kann mein Kopf eigentlich keinen Schaden genommen haben.“ Auf einmal war Christoph über mir, der zum Glück mit ausreichend Abstand von mir gefahren war und problemlos anhalten konnte. Auch das Auto, das hinter uns gefahren war, bremste rechtzeitig.
Christoph sprach mich an: „Kannst du reden? Sag mal was! Wo tut es weh?“ Er absolviert regelmäßig Kurse in Erste Hilfe und weiß ziemlich gut, worauf im Umgang mit verletzten Personen zu achten ist. Als er sah, dass ich ansprechbar bin und recht normal antworten konnte, holte er schnell mein Fahrrad von der Straße, das auf unerklärliche Weise allein auf die Gegenfahrbahn gelangt war und dort den Verkehr blockierte. Innerhalb kürzester Zeit waren wir von einem halben Dutzend besorgter und hilfsbereiter Italiener umringt. Weil ich noch einen Moment liegenblieb, boten sie an, einen Krankenwagen zu rufen.
Ich wäre gern noch ein wenig liegengeblieben um mich auszuruhen, doch ich verstand, dass die Leute sich dann sehr viel mehr Sorgen als nötig gemacht hätten. Als Christoph mir beim Aufstehen half, wurde mir allerdings ein wenig schwummerig und ich legte mich gleich wieder hin, dieses Mal an den Straßenrand. Eine Italienerin hielt ihren Regenschirm über mich, eine andere bot erneut an, einen Krankenwagen zu rufen, zwei junge Leute waren von ihren Vespas gestiegen und schauten besorgt.
Christoph sagte: „Lass uns bitte mal deinen Zucker messen!“ Ach ja, Zucker, da war ja noch was… Zum Glück war das Lesegerät meines Freestyle Libre in der Rückentasche meines Radtrikots beim Sturz unversehrt geblieben, ebenso wie mein iPhone und mein Insulinpen. Christoph scannte den Zuckerwert, er lag bei 178 mg/dl. „Diabetica!“, erklärte er den Umstehenden, und sie akzeptierten es als Universalerklärung für so ziemlich alles, was da gerade schiefgegangen war: „Ahh, diabetica!“
Für einen Krankenwagen sah ich immer noch keine Notwendigkeit, aber ich nahm das Angebot einer Dame an, mich bis zur Bar an der nächsten Ecke zu nehmen, damit ich erst einmal einen Espresso trinken kann. Christoph kam mit den Rädern nach, und bei einem Espresso und einem Wasser inspizierten wir meine Wunden. Die Verletzung am linken Unterarm war nur eine oberflächliche Schürfwunde, die Haut an der linken Hüfte war unter der Radhose leicht aufgeschürft. Ansonsten fand ich diverse Stellen an meinen Beinen, die farbenfrohe Blutergüsse in Aussicht stellten. Das linke Schulterblatt schmerzte ebenso der Brustkasten unterhalb der Brust, die ganze Karosserie fühlte sich verzogen an.
Der 1,5 Kilometer lange Heimweg zu Fuß ging dennoch erstaunlich gut, und auch mein Zucker machte keine Mucken, sondern stellte sich angesichts der anderen Baustellen brav hintenan. Erst zu Hause, als ich mich mühsam aus meinen Klamotten schälte um zu duschen und meine Wunden zu verarzten, zeigte das Lesegerät 201 mg/dl mit stark steigender Tendenz an. „Jetzt bin ich auch wieder dran“, schien mir mein Zucker sagen zu wollen. Christoph umsorgte mich mit Pflastern und einem schönen Essen.
Ich fragte ihn: „Auf einer Skala von eins bis zehn, wie besorgt warst du, als du mich auf der Straße liegen sahst?“ Er antwortete: „Ungefähr sieben bis acht. Ich wusste, dass wir zum Glück nicht schnell unterwegs waren, da konnte nicht viel Ernstes passiert sein.“ Ich fragte: „Und wie froh bist du auf einer Skala von eins bis zehn, dass mir nichts Ernstes passiert ist?“ – „175“, meinte er. Und ich versprach, künftig die Hände immer am Lenker zu lassen und zum Nasekratzen lieber anzuhalten. Diesen Rat möchte ich auch allen anderen geben, die gern mit dem Rennrad die Umgebung erkunden: Passt gut auf euch auf – so ein Urlaub macht viel mehr Spaß, wenn man sich schmerzfrei bewegen kann…
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